Der Axolotl-Komplex

Sollte man Plagiate mit Preisen würdigen?

Zu Beginn der Leipziger Buchmesse ist die Debatte um Helene Hegemanns Buch „Axolotl Roadkill“ neu entbrannt   Geht es wirklich noch um Helene Hegemann und ihr Buch „Axolotl Roadkill“? Oder geht es längst um ganz andere Themen: Um die Rettung des Urheberrechts? Um den Einfluss klug inszenierter PR-Kampagnen auf den Kulturbetrieb? Um – ein Evergreen – den Zustand der deutschen Literaturkritik? Wie lässt sich der nicht enden wollende publizistische Lärm um den Roman der inzwischen 18-jährigen Autorin erklären? Auch dieser Artikel hier ist Teil dieses Lärms, setzt die Kakophonie fort, provoziert möglicherweise sogar – bitte, bitte nicht! – irgendeinen Widerspruch, der dann den Lärm weiterführt. Das eben ist der Fluch der bösen Tat, dass sie fortzeugend immer Böses muss gebären. Übrigens: Der letzte Satz ist von Schiller, nicht von mir. Hätte ich mich jetzt einer Urheberrechtsverletzung schuldig gemacht, wenn ich das nicht gleich dazusagte? Oder ginge ein solches Zitat ohne Anführungszeichen, Fußnote und Autorenangabe noch als Beispiel einer literarischen Collage-Technik durch? Als praktizierte copy & paste-Ästhetik? Die „Leipziger Erklärung zum Schutze geistigen Eigentums“, die jetzt zum Auftakt der Leipziger Buchmesse vom Verband deutscher Schriftsteller (VS) veröffentlicht wird, schlägt in diesem Punkt einen barschen, drakonischen Ton an: „Wenn ein Plagiat als preiswürdig erachtet wird, wenn geistiger Diebstahl und Verfälschungen als Kunst hingenommen werden, demonstriert diese Einstellung eine fahrlässige Akzeptanz von Rechtsverstößen im etablierten Literaturbetrieb. (…) Kopieren ohne Einwilligung und Nennung des geistigen Schöpfers wird in der jüngeren Generation, auch auf Grund von Unkenntnis über den Wert kreativer Leistungen, gelegentlich als Kavaliersdelikt angesehen. Es ist aber eindeutig sträflich – ebenso wie die Unterstützung eines solchen ‚Kunstverständnisses’“. Unter der Erklärung finden sich einige der klangvollen Namen der deutschen Gegenwartsliteratur von Günter Grass bis Christa Wolf. Nimmt man den Text wortwörtlich ernst, dann richtet er nicht nur gegen Helene Hegemann – die von der Jury des Preises der Leipziger Buchmesse als „preiswürdig“ in Betracht gezogen wird, obwohl sie in ihrem Roman eine ganze Menge Text „ohne Einwilligung und Nennung der geistigen Schöpfer“ abgeschrieben hat. Nein, in den Augen der Unterzeichner verhalten sich offenbar schon all jene „eindeutig sträflich“, die sich der „Unterstützung eines solchen ‚Kunstverständnisses’“ schuldig machen. Das klingt fast so, als drohte der VS allen Kritiker, die Helene Hegemann bejubelten und also unterstützten, damit, sie demnächst vor Gericht zu zerren. Man fasst sich an den Kopf. Doch ganz so einfach wie das Leipziger Manifest tut, liegen die Dinge nicht. Nehmen wir zum Beispiel Christa Wolf, die es unterschrieben hat. Der erste Satz ihres Romans „Kindheitsmuster“ aus dem Jahr 1976 lautet: „Das Vergangene ist nicht tot; es ist nicht einmal vergangen.“ Ein wunderschöner Romanauftakt, der sofort in die Geschichte hineinzieht. Allerdings stammt er dummerweise nicht von Christa Wolf, sondern findet sich in William Faulkners Roman „Requiem für eine Nonne“ aus dem Jahr 1951. In der Übersetzung von Robert Schnorr sind es zwei Sätze und sie lauten: „Die Vergangenheit ist niemals tot. Sie ist nicht einmal vergangen.“ Weder hat Christa Wolf den Anfangssatz ihres Romans in Anführungszeichen gesetzt, noch hat sie ihrem Buch eine Danksagung an Faulkner angefügt. Christa Wolf eine Wegbereiterin der copy & paste-Ästhetik? „Kindheitsmuster“ ein Plagiat? Nein, natürlich nicht. Christa Wolf hat in „Kindheitsmuster“ ein uraltes literarisches Gewohnheitsrecht für sich in Anspruch genommen, nämlich das Recht, die Themen und manchmal auch die Sätze anderer Schriftsteller aufzugreifen und im eigenen Werk weiterzudenken. Die literaturhistorischen Beispiele dafür sind Legion – und es sind in der quälenden Debatte um Helene Hegemann so viele davon aufgezählt worden, dass ich mir das hier sparen kann. Mit anderen Worten: Anders als die „Leipziger Erklärung“ suggeriert, kommt es nicht darauf an, ob ein Schriftsteller an fremden Töpfen nascht und „ohne Einwilligung und Nennung der geistigen Schöpfer“ kopiert, sondern ob er die übernommenen Themen oder Sätze tatsächlich weiterdenkt, fortentwickelt und so in etwas Neues, Eigenes verwandelt. Ist Helene Hegemann das in ihrem Roman gelungen? Offen gestanden, mir fällt es nicht leicht, darauf zu antworten. Im Gegensatz zu einigen meiner Kritikerkollegen (darunter sehr respektierte und verehrte Kollegen) halte ich „Axolotl Roadkill“ für derart missraten und wirr, das Deutsch Helene Hegemanns für so unbeholfen und dümmlich, dass ich das Buch (zähneknirschend) ein zweites Mal las, weil ich fürchtete, irgendwas übersehen zu haben, was die sehr respektierten und verehrten Kollegen entdeckt hatten. Aber ich fand nichts. Das Buch ist und bleibt für mich eine Wüste der Einfallslosigkeit und der schlechten Sprache. Aber warum, wird daraufhin der kritische Leser fragen, warum um Himmels willen schreiben Sie denn als Literaturkritiker ausgerechnet über einen Roman, den sie offensichtlich überhaupt nicht mögen? Fällt Ihnen nichts Besseres ein? Eine prima Frage, möchte ich dem kritischen Leser antworten, ganz prima, sie führt uns nämlich direkt zu den beiden anderen eingangs erwähnten Punkten – Einfluss von PR-Kampagnen auf den Kulturbetrieb und die immergrüne Sorge um den Zustand der Kritik – die interessanter sind als ein dürftiger Erstlingsroman. Alle Verlage wollen ihre Bücher so gut wie möglich verkaufen. Sie müssen das, die Autoren erwarten es von ihnen, verständlicherweise. Doch die meisten PR-Strategien, die in den Verlagen ersonnen werden, zünden nicht. Würden alle zünden, hätten wir nur Bestseller. Manchmal aber springt der Funke über, lässt die einen Kritiker jubeln, die anderen Buh brüllen, die einen über die Stimme einer Generation jauchzen, die anderen Plagiat schreien. Mitunter führt das zu einem fabelhaften publizistischen Flächenbrand – was aber im Regelfall nur dann gelingt, wenn es nicht mehr nur um ein Buch, sondern vor dem Hintergrund des Buches um allgemeine Reizthemen geht. Bei „Axolotl Roadkill“ zum Beispiel um Sex, Drogen und Wohlstandsverwahrlosung bei Jugendlichen, um den angeblichen Hass alter Kulturplatzhirsche auf eminent begabte junge Frauen oder um den vermeintlich generationsspezifischen Streit zwischen aktueller copy & paste-Ästhetik und überkommenen Vorstellungen von Originalität. Greift ein solcher Flächenbrand erst einmal um sich, ist man als Kritiker oft genug nicht mehr frei zu schreiben oder zu schweigen, sondern schnell gezwungen, Stellung zu nehmen, schließlich soll die eigene Zeitung ja nicht die einzige sein, die das Thema verpasst. Allerdings sorgt jede denkbare Wortmeldung (auch diese hier) nur noch dafür, das die Flammen des Flächenbrandes immer höher schlagen. Wenn die „Leipziger Erklärung“ jetzt zum Beispiel „der jüngeren Generation“ reichlich pauschal bescheinigt, dass sie „auf Grund von Unkenntnis über den Wert kreativer Leistung“ Urheberrechtsverletzungen als „Kavaliersdelikte“ ansieht, dann liefert sie damit Leuten, die sich für jung halten, eine wunderbare Vorlage, mit prächtigen rhetorischen Schwung auf Ältere und deren Kunstverständnis loszugehen. Entschieden wird bei all dem naturgemäß gar nichts mehr. Die Hoffnung, am Ende der Debatte ließen sich auf dem Schlachtfeld Sieger und Verlierer ausmachen, ist illusorisch. Das war so bei allen ausufernden Literaturdebatten der jüngsten Zeit so. Hat Botho Strauß mit seinem „anschwellendem Bocksgesang“ die rechte Rückkehr zum Mythos gepredigt? Hat Peter Handke den serbischen Killer Milosevic in Schutz genommen? Hat Martin Walser in „Tod eines Kritikers“ bewusst mit antesemitischen Motiven gespielt? Ab einer bestimmten Größenordnung führen literarische Debatten nicht mehr zu Ergebnissen, sondern nur dazu, dass die debattierten Themen irgendwann erschöpft beiseite gelegt werden. Ich weiß nicht, ob die Hegemann-Debatte dieses Stadium schon erreicht hat. Schön wäre es schon.

Der Artikel erschien in der „Welt“ vom 17. März 2010

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„Nichts, was man fürchten müsste“

Julian Barnes brillanter Essay über den Tod

Vielleicht sollte dieses Buch den Aufdruck tragen: „Nur für Leser mit starken Nerven!“ Gewöhnlich finden sich solche Warnungen ja auf blutrünstigen Thrillern und sind als Werbung gedacht. Doch Julian Barnes „Nichts, was man fürchten müsste“ ist alles andere als ein Thriller: Auf Spannung wird kein Wert gelegt, der Leser weiß immer, wie es ausgeht, und der Täter steht von Anfang an fest – denn das Buch handelt vom Tod. Julian Barnes wirft hier einen möglichst illusionslosen Blick auf die einzige Tatsache, die das Leben mit hundertprozentiger Gewissheit für alle bereithält. Der Hinweis, dass sich die Lektüre für die Nerven sensiblerer Gemüter als Belastung erweisen kann, wäre also nicht als Werbung, sondern wortwörtlich zu verstehen. Eine der Grundvoraussetzungen dieses Essays ist, dass er die Tröstungen, die von den Religionen bereitgehalten werden, beiseite lässt. Barnes ist die Gabe des Glaubens nicht gegeben. In seiner Familie hat das Tradition, bereits die Großeltern und Eltern betrachteten sich als Agnostiker oder Atheisten, Barnes Bruder und dessen Kinder ebenfalls. „Ich wurde nie getauft, nie in die Sonntagsschule geschickt. Ich habe mein Leben lang nie einen normalen Gottesdienst besucht.“ Barnes stellt das sachlich und ohne kirchenfeindliches Triumphgeheul fest. „Ich glaube nicht an Gott, aber ich vermisse ihn“, lautet der erste, programmatische Satz des Buches, in dem das Bedauern, für die Verheißung einer jenseitigen Welt nicht empfänglich zu sein, gleich unüberhörbar wird. Zu den großen Vorzügen von „Nichts, was man fürchten müsste“ gehört, dass Barnes sein Thema nie als philosophischen Parcours betrachtet, auf dem es vor allen Dingen intellektuelle Bravour zu beweisen und gute literarische Haltungsnoten zu kassieren gilt. Sicher, der Essay ist brillant geschrieben, klug, witzig, kurzweilig, kenntnisreich, nie aber verleugnet Barnes in welchem Maße ihn das Thema persönlich beschäftigt, nämlich Tag für Tag und dazu noch in „periodisch auftretenden nächtlichen Attacken“. Kommt hinzu, dass Barnes‘ Frau, die Literaturagentin Pat Kavanagh, vor anderthalb Jahren, als das Buch im englischen Original erschien, an einem Hirntumor starb. Doch von deren Leidensgeschichte ist in dem Essay mit keinem Wort die Rede, Barnes übt sich da streng in britischer Diskretion. Vielmehr geht es ihm um die Frage, ob und wie sich das Bewusstsein des Todes als der künftigen unvermeidlichen Vernichtung erträglich gestalten lässt? Barnes‘ Antwort ist so einfach wie hoffnungslos: Gar nicht. Natürlich ist sich Julian Barnes darüber im Klaren, dass er mit seinem Buch lediglich eine neue Furche auf einem der am meisten beackerten Felder der Weltliteratur zieht. Das Thema Tod füllt seit alters die Bibliotheken. Zu Barnes‘ wichtigsten literarischen Gewährsmännern zählt Montaigne (1533-1592), mit dem das moderne, irreligiöse Nachdenken über den Tod beginnt. An diesem Vorbild hat er sich auch formal orientiert: Sein Essay ist, wie die „Essais“ des großen Franzosen, streng unwissenschaftlich, voller Anekdoten, Zitate, autobiografischer Splitter, immer wieder bereit, seinen Gegenstand vorurteilsfrei aus neuen Perspektiven zu betrachten, und nie darauf aus, seine Einsichten ins Korsett irgendeines Denksystems zu pressen. In einer Hinsicht allerdings ist Barnes weitaus skeptischer als Montaigne. Der bot, obwohl er den Schoß der Kirche nicht verließ, seinen Lesern eine Vielfalt von weltlichen, glaubenslosen Lebensregeln an, die das Entsetzen vor dem Tod angeblich zu mildern vermögen. Barnes zählt sie alle auf und dazu noch ähnliche Maximen anderer Schriftsteller wie Jules Renard, Stendhal oder Flaubert. Doch lässt er erkennen, dass ihn keine davon überzeugt, dass keine sein Grauen vor der kommenden Auslöschung eindämmen konnte. Auch das beliebte Argument, Schriftsteller und Künstler würden zumindest einen Teil ihres Geistes und also ihrer Persönlichkeit in ihren Werken konservieren und so über das eigene Ableben hinwegretten, trägt in seinen Augen nicht weit. Denn damit wird die Auslöschung nur hinausgeschoben: die Werke der allermeisten Autoren und Künstler sind wenige Jahre nach ihrem Tod vergessen, die der talentiertesten nach ein paar Jahrhunderten – was angesichts der Jahrmilliarden des Seins eine geringe Frist ist. Kurz: Barnes gewährt seinen Lesern keinen Lichtblick. Und er beruft sich dabei nicht nur auf die Alten Meister der Literatur, sondern kann erst recht auf Ergebnisse jüngerer naturwissenschaftlicher Forschungen verweisen. In deren Licht betrachtet sind wir Sklaven unserer Gene, ohne feste Persönlichkeit, ohne freien Willen, ohne Seele – und haben nach den Gesetzen der Evolution eine panische, aber nützliche Angst vor dem Tod entwickelt, weil das die Chance auf Fortpflanzung erhöht. Wenn dieses kaltherzige Resümee, so zitiert Barnes den Biologen Richard Dawkins, die Menschen „in Verzweiflung stürzt, ist das Pech. Das Universum schuldet uns weder Mitleid noch Trost; es schuldet uns kein schönes warmes Gefühl in unserem Inneren. Wenn es wahr ist, dann ist es wahr, und damit muss man halt leben.“ Wie gesagt: Für Leser mit zarten Nerven, oder solche, die auf Zerstreuung oder Erbauung aus sind, ist dieser Essay nichts. Für die anderen aber schon. In seinen Meisterwerk „Flauberts Papagei“ fragt Julian Barnes einmal: „Warum wollen wir das Schlimmste wissen?“ Eine indirekte Antwort darauf findet sich in einem Brief Flauberts, den Barnes zitiert: Flaubert beschreibt darin einen Hagelschauer, der seine Heimatstadt Rouen verwüstete. Flaubert war sofort begeistert: ein „erstklassiger Hagelschlag“. Das Unwetter hatte in Minuten die Fassaden abgeräumt, mit denen man sich so gern über die Natur der Dinge hinwegtäuscht und stattdessen ein paar grimmige Tatsachen des Daseins in Erinnerung gebracht. Die Wirkung von „Nichts, was man fürchten müsste“ ist ähnlich: ein erstklassiger Hagelschlag.

Die Rezension erschien in der „Welt“ vom 13. März 2010

Julian Barnes: „Nichts, was man fürchten müsste“. Aus dem Englischen von Gertraude Krueger. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2010. 333 Seiten, 19,95 Euro. ISBN 978-3-462-04186-6

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Bei Regenwetter ins Bordell

 Moritz Rinkes „Mann, der durch das Jahrhundert fiel“   Gleich auf der ersten Seite des Romans tritt die Katastrophe ein. Pauls Kindheit bricht in der Mitte auseinander. Genauer: Das Haus, in dem Paul seine Kindheit verbrachte, bricht auseinander. Es wurde im Teufelsmoor bei Worpswede, der norddeutschen Künstlerkolonie, auf nicht fachgerecht befestigtem Boden gebaut. Nun versackt es nach und nach im Sumpf – und der Versuch, es durch betongefüllte Bohrungen im Erdreich zu stabilisieren, gibt ihm den Rest: Ein Riss quer durchs Fundament spaltet es in zwei Teile, einen Ost- und einen Westflügel, die nun allmählich vom Moor verschlungen werden. Der Fachmann nennt das einen „Grundbruch“ und weiß, dass da nichts mehr zu retten ist. Einem Schriftsteller, der seinen Familienroman mit einem derart dramatischen Bild beginnen lässt, kann man Dezenz nicht vorwerfen. Moritz Rinke, der sich bislang vor allem als Theaterautor profilierte, bevorzugt ein seinem ersten Roman „Der Mann, der durch das Jahrhundert fiel“ die knalligen Effekte. Wenn er zudem dafür sorgt, dass bei den Rettungsarbeiten für das gefährdete Gebäude spektakuläre Beweise für die Nazi-Vergangenheit des Familienpatriarchen ausgegraben werden, dazu noch ein monströses, ängstlich beschwiegenes Verbrechen die Familiengeschichte überschattet, die Tochter des Hauses sämtliche Stereotypen der frauen- und studentenbewegten Alt-68-erin auf sich vereint und der Enkel eine typische Prekariats-Existenz führt, dann kann man schon auf die Idee verfallen, der Grundriss dieses Romans sei überdeutlich entlang der jüngeren deutschen, in Ost- und Westflügel zerbrochenen Geschichte konstruiert worden. „Wehe dem, der Symbole sieht“, schrieb Samuel Beckett. Eine Warnung, die man bei der Lektüre dieses Buches unbedingt beherzigen sollte. Denn wer sein Augenmerk zu sehr auf die Symbolsprache der Geschichte richtet, hat bald nur noch wenig Freude an ihr. Zu absehbar ist, was da erzählt wird: Der Stammvater der Familie, ein Bildhauer und Kraftmensch, ist zu Mitgefühl für andere nicht recht begabt. Mit der Schrotflinte erschießt er Maulwürfe oder Spatzen und legt auch schon mal auf den Schwiegersohn in spe an. Er ist definitiv kein Sympathieträger – und dass er sowohl im Dritten Reich wie auch danach den Mächtigen mit Propaganda-Plastiken zu Diensten ist, passt da fabelhaft ins Bild. Zum Standardrepertoire solcher deutschen Familienromane gehört, dass irgendwann ein neugieriger Nachgeborener die Schuld des Patriarchen aufdeckt und daraufhin das Lügengebäude seiner Sippschaft – wie Pauls Haus – in sich zusammenbricht. Doch es wäre nicht fair, Rinkes Roman allein auf seine vorhersehbare Handlungsstruktur zu reduzieren. Das Besondere und Sympathische an seiner Geschichte sind die liebevoll ausgemalten Details und die große Zahl origineller Charaktere, die sie bevölkern. Rinke hat seine Gabe, eigenwillige Figuren zu entwerfen, in seinen Stücken schon häufig unter Beweis gestellt. Paul zum Beispiel, der die Sünden seiner Familie ans Tageslicht bringt, ist alles andere als ein entschlossener Aufklärer. Im Gegenteil, er tut oft genug sein Bestes, die Indizien für die üblen Geheimnisse seiner Familie, kaum dass sie aufgetaucht sind, gleich wieder verschwinden zu lassen. Doch ist er nicht gerade eine Intelligenzbestie und betreibt seine Vertuschungsversuche derart tölpelhaft, dass sie für seine Familie letztlich nichts besser, aber so manches schlechter machen. Diesen simplizissimushaften Helden hat Rinke mit einer farbenfrohen Schar von Nebenfiguren umstellt. Da ist zum Beispiel Nullkück, ein Großonkel Pauls, der als geistig behindert gilt, Trecker fährt wie der Teufel und eigentümlich poetische Liebensbriefe an die Jungbäuerinnen in der Nachbarschaft schreibt. Oder der Zeithistoriker Anton Rudolph mit sozialistischen Überzeugungen, der steif und fest behauptet, Rudi Dutschke haben seine Schuhe getragen, als 1968 das Attentat auf ihn verübt wurde. Oder der gescheiterte Maler Ohlrogge, der seit Jahrzehnten nicht darüber hinwegkommt, dass Pauls Mutter ihn verlassen hat, nur bei Regenwetter das örtliche Bordell besucht und noch immer Rachepläne gegen Pauls Großvater schmiedet. Beide, sowohl Paul als auch Ohlrogge ahnen schließlich, was sich der Großvater sowohl politisch wie auch innerfamiliär zu Schulden kommen ließ, doch zu ihrer Verblüffung interessiert sich inzwischen fast niemand mehr für dessen Verfehlungen. Dass sich manche der Worpsweder Künstler, allen voran der Mitbegründer der Künstlerkolonie Fritz Mackensen, allzu tief auf die Nazi-Ideologie eingelassen hatten, ist längst weithin bekannt und wird nur noch mit Schulterzucken quittiert. Ihre Werke sind in Worpswede kein Anlass mehr für öffentliche Debatten, sondern Attraktionen für den Fremdenverkehr, die das Geschäft mit den Kultur-Touristen beleben. Warum also herumwühlen in den finsteren Winkeln mancher Künstler-Biographie? Mitunter wirkt der Roman wie eine Parodie auf die deutsche Literatur der Vergangenheitsbewältigung. Was nicht heißen soll, dass sich Rinke über die entsprechenden Vorbilder lustig macht. Er demonstriert vielmehr, in welchem Maße deren Erzählmuster mittlerweile zu Klischees geworden sind. Das ist streckenweise durchaus amüsant, insgesamt aber hinterlässt das Buch einen gespaltenen Eindruck. Denn das familiäre Verbrechen, das sich Pauls Großvater zuschulden kommen ließ, ist von solcher Bestialität und findet noch dazu in dem liebenswert skurrilen Nullkück ein zweites spätes Opfer, dass sich nur wenig unbeschwertes Vergnügen an der komischen Seite der Geschichte einstellen kann.

Die Rezension erschien in der „Welt“ vom 27. Februar 2010

Moritz Rinke: „Der Mann, der durch das Jahrhundert fiel“. Roman Kiepenheuer & Witsch, Köln 2010 482 Seiten, 19,95 € ISDN 978-3-462-04190-3

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Wie Durs Grünbein sich in Gottfried Benn verwandelte

 Der Fall Hegemann dadaistisch gesehen

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 23. Februar 2010 veröffentlichte der Lyriker und Büchnerpreisträger Durs Grünbein einen Artikel unter seinem Namen, der bis auf einige Retuschen von Gottfried Benn stammt. In diesem Artikel, der 1926 in der Vossischen Zeitung erschien, nahm Benn die Schriftstellerin Rahel Sanzara gegen den Vorwurf in Schutz, in ihrem Roman „Das verlorene Kind“ Material verwendet zu haben, das „nicht ihr geistiges Eigentum“ sei, sich also eines Plagiates schuldig gemacht zu haben. Durch seine Retuschen, die darauf zielten, die historischen Namen und Gegebenheiten aus dem Jahre 1926 durch aktuelle zu ersetzen, gab Grünbein der in der FAZ publizierten Fassung des Textes den Anschein, es sei seine „Wortmeldung“ zu dem Plagiatsvorwürfen, die gegenwärtig gegen Helene Hegemanns Roman „Axolotl Roadkill“ erhoben werden. In einem kurzen Interview, das die FAZ jetzt druckt, deckt Grünbein diese Manipulation auf. In der „Welt“ vom 24. Februar 2010 habe ich den unter Grünbeins Namen erschienenen Artikel kommentiert. Dass er darin die Plagiatsvorwürfe gegen Helene Hegemann nicht ernst nahm, war mir nicht weiter wichtig – denn auch in meinen Augen haben sie keine erhebliche literarische Bedeutung. Wohl aber kritisierte ich die Intellektuellenfeindschaft und den ästhetischen Irrationalismus der in den Argumenten zum Ausdruck kommt, mit denen in diesem Artikel der Begriff Plagiat vom Tisch gewischt wurde: „Man sollte“, heißt es in dem unter Grünbeins Namen gedruckten Text, „also nicht diese Begriffe an das Buch, sondern dies Buch an jene Begriffe anlegen und, wenn sie sich als albern oder langweilig herausstellen, sollte man sie abbauen oder übergehen. Begriffe wie Menschen, alles was nicht fühlt, dass dieses Buch jenseits der Nachprüfung steht und aller literarischen Intellektualismen“. Wer diese Sätze genau liest, erkennt, dass hier nicht nur Begriffe, sondern auch Menschen „abgebaut“ werden sollen, falls sie nicht das gleiche fühlen, wie der Autor des Textes. Darin offenbart sich, schrieb ich in meinem Kommentar, ein „doktrinärer Zug“ im Denken Grünbeins. Nun stellt Grünbein also in seinem FAZ-Interview klar, dass der unter seinem Namen veröffentlichte Text zum allergrößten Teil von Benn und nicht von ihm stammen – wodurch die „leidige Dauerdebatte um Frau Hegemann“ in seinen Augen „eine Drehung ins Dadaistische“ bekomme. Muss ich mich also entschuldigen? Ja, und zwar bei den Lesern der „Welt“, weil ich den Artikel Benns aus der Vossischen Zeitung nicht erkannte und also auch nicht Grünbeins Manipulation. Zu meiner Entlastung darf ich vielleicht hinzufügen, dass der Artikel von 1926 nicht zu Benns Hauptwerken gehört. Muss ich mich auch bei Grünbein entschuldigen? Ich bin mir nicht sicher. Benns Denken hatte zweifellos einen doktrinären Zug – der schließlich in Benns Bekenntnis zum Nationalsozialismus 1933 mündete. Von „auszuscheidenden minderwertigen Volksteilen“ schwadronierte er damals, die durch „qualitativ hochwertiges Menschenmaterial“ zu ersetzen seien. Dieses doktrinäre Element klingt bereits gut hörbar in den zitierten Sätzen von 1926 an. Weshalb Grünbein um eines literarischen Scherzes willen von der Halbwertzeit eines Tages eine derart gruselige Argumentation unter seinem Namen erscheinen ließ, ist mir rätselhaft.

Der Artikel erschien in der „Welt“ vom 25. Februar 2010

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Grünbein baut ab

Ein Kommentar  

Die fabelhafte Affäre um Helene Hegemanns „Axolotl Roadkill“ treibt immer neue, immer skurrilere Blüten. Es gibt kaum noch eine Hemmschwelle die nicht überschritten, kaum noch eine intellektuelle Latte, die so niedrig läge, dass sie nicht doch in irgendeinem Debattenbeitrag gerissen würde. Nehmen wir zum Beispiel den Lyriker und Büchnerpreisträger Durs Grünbein: In einem Artikel für die Frankfurter Allgemeine Zeitung unter dem in doppelte Anführungszeichen gestellten Titel ““Plagiat““ hat er sich jetzt für Helene Hegemanns Roman begeistert: „Wo immer man die Seiten aufschlägt, tragen sie den Schein einer Schönheit, die ohne Makel, und die Gesetzmäßigkeit einer Szene, die die volle und krasse Echtheit ist.“ Keine Überraschung, wenn Grünbein von dem Vorwurf, Helene Hegemann hätte Teile ihres Buches von anderen Autoren abgeschrieben, nichts hören will. Begriffe wie Plagiat wischt er beiseite: „Man sollte also nicht diese Begriffe an das Buch, sondern dies Buch an jene Begriffe anlegen und, wenn sie sich als albern oder langweilig herausstellen, sollte man sie abbauen oder übergehen. Begriffe wie Menschen, alles was nicht fühlt, dass dieses Buch jenseits der Nachprüfung steht und aller literarischen Intellektualismen“. Wer diese Sätze genau liest, erkennt, durch welche trüben Bezirke der Intellektuellenfeindschaft und des ästhetischen Irrationalismus Grünbein hier stapft: Nicht nur Begriffe, auch Menschen sollen „abgebaut“ werden, wenn sie nicht wie Grünbein fühlen, dass Helene Hegemanns Roman „jenseits der Nachprüfung steht“. Es ist unmöglich, darin etwas anderes zu sehen als einen fundamentalen Angriff auf jede Literaturwissenschaft und -kritik, zu deren Handwerk es gehört, Begriffe auf Bücher anzuwenden. Selbst die Werke Dantes, Shakespeares oder Goethes wurden und werden auf diese Weise analysiert – davon, dass ihnen das geschadet habe, ist bislang nichts bekannt geworden. Doch Helene Hegemanns Buch steht für Grünbein „jenseits der Nachprüfung“. Kann es sein, dass ein Schriftsteller hier einen doktrinären Zug seines Denkens offenbart, der in letzter Konsequenz tatsächlich darauf zielt, Menschen „abzubauen“, die nicht so fühlen, wie er fühlt?

Der Kommentar erschien in der „Welt“ vom 24. Februar 2010

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Wollen wir Steine auf dem Feld sein?

 DeLillos Roman „Omega Punkt“ erzählt von der Wüste, den Vorbereitungen zum Irak-Krieg und dem Verschwinden der Zeit 

Literatur wirkt, falls sie wirkt, in der Öffentlichkeit. Also hat sie, zumindest potentiell, eine politische Dimension. Doch mit welcher politischen Botschaft kann sich ein Schriftsteller an die Öffentlichkeit wenden, wenn er weiß, dass es keine letztgültigen, unbezweifelbaren Gewissheiten mehr gibt und also auch er über solche Gewissheiten nicht verfügt? Der amerikanische Romancier Don DeLillo gehört zu den großen politischen Schriftstellern unserer Zeit. In „White Noise“, einem sehr komischen, sehr verzweifelten Familienroman, erzählte er von einer Umweltkatastrophe. In „Libra“ vom Mord an John F. Kennedy und dem Gespinst von Verschwörungstheorien, das ihn umgibt. In „Mao II“ vom Einfluss des Terrorismus auf das Gefüge der Weltpolitik zehn Jahre bevor die Flugzeuge ins World Trade Center einschlugen. Jedes dieser Bücher ist zweifellos politisch, doch in keinem findet sich eine handliche politische Botschaft. Auch wenn der Bürger DeLillo gelegentlich dezidierte politische Ansichten vertritt, ist der Schriftsteller DeLillo kein Propagandist irgendeiner politischen Partei oder Idee. In seinen Romanen herrscht eine Atmosphäre der allgegenwärtigen Verunsicherung, des Argwohns und des Verdachts und vielleicht darf man darin das deutlichste politische Bekenntnis dieses Autors sehen. Kritiker in den USA erklärten ihn zum „Chef-Schamanen“ einer „school of paranoid fiction“ und nannten ihn den Lieblingsalbtraum Amerikas. Dass DeLillo irgendwann den Krieg im Irak und den Propagandafeldzug, mit dem Bush ihn vorbereiten ließ, zu Thema eines Büches machen würde, war zu erwarten. Mit „Omega Punkt“ liegt dieser Roman nun vor. Es ist eine kurze Geschichte mit Rahmenhandlung und nur drei Figuren. Die Rahmenhandlung erzählt von der Videoinstallation des schottischen Künstlers Douglas Gordon, die 2006 im New Yorker Museum of Modern Art zu sehen war: Gordon zeigte Alfred Hitchcocks „Psycho“ in einer extremen Zeitlupe, die den Film auf eine Länge von 24 Stunden dehnte und projizierte ihn auf eine durchscheinende Leinwand, so dass die Betrachter die Wahl zwischen den Originaleinstellungen oder deren Spiegelbild hatten. Im Roman beobachtet ein namenloser Museumsbesucher zwei Männer, die Gordons Installation betrachten. Der eine ist über siebzig, mit Stock und langen weißen Haaren, der andere Mitte dreißig, mit Freizeithemd, Jeans und Jogging-Schuhen. In Interviews hat DeLillo davon berichtet, wie er zunächst allein aus Begeisterung über Gordons Installation zu schreiben begann und schließlich begriff, dass er in den beiden Männern, denen er dort begegnet war, die Hauptpersonen seines nächsten Romans gefunden hatte. Den Älteren taufte er Richard Elster: ein Literaturkenner und Universitätsdozent, der unter George W. Bush in einem Team mitarbeitete, das für eine öffentliche Rechtfertigung des Angriffs auf den Irak sorgen sollte. Den jüngeren Mann nannte er Jim Finley: ein Experimentalfilmer, der Elster zu einem langen, ungeschnittenen Interview vor der Kamera überreden will, in dem er völlig subjektiv über seine Arbeit für Bush und das Pentagon berichten kann. Elster lehnt das Angebot ab, er hat keine Lust auf eine öffentliche Beichte. Allerdings lädt er Finley ein, ihn in eine abgelegene Hütte irgendwo in der kalifornischen Wüste zu begleiten, in die er sich gelegentlich zum Nachdenken zurückzieht. Um Elster doch noch für das Filminterview zu gewinnen, sagt Finley zu und bleibt über Wochen bei Elster – nicht zuletzt weil dessen Tochter Jessica ihren Vater besucht. Sie ist schweigsam und zurückhaltend, doch gelegentlich scheint sie mit Finley zu flirten und er mit ihr. Als die beiden Männer irgendwann aus einer abgelegenen Siedlung vom Einkaufen zurückkehren, ist Jessica verschwunden. Elster begreift sofort die immense Gefahr für seine Tochter, die Wüste ist mörderisch. Umgehend verständigt er Polizei, doch seine Tochter bleibt unauffindbar. Das intellektuelle Zentrum des Romans sind die Gespräche zwischen Elster und Finley. DeLillo geht dabei sehr behutsam vor, weder stilisiert er Elster zu einem beinharten Neocon und Bush-Gefolgsmann, noch Finley zu einem fanatischen Bush-Gegner und Pazifisten. „Eine Großmacht muss handeln“, rechtfertigt Elster sein Engagement fürs Pentagon nach den Anschlägen vom 11. September: „Wir wurden schwer getroffen. Wir müssen uns die Zukunft zurückholen. Die Willenskraft, das pure instinktive Bedürfnis. Wir können nicht andere unsere Welt und unser Denken gestalten lassen.“ Finley widerspricht ihm nicht, versucht nicht ihn zu überzeugen oder moralisch zu verurteilen, sondern denkt nur darüber nach, wie er Elster dazu bekommen kann, solche Sätze auch in die Kamera zu sprechen, um die zu dokumentieren. Beide Figuren sind typische DeLillo-Geschöpfe. Finley wirkt mitunter wie ein ironisches Selbstporträt DeLillos: Ein Beobachter, der sich im Grunde mehr für atmosphärische Details interessiert als für seinen Helden, also mehr für die Wand, vor der er Elster zum Reden bringen möchte („überwiegend blassgrau, paar Risse, paar Flecken“), als für das, was er sagen wird. Elster wiederum, der wie DeLillo nicht mehr an verbindliche Wahrheiten, sondern nun noch an mehr oder minder glaubwürdige Entwürfe von Wahrheiten zu glauben vermag, beschreibt es als intellektuell reizvolle Herausforderung, den Irak zu einer mit Massenvernichtungsmitteln bis an die Zähne bewaffnete Weltbedrohung zu stilisieren: „Wir entwarfen Konstruktionen jenseits der vereinbarten Grenzen von Wiedererkennbarkeit oder Interpretation. Es braucht Lügen. Der Staat muss lügen. Es gibt keine Lüge im Krieg oder in der Kriegsvorbereitung, die sich nicht verteidigen ließe.“ Bemerkenswert daran ist nicht, dass DeLillo der Bush-Administration noch einmal ihre Manipulationen zu Beginn des Irak-Kriegs vorhält, sondern dass er in diesen Manipulationen Element einer Weltsicht entdeckt, die er selbst teilt. Finley ist in dem Alter, in dem DeLillo seinen ersten Roman veröffentlichte, Elster exakt so alt, wie DeLillo heute. Beide verkörpern Spielarten des ambivalenten Wunsches, mit schriftstellerischen und intellektuellen Mitteln Weltbilder zu entwerfen, deren Ausstrahlungskraft sich die Wirklichkeit nicht entziehen kann. Zugleich zielt der Roman aber auch auf den religiösen Aspekt, der Bushs weltpolitischem Sendungsbewusstsein beigemischt war. Elster zieht sich in die Wüste zurück wie ein Eremit, der Hektik und Verführungen der Zivilisation hinter sich lässt, um über das Schicksal der Menschheit nicht mehr in kurzfristigen politischen, sondern in erdgeschichtlichen Dimensionen zu meditieren. Er schwärmt Finley vor von den Thesen Pierre Teilhard de Chardins (1881 – 1955), des französischen Jesuiten, Paläontologen und Philosophen, der nach seinem Tod, vor allem als Gegengewicht zum aufklärungsfixierten Denken der Studentenbewegung, eine gewisse Popularität errang. Auch hier zeigt sich wieder, wie gern und geschickt DeLillo mit Ambivalenzen spielt. Teilhard, der oft mit naturwissenschaftlichen Begriffen hantierte, ohne immer auf naturwissenschaftliche Methoden zurückzugreifen, vertrat eine Art modernen Pantheismus: In einem kühnen Analogieschluss zur biologischen Evolution sah er das menschliche Bewusstsein zu immer höherer Komplexität anwachsen und schließlich zu einem überpersönlichen, allumfassenden Bewusstheit jenseits von Zeit und Raum zusammenschießen: zum gottgleichen Punkt Omega. Auch Elster hängt solchen Spekulationen nach, doch färbt sich die Vision bei ihm apokalyptisch ein: „Pater Teilhard kannte das, der Omega Punkt. Ein Sprung aus unserer Biologie hinaus. Stellen Sie sich mal die Frage. Müssen wir immer menschlich bleiben? Das Bewusstsein hat sich erschöpft. Zurück zu anorganischer Materie, na los. Das wollen wir. Wir wollen Steine auf dem Feld sein.“ Im Zentrum der Romane DeLillos stand immer der Versuch, der Bewusstseinslage seines Landes auf der Spur zu bleiben, ja ihr vielleicht sogar einen Schritt voraus zu sein. Darf man sein neues Buch in diesem Sinne als Warnung auffassen, das ein überzogenes, religiös unterfüttertes Sendungsbewusstsein im Falle seines Scheiterns leicht in apokalyptische Stimmungen, in Zerstörungs- und Selbstzerstörungssehnsüchte umschlagen kann? DeLillo lässt seinen Helden allerdings nicht in gemütvoller Resignation verharren. Lange genießt Elster es, dass sich in seiner selbst gewählten Wüsteneinsamkeit die Zeit – wie durch Douglas Gordons „Psycho“-Installation – zu verlangsamen, zu dehnen und schließlich zu verflüchtigen scheint. Doch auch hier erweist sich DeLillo als Meister der Ambivalenz. Denn mit dem rätselhaften Verschwinden von Elsters Tochter beginnt, darüber ist sich Elster klar, gerade in der Wüste die Zeit zu rasen, denn in dieser lebensfeindlichen Umgebung sind allen Versuchen die junge Frau zu retten, knappe Fristen gesetzt. „Omega Punkt“ ist ein Kammerspiel. Das mag angesichts der endlosen Wüstenlandschaft, in der DeLillo seine Geschichte angesiedelt hat, paradox klingen. Doch so ausgreifend die Themen des Romans auch sind, DeLillo konzentriert sie fast vollständig auf das Gegenüber zweier Figuren. Es ist ein Beweis seines enormen erzählerischen Könnens, dass die Geschichte dennoch nicht abstrakt oder künstlich wirkt. Vielleicht hat er sein altes Lieblingsthema, wie mit Mitteln der Massenkommunikation Realität erschaffen wird, noch nie so konzentriert verfolgt wie hier – und zugleich so direkt auf die politische Gegenwart Amerikas reagiert.

Die Rezension erschien in der „Welt“ vom 20. Februar 2010

Don DeLillo: „Der Omega Punkt“. Roman
Aus dem amerikanischen Englisch von Frank Heibert Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2010 111 Seiten, 16,95 € ISBN 978-3-462-04192-7

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Über die Fehlbarkeit der Literaturkritik

 Die Affäre um Helene Hegemanns „Axolotl Roadkill“ macht ein paar Selbstverständlichkeiten bewusst

Wird die Literaturkritik tatsächlich, wie einige Kommentatoren behaupten, durch die Affäre um Helene Hegemanns in seiner Glaubwürdigkeit erschüttert? Oder bringt der Fall „Axolotl Roadkill“ nicht vielmehr einige Selbstverständlichkeiten unseres Buchbetriebs mit schöner Klarheit ins allgemeine Bewusstsein? Ausgangspunkt der Debatte sind die Plagiatsvorwürfe. Die sind allerdings nicht so überraschend. In jüngster Zeit wurden gerade gegen Beststeller – von Dan Browns „Sakrileg“ bis zu J.R. Rowlings Potter-Zyklus, von Andrea Maria Schenkels „Tannöd“ bis Martin Suters „Lila, lila“ – ähnliche Anschuldigungen erhoben. Offenbar stehen erfolgreiche Bücher in dieser Hinsicht unter besonders strenger Kontrolle. Bislang hielt, zumindest in den Augen der Juristen, keiner dieser Vorwürfe stand. Und die Literaturwissenschaft ist in diese Dingen üblicherweise noch großherziger als die Rechtsprechung. Seit langem schon betrachtet sie auch die Montage oder Anverwandlung fremder Texte als eine genuine schriftstellerische Leistung. Da hätte es Helene Hegemanns Hinweis auf die angeblich brandneue Ästhetik des Samplings gar nicht gebraucht. Dem künstlerischen Ansehen von Brechts „Dreigroschenoper“ hat es nicht geschadet, als Alfred Kerr nachweisen konnte, dass manche Songs darin eher von Villon oder Kipling stammen als von Brecht. Wohl aber schaden solche Übernahmen aus den Büchern anderer Autoren der Illusion von Authentizität. Tatsächlich klangen viele der aufgeregten Kritiken und Porträts, die halfen „Axolotl Roadkill“ auf die Bestsellerliste zu hieven, sehr danach, als würden die Rezensenten das Buch nicht als Fiktion, sondern als Lebensbeichte einer wohlstandsverwahrlosten, süchtigen, von Vater und Mutter verlassenen 17-jährige Rebellin auffassen, die aus Protest gegen eine kaltherzige Erwachsenenwelt Selbstzerstörung betreibt. Doch nüchtern betrachtet entpuppt sich Helene Hegemann mit ihrem halb intellektuellen, halb flapsigen Jargon eben nicht als Rebellin, sondern vielmehr als perfekt integrierte Musterschülerin einer Berliner Boheme, in der ihr Vater Carl Hegemann als langjähriger Dramaturg der Volksbühne keine unwichtige Rolle spielt. Doch wer den Hegemann-Rezensenten nun vorhielte, sie hätten „Axolotl Roadkill“ gleichsam unter falschen Voraussetzungen gerühmt, der wird die meisten von ihnen uneinsichtig finden. Denn zu den unveräußerlichen Grundrechten jedes Literaturkritikers in der Moderne gehört, sich zuallererst für die Sprache eines Schriftstellers zu begeistern, also dafür wie der Autor schreibt, und das was er schreibt – ob nun Beichte oder Roman – zur Nebensache zu erklären. Diese Sprach-Begeisterung ist allerdings weder widerleg- noch beweisbar, sondern streng subjektiv. Wenn also Rezensenten, die Helene Hegemann vor zwei Wochen feierten, nach dem Bekanntwerden der Plagiatsvorwürfe betonen, ihr Jubel habe nicht der vermuteten Authentizität des Buches gegolten, sondern dessen Sprache, dann hat niemand das Recht, an dieser Behauptung zu zweifeln – selbst wenn er das Deutsch in „Axolotl Roadkill“ streckenweise reichlich verquast findet. Geschmäcker sind eben verschieden. Sicher, das Recht jedes Rezensenten, sich von der Prosa dieses Romans betören zu lassen, ist völlig unbenommen. Aber wäre es nicht dennoch an der Zeit zuzugeben, dass auch ein Literaturkritiker irren und ihn sein Gespür für literarische Tonfälle im Stich lassen kann? Schließlich gibt es ein altes Kräftemessen im Literaturbetrieb, das allen Beteiligten längst zur Selbstverständlichkeit geworden ist: Jeder Verlag will seine Bücher ins beste Licht rücken und bemüht sich, nicht zuletzt die Kritiker in diesem Sinne zu manipulieren. Die Kritiker wiederum wissen, dass die Verlage sie mit mal plumpen, mal raffinierten Tricks für ihre Bücher einzuspannen versuchen. Meist sind diese Tricks für den Kritiker leicht zu durchschauen. Aber er müsste schon ein sehr ausgeprägtes Selbstbewusstsein haben, wollte er behaupten, noch nie einer geschickt inszenierten Verlagskampagne aufgesessen zu sein. Ein Stereotyp, auf das Schriftsteller von Verlagen und Agenten zu Anfang ihrer Karriere gern hingetrimmt und kampagnentauglich gemacht werden, ist der Zornige Junge Mann – oder wahlweise die Zornige Junge Frau. Dieses Rollenmuster hat gerade in der deutschen Literatur tiefe Wurzeln und reicht bis zum Expressionismus und zum Sturm und Drang zurück: hoch begabte Stellvertreter einer jungen Generation, die bis zur Selbstvernichtung gegen eine in ihren Augen moralisch verkommene, politisch verhärtete Erwachsenenwelt aufbegehren. Da bestehende Lebensverhältnisse naturgemäß immer verbesserungsbedürftig sind, trifft diese Haltung jederzeit auf eine gewisse Sympathie – zumal im etablierten Kulturbetrieb, der sein schlechtes Gewissen über die eigene Etabliertheit gern damit betäubt, rebellische Naturen zu bejubeln. Wie heißt es bei Brecht? „Mögen andere von ihrer Schande sprechen, ich spreche von der meinen“. Einer der typischen Zornigen Jungen Männer der Gegenwartsliteratur war Rainald Goetz. Ich habe seinerzeit seinen Roman „Kontrolliert“ in hohen Tönen gelobt. Inzwischen bedeutet mir das Buch literarisch lange nicht mehr so viel wie damals: Ich fürchte, ich habe zu einem Gutteil das Image von Goetz rezensiert, nicht seinen Roman. Ob es einigen der Hegemann-Rezensenten ähnlich ging? Falls ja, wäre das keine Katastrophe für die Glaubwürdigkeit unserer Literaturkritik, sondern schlicht menschlich. Da selbst Ärzten, Anwälten oder Apothekern Kunstfehler unterlaufen, wäre es doch seltsam, wenn ausgerechnet Literaturkritiker immer richtig lägen. Glaubwürdigkeit gewinnt die Kritik nicht durch die Behauptung, unfehlbar zu sein, sondern durch das ständige Bemühen darum, keine Fehler zu machen. Auch wenn es gelegentlich mal nicht gelingt.

Der Artikel erschien in der „Welt“ vom 17. Februar 2010

Helene Hegemann: „Axolotl Roadkill“. Roman Ullstein Verlag, Berlin 2010 204 Seiten, 14,95 € ISBN 978-3-550-08792-9

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Sticht nach allen Seiten

 Eine Ausstellung und ein Katalog zum Werk des Satirikers Chlodwig Poth

Ein Satiriker lebt von seinem Zorn. Er darf alles, schon weil die Satire alles darf. Nur freundlich oder milde sein, das darf der Satiriker nicht. Andererseits muss die Welt auch nicht sonderlich freundlich zu dem Satiriker sein, schließlich soll sein Zorn nie verrauchen. Vielmehr ist es die Aufgabe der Welt, diesen Zorn zuverlässig zu schüren und anzustacheln. Damit sich der Satiriker nach Herzenslust weiter über die Welt ärgern und sie unermüdlich bekämpfen kann. In diesem Sinne hatte Chlodwig Poth (1930 – 2004) ein wunderbar erfülltes, ein rundum glückliches Satirikerleben. Das Frankfurter Museum für komische Kunst „Caricatura“ widmet seinem Werk jetzt, kurz bevor im April Poths achtzigster Geburtstag zu begehen ist, eine große Retrospektive: „Poth für die Welt“. Diese Ausstellung ist so etwas wie ein grimmiger Schnelldurchgang durch die deutsche Geschichte seit 1945 – im buchstäblichen Sinne aufgezeichnet von einem unerbittlichen Beobachter, der nicht aufhörte, das lausige Reale am lauteren Ideal zu messen. Der Start ins Satirikerdasein wurde Poth leicht gemacht. Mit noch nicht ganz 15 Jahren saß er mit seinen Eltern nächtelang in Berliner Luftschutzbunkern und hatte nicht nur viel Zeit zum Zeichnen, sondern auch eine Menge Gelegenheit seinen Zorn auf Mitwelt und Mitmensch zu befeuern. „Wir weerdän weitär maaarschieerän – wäänn allääs in Schärbään fällt“, heißt der Text zu einer im März 1945 entstandenen Bildergeschichte, die dämlich gröhlende Hitler-Jungen zeigt, während um sie her alles wunschgemäß in Scherben fällt. Heute muss man dankbar sein, dass diese frühen Arbeiten Poths damals kein ungebetenes Publikum fanden. Manch einer, wie der Cartoonist E.O.Plauen („Vater und Sohn“), verloren für geringere Anzeichen von Nazi-Gegnerschaft im Gefängnis ihr Leben. Nach dem Krieg veröffentlichte Poth seine ersten Karikaturen in der Ost-Berliner Zeitung „Neues Leben“. Gerade 17jährig startete er dann ein eigenes Satiremagazin „Der Igel“ mit dem bemerkenswerten Untertitel „Sticht nach allen Seiten“. Es entstand in Heim- und Handarbeit in einer Auflage von monatlich exakt einem Exemplar. Mit dem Credo, nach allen Seiten zu stechen, machte sich Poth an der Ost-Berliner Kunsthochschule in Weißensee dann so unbeliebt, dass er relegiert wird und bald darauf als freier Witzzeichner für Illustrierte und Redakteur einer Werkszeitung nach Frankfurt wechselt. Der Siegeszug der Neuen Frankfurter Schule durch die Scherzgebirge und Witzlandschaften Deutschlands ist schon oft beschrieben worden. Weniger bekannt dagegen ist, dass Chlodwig Poth und Hans Traxler (der im vergangenen Jahr seinen 80. Geburtstag feierte) seit 1955 den Kristallisationskern jener Satiriker-Kultur Frankfurts bildeten, die bis heute eine so erstaunliche Vitalität und Anziehungskraft auf immer neue Komik-Talente zeigt. Beide, Poth und Traxler, gehörten – zusammen mit Verleger Hans A. Nikel – zu den Gründervätern der Satire-Zeitschrift „Pardon“ und später, als Verleger Nikel sein Heft in peinlich esoterische Gefilde steuerte, zu den Mitgründern des bis heute erfolgreichen Konkurrenz-Magazins „Titanic“. Zu den wohl unausrottbaren Vorurteilen über die Neue Frankfurter Schule zählt die Ansicht, die ihr zugerechneten Autoren und Zeichner gehörten ausnahmslos der politischen Linken an. Tatsächlich hält sich hartnäckig das Gerücht, Poth habe Haare und Bart sprießen lassen, um – durchaus mit Erfolg – eine auffällige Ähnlichkeit mit seinem Lieblingsphilosophen Karl Marx zu entwickeln. An seiner Grundüberzeugung, ein Satiriker habe igelgleich nach allen Seiten zu stechen, änderte das jedoch nichts: Während der sechziger und siebziger Jahren machte sich Poth in seiner Cartoonserie „Mein progressiver Alltag“ vorzugsweise über das Milieu der studentenbewegten Menschheitsbeglücker her und konnte das aus der Serie entstandene Buch auf den Bestsellerlisten platzieren. Um 1990 wandte er seinen Zorn vorübergehend intensiv dem Berufsstand der Immobilienmakler zu, denn ein besonders unangenehmes Exemplar der Gattung hatte ihn aus seiner Frankfurter Stadtwohnung herausgeklagt. Doch was zunächst als biographisches Unglück erschien, erwies sich als künstlerischer Glücksfall: Poth verschlug es aus dem gutbürgerlichen Holzhausen-Viertel in ein architektonisches Katastrophengebiet namens Sossenheim am Frankfurter Stadtrand. Eine von Schwer- und Schwerstverkehr stark frequentierten und gleichwohl bewohnte Durchfahrtsstraße, hat Poth diesen Stadtteil einmal genannt, oder auch ein zwischen Autobahnen und großen Chemiewerken eingeklemmten „Gebäudehaufen ohne Gesicht, Eigenart und Charme“. Was könnte besser sein für den Zorn des Satirikers? Der künstlerischen Dokumentation dieses städtebaulichen Unorts, der zahllosen anderen Stadträndern in Deutschland zum Verwechseln ähnlich sieht, hat Poth die letzte Phase seines Zeichnerlebens gewidmet. Fast 14 Jahre lang hielt er mit farbigen Tuschen und Aquarellfarben auf Papier diesen Albtraum aus Eternit, Beton und Glasbausteinen Haus für Haus, Straße für Straße fest. So entstand, wie sein Kollege Traxler schreibt, ein „Werk aus einem Guss: Stilsicher, treffsicher und ohne den Wunsch, zu gefallen. Auf so einen Gedanken wäre er nie gekommen.“ Unter den Mit-Sossenheimern hat sich Poth damit keine Freunde gemacht – zumal er in seine Straßenansichten sehr zeitgenössische Gestalten in Jogginganzügen, Fliegerjacken oder grellfarbigen Leggings zu zeichnen pflegte, denen er in Sprechblasen ausgesucht widerliche Sätze unterschob. „Du bist ein begnadeter Lügner“, sagt da eine ältliche Ehefrau zu ihrem Mann, „wenn du nicht so entsetzlich träge wärst, hätten wir es damit sehr weit bringen können.“ Oder ein alerter Vertretertyp mit Anzug, Schnauz und Scheidungsabsichten resümiert: „Der Abschluss bringt übern Daumen 30 Mille Provision. Jetzt muss es der 190er sein. Und das ist das Aus für Lisa. Fürn Benz hatse zu dicke Beine.“ Unter dem Titel „Last Exit Sossenheim“ publizierte die „Titanic“ bis zu Poths Tod Monat für Monat Blätter dieser bitter-illusionslosen Bestandsaufnahme vom Rand der Städte und der Gesellschaft Deutschlands. Die Frankfurter Ausstellung zeigt einen repräsentativen Querschnitt aus diesem enormen Zyklus. Nur zwei Sossenheimer haben sich je, so erinnert sich die Witwe Anna Poth, zum Kauf eines dieser Bilder entschließen können: „Der eine davon wollte auswandern.“

Der Artikel erschien in der „Welt“ vom 12. Februar 2010

Chlodwig Poth: „Poth für die Welt“. Sossenheim ist überall
Verlag Antje Kunstmann, München 2010 143 Seiten, 19,90 € ISBN 3-88807-405-4

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„Ich bleibe auch in den Gebirgen lieber Wanderer“

Der Schriftsteller Christoph Ransmayr im Gespräch über seinen Freund Reinhold Messner, die gerade verfilmte Nanga-Parbat-Katastrophe und das Abenteuer des Schreibens 

Im Mai und Juni 1970 nahm der Bergsteiger Reinhold Messner an einer Expedition zum Nanga Parbat teil, in deren Verlauf zum ersten Mal die so genannte Rupal-Wand durchstiegen werden sollte. Reinhold Messner brach allein vom letzten Höhenlager auf, sein Bruder Günther konnte ihm folgen. Gemeinsam standen sie am 27. Juni auf dem Gipfel. Nach einer Notbiwakierung entschlossen sie sich, nicht auf demselben Weg, sondern über die Diamir-Wand abzusteigen. Beim diesem Abstieg starb Günther Messner. Reinhold überlebte mit starken Erfrierungen. Über die Katastrophe am Nanga Parbat hat es viele Spekulationen gegeben. Und beinahe so viele Bücher. Bei Malik ist gerade Messners „Die rote Rakete am Nanga Parbat“ erschienen. Josef Vilsmaier hat das Messner-Drama verfilmt. 2006 erschien der Roman „Der fliegende Berg“ von Christoph Ransmayr über das tödlich endende Abenteuer eines Bergsteiger-Brüderpaars im Hochgebirge. Mit Christoph Ransmayr sprach Uwe Wittstock.

Uwe Wittstock:   Sie sind mit Reinhold Messner befreundet. In Ihrem Roman „Der fliegende Berg“ erzählen Sie von zwei Brüdern, die im Transhimalaya einen unzugänglichen Gipfel besteigen. Beim Abstieg kommt einer der beiden Brüder um. Die Parallelen zum Drama um die Nanga-Parbat-Besteigung der Messner-Brüder 1970, das jetzt von Josef Vilsmaier verfilmt wurde, liegen auf der Hand. Was hat Sie gereizt an diesem Stoff, den ihr Freund Messner erlebte?
Christoph Ransmayr:   Die Tragödie am Nanga Parbat war immer wieder Thema auf vielen unserer gemeinsamen Reisen, nach Tibet, Nepal, Indien und in andere Weltgegenden. Dadurch ist mir diese Geschichte so vertraut geworden, als wäre sie Teil meiner eigenen Familienchronik. Aus dieser Vertrautheit heraus ist dann auch das Bedürfnis entstanden, eine Brudergeschichte zu schreiben.
Wittstock:   Sie wollten dem, was passiert ist, eine literarische Form geben?
Ransmayr:   Meine erste Absicht war, eine klare, historische Darstellung der Ereignisse am Nanga Parbat zu schreiben. Mir ist aber schon bei der Vorbereitung der Schreibarbeit klar geworden, dass diese Geschichte nur einer schreiben kann, nur einer schreiben soll, nämlich Reinhold selbst. Ein Nebeneffekt meiner Vorbereitungen war aber die Entdeckung, dass unter den Menschen, die zum Rand der bekannten Welt und darüber hinausgehen, auffällig viele Brüderpaare waren – und sind. Schon im so genannten Zeitalter der Entdeckungen etwa die Brüder Corte-Real oder Nicolao und Maffeo Polo oder die Brüder Pinzón, die Columbus begleiteten und viele andere. Immer wieder brachen zwei Brüder gemeinsam auf und immer wieder geschah es, dass nur einer von ihnen zurückkam.
Wittstock:   Hätte sich das Drama am Nanga Parbat anders entwickelt, wenn die beiden Bergsteiger auf dem Weg zum Gipfel keine Brüder gewesen wären?
Ransmayr:   Das weiß ich nicht. Aber selbst die Geschichte der Brüder Messner ist noch mit einer weiteren Brudergeschichte verbunden: Der damalige Expeditionsleiter Karl Herrligkoffer war der Halbbruder des 1934 am Nanga Parbat umgekommenen Willy Merkl. Herrligkoffer hat mit den von ihm organisierten Expeditionen den Nanga Parbat wieder und wieder berannt, um endlich zu erreichen, zu „erobern“, wofür sein Halbbruder starb: den Gipfel. Es scheint ja, dass es bei Expeditionen ans Ende der Welt nicht ausreicht, bloß von einem Vertrauten, einem Freund begleitet zu werden, sondern dass der beste Gefährte der Bruder sein soll, ein Mensch, mit dem man nicht nur Gegenwart und die jüngste Vergangenheit teilt, sondern die ganze bisherige Lebensgeschichte bis tief in die Kindheit.
Wittstock:   Anders als mit einem Freund verbindet einen mit dem Bruder aber auch eine lebenslange Rivalität, beginnend schon mit der Rivalität um die Liebe der Eltern.
Ransmayr:   Diese Rivalität kann aber zu dramatisch verschiedenen Konsequenzen führen, einerseits natürlich bis zu einem Drama wie dem von Kain und Abel, andererseits aber auch über die Zähmung der Rivalität zu einer Gemeinsamkeit, die zwei Brüder etwas erreichen lässt, was für einen allein Utopie bleiben würde.
Wittstock:   Das Brüderpaar Ihres Romans bricht allerdings nicht aus Südtirol auf, also aus einem Gebirge in das höchste Gebirge der Welt, dem Himalaya. Der Ausgangspunkt Ihrer Romanhelden ist eine abgelegene Insel vor Irland, also die Höhe des Meeresspiegels? Warum war diese extreme Höhendifferenz, von ganz unten – Meeresspiegel – bis ganz oben – Dach der Welt – für Sie wichtig im Roman?
Ransmayr:   Ich wollte meine Helden die wahrhaft ganze Länge eines denkbaren Weges in die Höhe, ins Gebirge gehen lassen, also aus dem tiefsten Land bis in die Wolken, vom Meeresspiegel, von dem aus ja die Höhe noch des küstenfernsten Wüstengebirges aus gemessen wird, bis in die Höhen des Transhimalaya. Dabei ist aber der – erfundene – Berg, den meine beiden Protagonisten besteigen, für Tibet kein extrem hoher Berg, sondern kaum 7000 Meter hoch. Extreme Höhe kann ja durchaus subjektiv, also an den eigenen Kräften, der eigenen Erschöpfung gemessen, definiert werden. Wichtiger als die Gipfelhöhe war mir, dass der Weg dieser Brüder aus der virtuellen Realität ihrer Computer in die Wirklichkeit führen sollte, dorthin, wo Kälte, dünne Luft, die Erschöpfung und schließlich der Tod tatsächlich erlitten werden. Meine Figuren gehen ihren Weg aus der Virtualität in die Realität entlang einer vertikalen Linie, von ganz unten nach ganz oben.  Wittstock:   Was einen Bergsteiger an der Eroberung eines Gipfels reizt, ist für Nicht-Bergsteiger oft nur schwer zu begreifen. Was reizt einen Schriftsteller an Menschen, die ihr Leben einsetzen, um auf eine lebensfeindliche, eisgepanzerte Felsspitze in 7000 Meter Höhe zu klettern?  Ransmayr:   Solche Wege, ob sie nun in die extreme Höhe oder in die extreme Weite führen, sind immer auch Wege in die eigene Geschichte, ins Innere des Gehenden, Reisenden. Wer sich der Geschichten eines oder mehrerer Menschen annimmt, wer ihre Schicksale, Dramen, Tragödien oder Komödien erzählen will, möchte dies ja mit größtmöglicher Plausibilität und Klarheit tun. Große, „dramatische“, oft menschenleere Landschaften können dieser Klarheit sehr förderlich sein. Denn dort wird die Geschichte des Einzelnen so deutlich wie vielleicht nirgendwo sonst. Zudem erscheinen aber auch seine Begegnungen mit anderen, zunächst fremden Menschen, ihre Gesellschaft, vielleicht auch ihre Hilfe, nirgendwo kostbarer als in der Verlassenheit weit draußen.  Wittstock:   Die Besteigung eines Berges ist ein spannendes Abenteuer. Wie wird daraus ein Thema für die Literatur? Abenteuergeschichten bringt man sonst eher mit Genre-Geschichten in Verbindung.  Ransmayr:   Das ist für einen Erzähler keine besondere Frage. Warum sollte er sich darum kümmern, welcher Kategorie oder Schublade seine Geschichte schließlich zugeordnet wird? Auch Abenteuer-Geschichten können unzählige Ebenen haben, von denen die des reinen Geschehens bloß die einfachste und vordergründigste ist, wenn Schicht für Schicht darunter allmählich sichtbar wird, was die Protagonisten bewegt oder was sie treibt, und eine Expedition nicht nur in die Weite oder in die Höhe, sondern auch durch Seelenlandschaften führt.
Wittstock:   Wie weit gehen Sie als Schriftsteller, um die Abenteuer zu erleben, von denen Sie schreiben wollen?
Ransmayr:   Ich nehme die Plagen und Widrigkeiten, von denen man in Wüsten, in großen Höhen oder auf dem Meer bedrängt werden kann, nur zur Not in Kauf. Meine Leidensfähigkeit ist nicht sehr ausgeprägt. Ich bin und bleibe auch in den großen Gebirgen lieber Wanderer und Spaziergänger. Es gab zwar irgendwann den Gedanken, vielleicht einen der ganz großen Berge zu besteigen. Aber als ich dann in Tibet mit Höhen von knapp 6000 Metern konfrontiert war und die Luft dünn und dünner, die Kälte schneidend und die Windstärken umwerfend wurden, war die Einsicht nahe liegend, dass solche Weg nicht meine sind.
Wittstock:   Vielleicht ist die Arbeit als Schriftsteller schon Abenteuer genug?
Ransmayr:   Als Schriftsteller geht man solche Wege vielleicht bis zu einem gewissen Punkt, um dann innezuhalten und sie schreibend fortzusetzen.  Wittstock:   Riskieren Schriftsteller wie die Abenteurer ihr Leben bei der Arbeit? Der erste Satz von „Der fliegende Berg“ heißt: „Ich starb 6840 Meter über dem Meeresspiegel…“ Und man spürt, dass dieses „Ich“ als erstes Wort des Buches sehr bewusst gesetzt ist.  Ransmayr:   Natürlich kann die Arbeit am Schreibtisch, an der Erzählung, an der Sprache, nicht nur zu einer sehr ernsten, sondern auch zu einer gefährlicher Angelegenheit werden, und man kann an ihr auch zugrundegehen.
Wittstock:   In Ihrem ersten Roman „Die Schrecken des Eises und der Finsternis“ haben Sie das Abenteuer einer Nordpolar-Expedition zum Thema gemacht. Auch hier werden von den Romanhelden unter dem Einsatz des Lebens letzte weiße Flecke auf der Weltkarte erforscht – wie der unerforschte Gipfel in „Der fliegende Berg“. Weshalb sind solche weiße Flecken unbewohnbarer Landschaft für Sie als Schriftsteller ein so wichtiges Thema?
Ransmayr:   Irgendwo allein und der erste zu sein, heißt eben auch, mit allen seinen Fähigkeiten und Möglichkeiten allein zu sein und zu erfahren, wozu man im Stande ist. Aber das ist nur die eine Seite. Die andere und am Ende wichtigere Seite bleibt aber die Rückkehr. Wer aufbricht ins Unbekannte, ins noch nie Erreichte, der will irgendwann nichts als zurück, nach Hause, gleichgültig ob er nun sein Ziel erreicht hat oder gescheitert ist. Das leere, unbekannte Land zeigt ja auch den Wert der Welt, die man verlassen hat. Irgendwann wird jede Expedition geradezu beseelt von dem Gedanken zurückzukehren, denn hinter jedem noch so entlegenen Ziel kommt die Sehnsucht nach dem Vertrauten zum Vorschein. Wenn alles aus dem Ruder läuft oder Sturm und Lawinen alle Absichten zunichte machen, dann wird die Sehnsucht nach dem Ort, von dem aufbrach, am größten. Nie leuchtet dieser Ort heller als in den Augenblicken, in denen er schon verloren scheint.

Das Gespräch erschien in der „Welt“ vom 9. Januar 2010

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Der dumme Kult ums Original

Wolfgang Ullrich Essay „Raffinierte Kunst“ 

Jeder Berufsstand neigt dazu, seinen Mitgliedern und ihrer Arbeit größte Bedeutung beizumessen. Eine etwas unreflektierte, aber verständliche Selbstüberschätzung. Doch wenige Berufsgruppen dürften bei der eigenen Aufwertung so erfolgreich gewesen sein wie die Künstler. Über Jahrhunderte hinweg galten sie als bessere Handwerker, die mit mehr oder minder großem Geschick Auftragsarbeiten auszuführen hatten. Erst seit der Renaissance begannen sie sich zunächst zögerlich, mit Anbruch der Moderne dann immer radikaler von allen Ansprüchen zu emanzipieren, die an sie hätten herangetragen werden können. Die Kunsttheorie hat sie dabei lange nach Kräften unterstützt. Der Kult ums Genie, das keinen Regeln folgt, sondern – wie Kant schreibt – „der Kunst die Regel gibt“ wurde zur Selbstverständlichkeit, ja zur Norm. Wolfgang Ullrich, Professor für Kunstwissenschaft und Medientheorie in Karlsruhe, ist einer der hellsten und originellsten Köpfe, die sich gegenwärtig hierzulande der Kunsttheorie widmen. In mehreren Studien ging Ullrich der Frage nach, welchen Folgen diese schier grenzenlose Aufwertung und Befreiung der Kunst für die Kunst selbst hat. „Tiefer hängen“ ist der Titel eines seiner Bücher und zugleich wohl als Ratschlag zu verstehen angesichts der Glorifizierungsbereitschaft, die den Kunstbetrieb inzwischen prägt. In seinem neuen Essay „Raffinierte Kunst“ geht Ullrich der Bedeutung von Reproduktionen für Kunstwerke und Künstler nach. Bis zur Erfindung der Fotografie im 19. Jahrhunderts verdankten sogar die beliebtesten Gemälde oder Plastiken einen erheblichen Teil ihres Ruhmes den Kupferstichen oder Abgüssen, die beim kunstinteressierten Publikum kursierten – also Reproduktionen, die keineswegs in allen Details dem Original entsprachen. Solche Abweichungen wurden nicht zwangsläufig als Schwächen betrachtet, sondern oft genug als lehrreiche Varianten der zugrunde liegenden Kompositionsidee und ihrer Ausführung. Viele Künstler gingen enge Kooperationen mit Kupferstechern ein, da ihre Werke in Zeiten, in denen Reisen seltene Abenteuer waren, fast ausschließlich durch Stiche über das enge Lebensumfeld hinaus eine gewisse Bekanntheit erwerben konnten. Doch fühlten sich die Kupferstecher nicht zur sklavischen Nachschöpfung der Originale verpflichtet, sondern beanspruchten mitunter gewisse Freiheiten, um der jeweiligen Bildidee mit ihren Mitteln zu verstärktem, verfeinertem, noch raffinierterem Ausdruck zu verhelfen. Die besten von ihnen wurden von den Künstlern deshalb als Gesprächspartner und Kommentatoren hoch geschätzt, schreibt Ullrich: „Die Arbeit vieler Künstler fand also in Auseinandersetzung mit den Interpretationen ihrer Entwürfe statt; sie wurden dadurch kontrolliert und hatten auf Fragen zu antworten, die sich durch die Reproduktionsgrafik stellten.“ Aber auch die Kunstkenner hatten damals eine andere Position. Da von wichtigen Werken zumeist verschiedene Stiche im Umlauf und die Originale selten erreichbar waren, blieb ihnen ein Interpretations- und Ermessensspielraum: Sie waren in ihrer Vorstellungskraft und ihrem Geschmacksurteil gefordert, welche der Reproduktionen ihrem Empfinden nach die höchste ästhetische Ausstrahlungskraft entfaltete. Der Betrachter wurde so in eine aktivere Rolle versetzt: Da er das Werk in verschiedenen Kopie-Varianten vor Augen bekam, war er implizit immer dazu aufgefordert, das Gesehene nicht gläubig hinzunehmen, sondern es kritisch prüfend und abwägend seinem Urteil zu unterwerfen. Mit der Moderne und vor allem mit der Erfindung der Fotografie als Reproduktionsmedium ändert sich dieses Verhältnis gründlich. Die Fotografie macht alle bedeutenden Kunstwerke im Laufe des 20. Jahrhunderts fast überall zugänglich. Allerdings ist das Foto keine Interpretation des Werkes mehr, wie es der Stich war, sondern ein Abklatsch, und macht das Original so zur einzig gültigen Norm. Das Original wird zum Fetisch und seine Betrachtung im Museum zum kunstreligiösen Hochamt, das auf die Überwältigung der ehrfürchtigen Besucher zielt. Sobald sich, schreibt Wolfgang Ullrich, mit dem Kupferstecher zwischen Künstler und Publikum ein Interpret schiebt, entwickelt sich „ein Sinn für Differenzen und damit ein Pool an Kriterien, eine reich nuancierte Sprache. Das Reproduktionswesen wird dann zu besten Schule des Geschmacks.“ Aber seit wir mit den Originalen und ihren fotografischen Abbildern allein bleiben, „hat der Diskurs gerade über Malerei eine entscheidende Dimension verloren: Vorbilder, die nicht übersetzt werden, nimmt man einfach hin.“ Die Genieästhetik, die alles vom Künstler und vom Original erwartet, hat die Kunst auf diese Weise sicher ärmer und weniger raffiniert werden lassen.

Die Rezension erschien in der „Welt“ vom 2. Januar 2010

Wolfgang Ullrich: „Raffinierte Kunst“. Übung vor Reproduktionen Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2009 156 Seiten, 22,90 Euro. ISBN 978 5 8031 5178 0

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