Eine Ausstellung und ein Katalog zum Werk des Satirikers Chlodwig Poth
Ein Satiriker lebt von seinem Zorn. Er darf alles, schon weil die Satire alles darf. Nur freundlich oder milde sein, das darf der Satiriker nicht. Andererseits muss die Welt auch nicht sonderlich freundlich zu dem Satiriker sein, schließlich soll sein Zorn nie verrauchen. Vielmehr ist es die Aufgabe der Welt, diesen Zorn zuverlässig zu schüren und anzustacheln. Damit sich der Satiriker nach Herzenslust weiter über die Welt ärgern und sie unermüdlich bekämpfen kann. In diesem Sinne hatte Chlodwig Poth (1930 – 2004) ein wunderbar erfülltes, ein rundum glückliches Satirikerleben. Das Frankfurter Museum für komische Kunst „Caricatura“ widmet seinem Werk jetzt, kurz bevor im April Poths achtzigster Geburtstag zu begehen ist, eine große Retrospektive: „Poth für die Welt“. Diese Ausstellung ist so etwas wie ein grimmiger Schnelldurchgang durch die deutsche Geschichte seit 1945 – im buchstäblichen Sinne aufgezeichnet von einem unerbittlichen Beobachter, der nicht aufhörte, das lausige Reale am lauteren Ideal zu messen. Der Start ins Satirikerdasein wurde Poth leicht gemacht. Mit noch nicht ganz 15 Jahren saß er mit seinen Eltern nächtelang in Berliner Luftschutzbunkern und hatte nicht nur viel Zeit zum Zeichnen, sondern auch eine Menge Gelegenheit seinen Zorn auf Mitwelt und Mitmensch zu befeuern. „Wir weerdän weitär maaarschieerän – wäänn allääs in Schärbään fällt“, heißt der Text zu einer im März 1945 entstandenen Bildergeschichte, die dämlich gröhlende Hitler-Jungen zeigt, während um sie her alles wunschgemäß in Scherben fällt. Heute muss man dankbar sein, dass diese frühen Arbeiten Poths damals kein ungebetenes Publikum fanden. Manch einer, wie der Cartoonist E.O.Plauen („Vater und Sohn“), verloren für geringere Anzeichen von Nazi-Gegnerschaft im Gefängnis ihr Leben. Nach dem Krieg veröffentlichte Poth seine ersten Karikaturen in der Ost-Berliner Zeitung „Neues Leben“. Gerade 17jährig startete er dann ein eigenes Satiremagazin „Der Igel“ mit dem bemerkenswerten Untertitel „Sticht nach allen Seiten“. Es entstand in Heim- und Handarbeit in einer Auflage von monatlich exakt einem Exemplar. Mit dem Credo, nach allen Seiten zu stechen, machte sich Poth an der Ost-Berliner Kunsthochschule in Weißensee dann so unbeliebt, dass er relegiert wird und bald darauf als freier Witzzeichner für Illustrierte und Redakteur einer Werkszeitung nach Frankfurt wechselt. Der Siegeszug der Neuen Frankfurter Schule durch die Scherzgebirge und Witzlandschaften Deutschlands ist schon oft beschrieben worden. Weniger bekannt dagegen ist, dass Chlodwig Poth und Hans Traxler (der im vergangenen Jahr seinen 80. Geburtstag feierte) seit 1955 den Kristallisationskern jener Satiriker-Kultur Frankfurts bildeten, die bis heute eine so erstaunliche Vitalität und Anziehungskraft auf immer neue Komik-Talente zeigt. Beide, Poth und Traxler, gehörten – zusammen mit Verleger Hans A. Nikel – zu den Gründervätern der Satire-Zeitschrift „Pardon“ und später, als Verleger Nikel sein Heft in peinlich esoterische Gefilde steuerte, zu den Mitgründern des bis heute erfolgreichen Konkurrenz-Magazins „Titanic“. Zu den wohl unausrottbaren Vorurteilen über die Neue Frankfurter Schule zählt die Ansicht, die ihr zugerechneten Autoren und Zeichner gehörten ausnahmslos der politischen Linken an. Tatsächlich hält sich hartnäckig das Gerücht, Poth habe Haare und Bart sprießen lassen, um – durchaus mit Erfolg – eine auffällige Ähnlichkeit mit seinem Lieblingsphilosophen Karl Marx zu entwickeln. An seiner Grundüberzeugung, ein Satiriker habe igelgleich nach allen Seiten zu stechen, änderte das jedoch nichts: Während der sechziger und siebziger Jahren machte sich Poth in seiner Cartoonserie „Mein progressiver Alltag“ vorzugsweise über das Milieu der studentenbewegten Menschheitsbeglücker her und konnte das aus der Serie entstandene Buch auf den Bestsellerlisten platzieren. Um 1990 wandte er seinen Zorn vorübergehend intensiv dem Berufsstand der Immobilienmakler zu, denn ein besonders unangenehmes Exemplar der Gattung hatte ihn aus seiner Frankfurter Stadtwohnung herausgeklagt. Doch was zunächst als biographisches Unglück erschien, erwies sich als künstlerischer Glücksfall: Poth verschlug es aus dem gutbürgerlichen Holzhausen-Viertel in ein architektonisches Katastrophengebiet namens Sossenheim am Frankfurter Stadtrand. Eine von Schwer- und Schwerstverkehr stark frequentierten und gleichwohl bewohnte Durchfahrtsstraße, hat Poth diesen Stadtteil einmal genannt, oder auch ein zwischen Autobahnen und großen Chemiewerken eingeklemmten „Gebäudehaufen ohne Gesicht, Eigenart und Charme“. Was könnte besser sein für den Zorn des Satirikers? Der künstlerischen Dokumentation dieses städtebaulichen Unorts, der zahllosen anderen Stadträndern in Deutschland zum Verwechseln ähnlich sieht, hat Poth die letzte Phase seines Zeichnerlebens gewidmet. Fast 14 Jahre lang hielt er mit farbigen Tuschen und Aquarellfarben auf Papier diesen Albtraum aus Eternit, Beton und Glasbausteinen Haus für Haus, Straße für Straße fest. So entstand, wie sein Kollege Traxler schreibt, ein „Werk aus einem Guss: Stilsicher, treffsicher und ohne den Wunsch, zu gefallen. Auf so einen Gedanken wäre er nie gekommen.“ Unter den Mit-Sossenheimern hat sich Poth damit keine Freunde gemacht – zumal er in seine Straßenansichten sehr zeitgenössische Gestalten in Jogginganzügen, Fliegerjacken oder grellfarbigen Leggings zu zeichnen pflegte, denen er in Sprechblasen ausgesucht widerliche Sätze unterschob. „Du bist ein begnadeter Lügner“, sagt da eine ältliche Ehefrau zu ihrem Mann, „wenn du nicht so entsetzlich träge wärst, hätten wir es damit sehr weit bringen können.“ Oder ein alerter Vertretertyp mit Anzug, Schnauz und Scheidungsabsichten resümiert: „Der Abschluss bringt übern Daumen 30 Mille Provision. Jetzt muss es der 190er sein. Und das ist das Aus für Lisa. Fürn Benz hatse zu dicke Beine.“ Unter dem Titel „Last Exit Sossenheim“ publizierte die „Titanic“ bis zu Poths Tod Monat für Monat Blätter dieser bitter-illusionslosen Bestandsaufnahme vom Rand der Städte und der Gesellschaft Deutschlands. Die Frankfurter Ausstellung zeigt einen repräsentativen Querschnitt aus diesem enormen Zyklus. Nur zwei Sossenheimer haben sich je, so erinnert sich die Witwe Anna Poth, zum Kauf eines dieser Bilder entschließen können: „Der eine davon wollte auswandern.“
Der Artikel erschien in der „Welt“ vom 12. Februar 2010
Chlodwig Poth: „Poth für die Welt“. Sossenheim ist überall
Verlag Antje Kunstmann, München 2010 143 Seiten, 19,90 € ISBN 3-88807-405-4