»Mit dem Fremden vertraut«

Ein Gespräch mit dem weltreisenden Schriftsteller Christoph Ransmayr über Neugier, rätselhafte Begegnungen und seinen »Atlas eines ängstlichen Mannes«

Uwe Wittstock:   Herr Ransmayr, sind Sie ein ängstlicher Mann?
Christoph Ransmayr: Ja, aber ich leide nicht darunter, das wäre dann handfeste Angst. Ängstlichkeit ist eine Spielform der Wachsamkeit und Vorsicht. In dieser Haltung nimmt man die Welt genauer und vollständiger in den Blick, denn der Ängstliche lebt nicht nur in der Gegenwart, sondern zugleich in der Vergangenheit und Zukunft: Er bedenkt, was in ähnlichen Situationen früher einmal geschah, und was ihm also auch drohen könnte.  Uwe Wittstock:   Wer Ihr Buch „Atlas eines ängstlichen Mannes“ liest, hat nicht den Eindruck, dass Sie Risiken scheuen. Es gibt kaum eine Weltgegend, die sie nicht schon besuchten.  Christoph Ransmayr: Die Risiken meiner Reisen sind immer kalkulierbar. Ich bereite mich ja vor und überlegt genau, worauf ich mich einlasse. Wogegen man zu Hause, im trügerischen Schutz der vertrauten Umgebung, sämtliche soziale Netze auffangbereit vor Augen, leicht in irgendwelche Fallen oder eben vor den Kühlergrill des nächsten Sattelschleppers läuft.
Uwe Wittstock:   Sie waren auf Vulkanen, in Wüsten, am Nordpol, auf entlegensten Inseln oder hohen und allerhöchsten Bergen. Was treibt sie zu diesen extremen Reisen? Abenteuerlust?
Christoph Ransmayr: In erster Linie die Neugier und das Bedürfnis, genauer zu erfahren, wie es dem Nachbarn geht – gleichgültig, ob dieser Nachbar nun weit unterm Horizont in einer anderen Hemisphäre lebt oder gleich nebenan. Eine Reise, so wie ich sie verstehe, ist keine Frage großer Entfernungen. Das Fremde und Unbekannte kann auch in der Gasse gegenüber oder an der nächstbesten Bushaltestelle auf einen warten.  Uwe Wittstock:   Verbirgt sich hinter ihrer Ruhelosigkeit eine Neigung zur Flucht? Zumindest lassen die Geschichten, die Sie von ihrer österreichischen Heimat erzählen, nicht vermuten, Sie fühlten sich dort sonderlich wohl.
Christoph Ransmayr: Wer aufbricht, lässt immer etwas zurück, entweder freiwillig oder mit Wehmut. Es ist oft nicht einfach zu entscheiden, welches der beiden Elementen überwiegt. Ich glaube, für mich ist es eher die Verlockung der Ferne, die mich dazu bringt, mich auf und davon zu machen – und nicht der Wunsch, von dem Ort zu fliehen, an dem ich mich gerade befinde.
Uwe Wittstock:   Was verlockt sie denn an fernen Ländern?
Christoph Ransmayr: Auf die Gefahr hin, mich lächerlich zu machen, behaupte ich: Es gibt keine Länder, es gibt nur Menschen. Natürlich gibt es Schauplätze und Landschaften, die einen oft grandiosen Hintergrund abgeben, vor dem sich dann Dramen, Komödien oder Katastrophen zutragen. Aber das Erste, was ich auf Reisen sehe, sind immer die Menschen. Wenn vor dem schroffesten Hochgebirgszug ein Wanderer durch den Schnee stapft oder am wunderbarsten tropischen Strand ein Mann im Sand sitzt, ist es dieser Mensch, der mich interessiert, seine Geschichte, seine Suche nach Glück oder seine Furcht vor Unglück. Mein Buch handelt nur in zweiter Linie vom Reisen, zuallererst sind in meinem Atlas Begegnungen mit Menschen verzeichnet und nicht Gebirge, Meere, Inseln oder Vulkane.
Uwe Wittstock:   Was haben Sie bei diesen Begegungen entdecken können als Ursache für Glück und Unglück?
Christoph Ransmayr: Zum Ersten, was man entdeckt, gehört natürlich, dass es für Glück und Unglück keine Rezepte gibt. In keine Kultur, in keiner Religion. Doch sobald von Glück die Rede ist, muss man aufpassen, nicht ins Schwafeln zu geraten. Es ist möglich, vom Glück zu erzählen, von einzelnen, einmaligen Augenblicken, in denen ein einzelner, einmaliger Mensch Glück erlebt. Und vielleicht ist es sogar möglich, so davon zu erzählen, dass andere lesend eine ferne Ahnung dieses Glücks miterleben. Aber sobald jemand über Glück im Allgemeinen spricht, endet alles unausweichlich in Schwafelei, denn Glück im Allgemeinen gibt es nicht.
Uwe Wittstock:   Die wirklich wichtigen Reisen, heißt es, finden nicht in der Welt, sondern im Kopf statt.
Christoph Ransmayr: Ich würde niemals versuchen, jemanden zum Reisen, zum Aufbruch in die Welt zu verführen. Ich bin kein Missionar. Aber Reisen im Kopf können doch nur stattfinden, wenn irgendjemand tatsächlich einmal aufgebrochen ist und Nachrichten von Unbekanntem aus der Fremde heim gebracht hat, die dann die Phantasie der zu Hause Gebliebenen beflügelten. Wenn ich nur in meinem Kopf bleiben will, ohne mir je Berichte derer anzuhören, die in die Ferne und zu anderen Menschen aufgebrochen sind, dann bleibe ich gefangen in mir und komme auch mit aller Phantasie nicht über ich selbst hinaus. Da gibt es dann keinen Kontakt mehr, sondern nur Selbstgenügsamkeit. Mir würde das nicht reichen.
Uwe Wittstock:   Das letzte Wort Ihres Buches heißt „angekommen“. Gibt es für Sie, aller Ruhelosigkeit zum Trotz, das Gefühl angekommen zu sein?
Christoph Ransmayr: Das gibt es auf fast jeder Reise in irgendeinem Moment. Ich sitze an einem Tisch mit anderen Menschen oder liege allein in einem Zelt oder gehe durch eine Landschaft und habe mit einem Mal das Gefühl, dieses Augenblickes wegen bin ich aufgebrochen und hierher gefahren, jetzt bin ich da, jetzt bleibt nichts offen. All die unentwegten Gedanken und Fragen hören auf: Möchte ich noch zwei Tage weiter gehen? Muss ich noch diese Stadt oder jenes Tal sehen? Sollte ich noch den Verbindungsflug zu der anderen Insel buchen? All das verlöscht. Der Zweifel, ob der Ort, an dem ich mich gerade befinde, der richtig ist, hört auf und ich bin da und es ist gut.

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Fanfarenstoß aus voller Kehle

„Geister, Cowboys“ heißt die erste Short-Story-Sammlung der Amerikanerin Claire Vaye Watkins. Ihr englischer Originaltitel ist „Battleborn“. Das Buch macht sie zu einer Hoffnungen der US-Literatur   Jedes Mal, wenn ein Produzent zu ihr kommt, der das Leben ihres Vaters verfilmen will, lässt sie sich ins beste Restaurant ihrer Stadt einladen. Dort erzählt sie dann, was sie vom Vater weiß. Wie früh er starb, wie stark er auf Frauen wirkte – und dass er kein Mörder war. Es ist gut, das klarzustellen. Denn ihr Vater war die rechte Hand von Charles Manson, jenes Sektenführers, dessen „Manson Family“ im Sommer 1969 in Kalifornien sieben Menschen ermordete. Darunter die schwangere Schauspielerin Sharon Tate, Ehefrau des Kinoregisseurs Roman Polanski („Der Pianist“). In einen dieser Filmproduzenten verliebt sie sich, er heißt Andy und hat ein unglaubliches Lächeln. Ihm erzählt sie buchstäblich alles über ihren Vater, über die Wüste Nevadas, in der er lebte, über ihre Mutter, die sich nach seinem Tod umzubringen versuchte. Schließlich küssen sich die beiden: „Ein Kuss, als wären wir ineinander hineingefallen.“ Dann aber schickt sie ihn weg, endgültig, denn sie weiß, zu einem so glücklichen, so heilen Menschen wie Andy wird sie mit ihrer Vergangenheit niemals passen. Die Amerikanerin Claire Vaye Watkins, 28, hat sich die erste Geschichte ihres ersten Buches hautnah auf den eigenen Körper geschneidert. Ihr Vater Paul Watkins war tatsächlich der „chief lieutenant“ in Charles Mansons bizarrer „Family“. Doch beteiligt hat er sich an deren Morden nicht und vor Gericht gegen die Sektenmitglieder ausgesagt. Dennoch ist die Erzählung nicht schlicht autobiografisch, sondern zielt auf mehr: auf die Erfahrung, das naive Vertrauen zum Leben ein für alle Mal verloren zu haben und keinen Weg mehr zurückzufinden in die Welt unbeschädigter Menschen. „Mein Vater starb, als ich sechs Jahre alt war. Meine erste Erinnerung ist sein Tod“, erzählt Claire Vaye Watkins im Gespräch mit FOCUS: „Mein Verhältnis zu ihm war immer das einer Suche: Wer war er? Was für eine Art Mann war er? Seine Verstrickungen in die ,Manson Family’ war ein Teil dieser Suche, aber eben nur ein Teil.“ Man täte „Geister, Cowboys“, dem wunderbaren ersten Buch von Claire Vaye Watkins, übel Unrecht, rückte man allein die spektakuläre Familiengeschichte seiner Autorin in den Vordergrund. Der Band enthält zehn Erzählungen, von denen einige zu den besten amerikanischen Short Storys der letzten Jahre gehören. Als die Sammlung jetzt in den Vereinigten Staaten erschien, begeisterte sich die Kritikerin der ehrwürdigen „New York Times“: „Wenn die Bedeutung eines Debüts darin besteht, das Talent eines neuen Schriftstellers anzukündigen, dann ist ’Geister, Cowboys’ ein Fanfarenstoß aus voller Kehle.“ Fast alle Geschichten sind in der Wüstenlandschaft Nevadas angesiedelt, in der Claire Vaye Watkins aufwuchs, oder in Glitzerstädten wie Las Vegas und Reno, die aus der glutheißen Ödnis aufragen wie gigantische Ufos. Diese endlose Weite prägt die Figuren der Erzählungen. Das Gefühl, verloren und ohne jeden Halt zu sein, ist für sie immer nur einen kleinen Schritt entfernt. Es sind Leute wie Manny, der schwule Chef eines Bordells irgendwo im Nirgendwo, der sich in einen jungen italienischen Kunden verliebt, aber dabei zusehen muss, wie eine seiner cleveren Prostituierten den Burschen über Tage hinweg systematisch ausnimmt und ihm schließlich das Herz bricht. Oder wie zwei blutjunge Mädchen, die auf die untaugliche Idee kommen, nachts 100 Meilen bis nach Las Vegas zu fahren, um dort ihren Liebeskummer mit ein paar wildfremden Jungs zu betäuben. Die Fähigkeit von Claire Vaye Watkins, die unterschiedlichsten Charaktere glaubwürdig vor Augen zu rücken, ist beeindruckend. Fast alle erweisen sich als gefährdete Menschen, fast immer kommt das Gefühl von Schuld mit ins Spiel. Sie sind wie Seiltänzer, die ihr Gleichgewicht verloren haben und nun panisch ins Leere greifen, um irgendetwas zu finden, das sie retten könnte. Manches davon kommt einem gar nicht spezifisch amerikanisch, sondern erstaunlich vertraut vor. Da sind Danny, Julie und Iris zum Beispiel, drei Jugendliche im Collage-Alter, die sich in ihrer ironischen Abgeklärtheit gegen alles gepanzert fühlen, was ihnen jemals gefährlich werden könnte. Für sie zählt nur die brillante Geste, die Coolness, die sarkastische Lässigkeit. Bis Iris sich in Danny verliebt und ihr die Sehnsucht keine ironischen Spielräume mehr lässt. Die drei, sagt Claire Vaye Watkins, „machen eine Menge albernes Zeug, um sich dann brüsten zu können, albernes Zeug gemacht zu haben. Sie saufen auf Friedhöfen oder in Hochzeitskapellen, damit sie sagen können, dort gesoffen zu haben. Und zu unserem digitalen Zeitalter gehört, dass sie all ihre Heldentaten in Echtzeit fotografisch dokumentieren.“ Claire Vaye Watkins ist nicht nur eine großartige Erzählerin, sondern sie versteht sich auf die rare Kunst, das besondere Klima unserer Gegenwart in einigen ihrer Geschichten so zu verdichten, dass es sichtbarer, spürbarer wird, als es im Alltag ist. Sie erzählt dabei locker, unangestrengt, wie nebenher, und doch hat man, sobald man sich ihrem Buch anvertraut, das Gefühl, manche Dinge klarer zu sehen als zuvor.

Die Rezension erschien am 10. September 2012 im Nachrichtenmagazin „Focus“

Claire Vaye Watkins: „Geister, Cowboys“. Short-Stories  Ullstein Verlag, Berlin 2012 Übersetzt von Dirk van Gunsteren 300 Seiten, 19,99 Euro ISBN 978-3550088827

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»Krawall und Tote und Sex«

Hat der Feuilletonchef der »Süddeutschen Zeitung« den Mitherausgeber der »Frankfurter Allgemeinen« im Roman ermordet? Im Kulturbetrieb schlagen die Wellen hoch.
Ein Racheakt unter Konkurrenten?   Die „Süddeutsche Zeitung“ (SZ) hat es derzeit nicht leicht. Erst musste Heribert Prantl, Mitglied der Chefredaktion, eingestehen, in einer Reportage den Eindruck erweckt zu haben, er sei an einer Szene beteiligt gewesen, obwohl er sie nur vom Hörensagen kannte. Ein journalistischer Regelverstoß, für den dem „Spiegel“-Journalisten René Pfister 2011 der Henri-Nannen-Preis aberkannt wurde. Jetzt stellt sich heraus: Thomas Steinfeld, Feuilletonchef der SZ, ist Co-Autor des unter dem Pseudonym Per Johansson erschienenen Krimis „Der Sturm“. In dem Buch wird ein Journalist ermordet, der auffällige Ähnlichkeiten mit Frank Schirrmacher hat, dem Mitherausgeber des Konkurrenzblatts „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ). Ein „publizistischer Racheakt“, wie die Tageszeitung „Welt“ vermutet? Steinfeld war früher Literaturchef der FAZ und Untergebener von Schirrmacher, bis Steinfeld 2001 – angeblich im Streit – zur SZ wechselte. Die Beweislage der „Welt“ ist dünn, aber nicht von der Hand zu weisen. Von dem Christian Meier genannten Mordopfer heißt es im Roman, er sei sensationell erfolgreich gewesen mit Artikeln “über die Macht der Netzwerke, die Zukunft der Roboter und die Allmacht der Gentechnik“. Was recht präzise die Themenschwerpunkte Schirrmachers in den vergangenen Jahren beschreibt. Zudem zitiert Steinfeld gegen Ende des Buchs einen Artikel des getöteten Journalisten, der den pathetischen, dunkel trommelnden Stil Schirrmachers parodiert. Das ist kein versehentlicher, sondern ein gezielter Hinweis auf den FAZ-Mann. Andererseits verschwieg die „Welt“ zunächst einige Züge der ermordeten Romanfigur, die im deutlichen Widerspruch zu Schirrmachers realer Rolle stehen. So beschreibt Steinfeld den Toten als Chef einer „Boulevardzeitung“, die sich vorzugsweise mit „Krawall und Toten und Sex“ beschäftige. Eilig werden in der Literaturszene nun Parallelen gezogen zu dem 2002 erschienenen Roman „Tod eines Kritikers“, in dem Martin Walser lustvoll den Mord an einem Journalisten ausmalt, der stark an Marcel Reich-Ranicki erinnert. Doch der Vergleich hinkt. Walser siedelte sein Buch im Milieu des Kulturbetriebs an, und der angeblich Ermordete spielt darin ein wichtige Rolle. In Steinfelds langatmigem, stilistisch hausbackenem Krimi tritt das Mordopfer gar nicht auf. Der Leser lernt Meier nur als Leiche kennen. Nüchtern betrachtet, lässt sich Steinfelds „Sturm“ auch nicht als später Racheakt am früheren Vorgesetzten verstehen. Im Roman wird der Tote zwar, wie Schirrmacher im Leben, wegen seines wenig feinfühligen Umgangs mit Mitarbeitern kritisiert. Zugleich aber als „journalistisches Genie“ gefeiert. Ist der vermeintliche Rachefeldzug also eine heimliche Liebeserklärung? Im Gespräch mit „Focus“ nennt Steinfeld seine Figur ein „Amalgam“ aus mehreren bekannten Journalisten und zudem ein Selbstporträt: „Da stecke ich drin, in hohem Maße.“ Sieht sich Steinfeld also als „journalistisches Genie“? Tatsächlich neigt der Kulturchef der SZ dazu, Kollegen spüren zu lassen, wie haushoch überlegen er sich ihnen glaubt. Dass Steinfelds Debüt als Krimi-Autor nun zum heftig debattierten Konferenzthema in der SZ wurde, sollte niemanden verwundern. Der S. Fischer Verlag, in dem Steinfelds „Sturm“ erschien, beginnt, von seinem Autor abzurücken: In einer Erklärung bedauert er „zutiefst“ die Möglichkeit, „Stellen des Romans auf eine konkrete Person“ zu beziehen. Kniefall vor dem einflussreichen Schirrmacher? Wie leichtfertig der Verlag bei diesem Buch vorging, lässt sich auch daran ablesen, dass Steinfelds Pseudonym auf dem Buchrücken „Johannson“, in der Titelei aber „Johansson“ geschrieben wird. Vor allem aber scheint Steinfeld Opfer eines Trends im literarischen Leben Deutschlands zu sein, den er selbst befördert hat. Immer häufiger werden Romanfiguren hierzulande nicht als literarische Schöpfungen verstanden, sondern als Porträts realer Vorbilder. Maxim Billers Roman „Esra“ wurde 2007 verboten, weil sich eine Ex-Geliebte in dem Buch wiederzuerkennen glaubte. Im Gespräch mit „Focus“ lehnt Steinfeld solche „Personifikationen“ heute ab und erklärt es für falsch, auf diese Weise „Literatur in Leben zu überführen“. Während der Prozesse um „Esra“ hatte er jedoch keine Probleme, in Billers Romanfiguren reale Personen wiederzuerkennen. Damals schrieb er, Literatur „darf nicht Waffe sein im persönlichen Umgang von Menschen miteinander. Sie darf nicht der privaten Abrechnung dienen.“ Hätte Steinfeld seine selbst ersonnenen Dogmen ernst genommen, er wäre heute um einige Sorgen ärmer.

Der Artikel erschien im Nachrichtenmagazin „Focus“ am 20. August 2012

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Von der Lust beim Schinden des Körpers

Evi Simeoni erzählt in ihrem Roman „Schlagmann“ von den Rätseln im Leben der Sportler 

Die diesjährige Fußball-EM ist bereits Geschichte. Tour de France und Wimbledon sind es auch. Ersatzweise offeriert uns der Sport-Sommer derzeit die Olympischen Spiele in London. Auch nicht schlecht. Für Fernseh-Unterhaltung ist weiterhin in ausreichendem Maße gesorgt. Da darf sich keiner beklagen. Ich schon gar nicht. Vielleicht ist das aber auch ein prächtiger Zeitpunkt für ein Buch, das nicht nur vom Glanz des Sports erzählt, sondern auch von seinen Tragödien. Wie der Roman Schlagmann (Klett-Cotta) von Evi Simeoni zum Beispiel. Die Autorin ist eine erfahrene und mehrfach preisgekrönte Sportreporterin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Sie erzählt die Geschichte eines Olympiasiegers, die Geschichte eines großartigen Ruderers und Modell-Athleten, der mit dem Deutschland-Achter Gold holt und landauf, landab entsprechend gefeiert wird. Doch nach seinem Abschied vom Sport scheitert der Mann, denn er leidet an Magersucht, verweigert über Jahre eine ausreichende Ernährung, bis er buchstäblich vor den Augen seiner ehemaligen Trainer und Sportkameraden und seiner Freundin verhungert. Eine haarsträubende Geschichte, aber Evi Simeoni hat sie nicht an den Haaren herbeigezogen. Der Lüneburger Bahne Rabe gewann als Schlagmann des Deutschland-Achters bei den Olympischen Spielen 1988 in Seoul die Goldmedaille, später wurde er Weltmeister im Vierer. Doch nach seinem Abschied vom Leistungssport wurden seine seelischen Probleme immer stärker. 2001 starb er an Magersucht. Das ist beileibe nicht der einzige prominente Fall eines psychisch erkrankten Spitzensportlers. Mir fallen ohne lange nachzudenken drei weitere ein: Die große Fußball-Hoffnung Sebastian Deisler beendete wegen Depressionen früh seine Karriere, den Ski-Springer Sven Hannawald ging es ähnlich. Bundesliga- und National-Torwart Robert Enke brachte sich um. Doch Evi Simeoni schreibt keine Biographie über Bahne Rabe. Sie übernimmt für ihren Roman nur ein paar Fakten von dem Fall Rabe und erzählt ansonsten eine frei erfundene Geschichte. Es geht ihr in ihrem Buch vor allem um das Verhältnis des Hochleistungssportlers zu seinem Körper, zum permanenten Konkurrenz-Druck und zur Frage, was er bereit sind, sich für den Erfolg anzutun. Der Held des Romans heißt Arne Hansen, ein Journalist recherchiert dessen Lebensweg von der Goldmedaille bis zum Hungertod in Gesprächen mit der ehemaligen Freundin und einem Sportkameraden Hansens. Evi Simeoni versteht all das spannend zu erzählen. Sie kennt das Milieu der Sportler und ihrer Trainer genau. Sie kann die fiebernde Wettkampf-Atmosphäre wunderbar beschreiben, kurz: Sie ist eine großartige Sportreporterin. Aber für sie zählen eben nicht nur die Ergebnisse, sie interessiert sich für die Menschen im Sport, ihre großen Kämpfe, Dramen, Schicksale. Sie zeigt, wie ihr Held Hansen zunächst dafür bewundert wird, dass er seinen Körper in Training und Wettkampf gnadenlos schindet und sie zeigt, dass alle Wegbegleiter zunächst wegschauen und schließlich hilflos daneben stehen, als Hansen seinen Körper hungernd zu Tode schindet. Besonders gut gefallen haben mit die Passagen, in denen Evi Simeoni vorführt, wie selten die Augenblicke des Erfolges und Triumphes für Spitzensportler sind – und wie endlos ihre Trainingsqualen, wie zahllos ihre Verletzungsrisiken und wie unvermeidlich die Körperschäden, die sie langfristig in Kauf nehmen. Warum tun sie sich das an? Bei märchenhaft honorierten Fußballern, Tennis-Profis oder Basketball-Stars leuchtet das aus finanziellen Gründen möglicherweise ein. Aber in den zahllosen unterbezahlten Randsportarten wie Rudern bleibt es nüchtern betrachtet ein Rätsel. Einfache, handliche Antwort auf solche Fragen liefert Evis Simeoni nicht. Aber sie deutet etwas an, dass ich zumindest für bedenkenswert halte: Der Romanheld Hansen geht reichlich lieblos mit seiner Freundin um. Im Grunde interessiert er sich kaum für sie, hat wenig übrig für romantisches Geplänkel zu zweit oder auch schlicht für Sex. Dennoch gibt das Mädchen nicht auf, ihrem Ruder-Recken nachzulaufen, ihn zu umschmeicheln und anzuhimmeln. Mehr noch: Je mehr er sich entzieht, desto wichtiger und unersetzbarer wird er für sie. Erst spät und unter großem Liebeskummer begreift sie, wie sehr sie sich selbst mit ihrer Leidenschaft schadet. Vielleicht ist es mit der Liebe der Sportler zum Leistungssport ähnlich? Liegt ihm möglicherweise ein vergleichbares psychologisches Muster zugrunde? Stacheln die Erfolge, die sich nur selten und unter großen Opfern einstellen, unsere Leidenschaft besonders an? Sind wir gerade für sie bereit, Leiden zu akzeptieren, die über jedes vernünftige Maß hinausgehen? Evi Simeoni lässt das in ihrem Roman nur behutsam und indirekt anklingen. Sie will daraus keine aufwendige sportpsychologische Theorie machen und das ist gut so. Sie präsentiert ein paar der Rätsel des globalen Sport-Zirkus’, aber sie gibt nicht vor, sie endgültig lösen zu können. Morgen, am Mittwoch, um 11.30 Uhr wird in London das Finale der Ruder-Achter ausgetragen. Das deutsche Boot hat wieder einmal gute Gold-Chancen. Manche Kenner behaupten, die acht Männer an den Auslegern seien unschlagbar. Zumindest auf dem Wasser.

Evi Simeoni: „Schlagmann“. Roman Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2012 276 Seiten, 19,95 Euro ISBN 978-3-608-93969-9

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Das Ende eines Mythos

Martin Walsers Roman „Angstblüte“
Wie gern hätte ich diesen neuen Roman von Martin Walser gelobt. Denn erstens ist seit seiner Friedenspreisrede und der knalldummen Schwarte „Tod eines Kritikers“ die öffentliche Generalabrechnungen mit Walser fast schon zu so etwas wie einem festen Genre der Literaturkritik geworden. Da wäre es natürlich viel lustiger und origineller, zu einer Hymne auf sein neues Buch auszuholen, und es allen mal wieder so richtig zu zeigen, was für Mordsautor dieser Walser doch ist. Zweitens feiert Walser im kommenden Jahr fünfzigjähriges Romanjubiläum. Sein erster Roman „Ehen in Philippsburg“ erschien 1957, also vor bald einem halben Jahrhundert. Seither hat Walser, falls ich richtig gezählt habe, den geneigten Lesern 19 weitere Romane in die Regale geräumt und ist damit längst zu einem unvermeidlichen Teil der deutschen Literaturgeschichte geworden. Welchen Sinn hat es da, an den Schwächen des jüngsten Produkts auf dem Fließband herumzunörgeln? Wäre es nicht schöner, dessen Stärken herauszustreichen und alles andere den Lesern zu überlassen, die ja inzwischen die eingeführte Marke Walser bestens kennen? Doch, es geht nicht. Natürlich hat dieser neue Roman „Angstblüte“ auch starke Momente, natürlich kann man einige hübsche Beobachtungen, kluge Gedanken und bemerkenswerte Sätze daraus zitieren. Und natürlich könnte man versuchen, ihn angemessen einzuordnen in Walsers Gesamtwerk (also irgendwo zwischen den Romanen „Jagd“ und „Ohne einander“) und ansonsten in noblen Zwischentönen anklingen lassen, daß man das Buch nicht eben für ein Meisterwerk hält. Damit wäre man als Kritiker fein raus – und zugleich schreiend ungerecht anderen Autoren gegenüber, die nicht den jahrzehntelang gepäppelten Nimbus Walsers genießen, und deren Romane oft an strengeren Maßstäben gemessen werden als seine. Nein, um es gleich offen zu sagen, ich halte „Angstblüte“ für einen rasend öden, über weite Strecken kolportagehaften, nachlässig zusammengestoppelten Prosaflickenteppich ohne Form und Charme. Sicher, es wäre ungerecht, einem Schriftsteller vorwerfen zu wollen, daß er zeitlebens immer aufs Neue den gleichen Roman schreibt. Viele Schriftsteller haben ein sehr begrenztes Themen-Repertoire und letztlich kommt es darauf an, wie viel Geschick sie von Buch zu Buch darauf verwenden, neue, überraschende Kostüme zu entwerfen, in die sie dann ihre alten Lieblingsmotive hüllen. Walser jedoch gibt sich in dieser Hinsicht provozierend wenig Mühe. Die Lieblosigkeit mit der er das immer gleiche Kasperletheater vor den Lesern aufbaut und den gleichen Kasper mit der gleichen Klatsche auf die gleichen Krokodile einprügeln und seine Gretel auf gleiche Weise betrügen läßt, zeugt von einem wahrhaft ernüchternder Mangel an künstlerischem Ehrgeiz. Diesmal heißt der Kasper Karl von Kahn und ist Anlageberater in München. Auch dieser Held Walsers ergeht sich, wie schon die lange Reihe seiner Vorgänger, in ausgedehnten Reden über die Banalität der Konkurrenzprinzips, auch er behauptet, sich nach Niederlagen zu sehnen, auch er spricht davon, daß sich in seiner Seele charakterliche Gegensätze nicht ausschließen, sondern einträchtig nebeneinander existieren. Und wieder wird er konfrontiert mit einer Gegenfigur, diesmal Diego genannt, die keine Selbstzweifel kennt, scheinbar von Sieg zu Sieg eilt, heimlich aber Mißerfolge einsteckt. Und wieder ist der Held verheiratet, beteuert seine Frau zu lieben und geht vor allem mit anderen Frauen ins Bett, denn, so das Fazit seiner Lebensphilosophie: „Alle, die er getroffen hat, haben nichts betrieben als die Optimierung des Geschlechtsverkehrs“. Tatsächlich wäre es ja reizvoll zu erfahren, wie Walsers ewig gleicher Held, der ja angeblich von antikapitalistischen Niederlagesehnsüchten getrieben wird, sich im turbokapitalistischen Milieu der Anlageberater, mithin in der Höhle des Löwen, so durchschlägt. Doch über das spezifische Klima dieses Milieus, über seine typischen Umgangsformen und Tonlagen, seine Riten und Regeln erfährt man bei Walser nahezu nichts. Er speist die Leser mit ein paar Allerweltskenntnissen über die Großinvestoren Warren Buffet und George Soros ab, ergänzt sie um ein paar klischeestrotzende Bemerkungen über Nadelstreifenanzüge, Krawatten und Büroeinrichtung und damit hat sich für ihn der Fall. Das ist nicht neu. Über Walsers Unfähigkeit, seiner Prosa sinnliche Qualitäten zu geben, wird seit Jahrzehnten geklagt. Er ist ein begnadeter Redner, der seinen Zuhörern mit einer Tsunami von Worten noch die absurdesten Ideen verkaufen kann – nicht zufällig sind seine Helden Vertreter wie Anselm Kristlein, Makler wie Gottlieb Zürn oder eben Anlageberater wie Karl von Kahn. Aber es ist ihm nie möglich gewesen, anschaulich zu erzählen, also die besondere Atmosphäre einer Stadt auf dem Papier einzufangen oder eine Figur so plastisch zu schildern, daß sie in der Phantasie des Lesers zu eigenem Leben erwacht. Peter Handke hat einst seine legendäre Diagnose „Beschreibungsimpotenz“ gegen alle Autoren der Gruppe 47 gerichtet, aber damit am genauesten Walsers Prosa getroffen. Und diese Schwäche scheint mir mit zunehmendem Alter des Autors nicht ab-, sondern noch zuzunehmen. Auch über Walsers Unvermögen, seinen Romanen eine tragfähige, ästhetisch plausible Form zu geben, ist schon viel geschrieben worden. Sein neues Buch „Angstblüte“ hat er organisiert nach dem Ordnungsprinzip eines Schaschlikspießes: Karl ist die Zentralfigur, die Achse, die alles zusammenhalten soll, und an ihr entlang werden abgehackte, beziehungslose Handlungsbrocken nebeneinander aufgereiht. Zu Anfang wird das Ende der Freundschaft zwischen Karl und Diego verhandelt – das Ähnlichkeiten mit dem Ende der Freundschaft zwischen Walser und Siegfried Unseld aufweist. Dann wird, weil Diegos Frau Gundi Fernsehmoderatorin ist, eine Art Mediensatire eingeschoben. Darauf folgen unter anderem: ein Seitenblick ins Leben von Karls Bruder Erewein, der sich bei Kriegsende erst drei russischen Soldaten ergeben, sie dann aber erschossen hat; Ausführungen von Karls Frau Helen zur Traumdeutung im Rahmen der Ehetherapie; Verhandlungen mit einem Fassbinderhaften Regisseur über Investitionen in ein Filmprojekt; ein weitschweifiger Bericht von Karls neuer Geliebten Joni über ihr bisheriges Liebesleben; endlose Eifersuchtsphantasien, mit denen der gut siebzigjährige Karl die vierzig Jahre jüngere Joni verfolgt; das Drehbuch zum besprochenen Filmprojekt; ein stammtischhaftes Kundengespräch des Anlagespezialisten Karl mit dem Schriftsteller Markus Luzius Barbenberg, der wohl an Hans Magnus Enzensberger erinnern soll – und schließlich ein Finale, das vorgibt, die meisten der lose in dem Buch herumschlackernden Erzählfäden zusammenzuraffen. Natürlich gibt es andere Romane, die formal ähnlich konzipiert sind und die etliche untereinander unverbundene Geschichten wie auf einer Perlschnur hintereinander auffädeln. Doch müßte man die Augen fest zukneifen vor allen Vergleichsgrößen der Gegenwartsliteratur, wollte man Walsers Handlungsbrocken als Perlen bezeichnen. Nehmen wir zum Beispiel seine Mediensatire: Diegos Frau Gundi ist der Star einer Art Personality-Show, zu der sie sich einzelne Gesprächspartner einlädt. Über Seiten hinweg schildert Walser einen ihrer Auftritte und läßt dabei erkennen, daß Gundi die Intimität, die sie zu ihren Zuschauern und ihrem Gast aufzubauen vorgibt, skandalöserweise nur vortäuscht. Doch doch, tatsächlich: Im Fernsehen beruht so manches auf Illusion und Fälschung, Walser hat das entdeckt, und lüftet nun, seinen Lesern dabei eifrig zuzwinkernd, den Schleier über dieser wahrhaft schockierenden Neuigkeit. Wenn man sich vor Augen hält, wie viele weitaus originellere, witzigere und treffsichere Mediensatiren hierzulande Jahr für Jahr publiziert werden, kann man ermessen, wie sehr sich Walser mit seinen platten, unbeholfenen Bemühungen auf diesem Gebiet blamiert. Nein, der Roman „Angstblüte“ ist in meinen Augen nicht zu retten, er ist, rundheraus gesagt, ein künstlerisches Desaster. Nach einer alten, gut eingespielten Tradition unseres Literaturbetriebs müßten sich jetzt – wie Joachim Kaiser einmal schrieb – die Kritiker nicht wie Leser, sondern wie „besorgte Ärzte“ um das neue Buch versammeln, „wie um einen hochinteressanten, diffizilen, bedenklichen Fall“. Denn Walser galt von Beginn seiner Karriere an als einer der klügsten Autoren seiner Generation, der zu den größten Hoffnungen berechtige, dem es bislang nur noch nicht gelungen sei, sein unbestreitbares rhetorisches Können in die rechten Bahnen zu lenken. „Dieser Walser ist ein Genie“, schrieb Friedrich Sieburg 1960, „wenn auch einstweilen nichts dabei herauskommt“. Ebenso Joachim Kaiser: „Bei Walser wird unentwegt Brillanz bestätigt und dann aufs Nächste gehofft.“ Oder Marcel Reich-Ranicki: „Jedermann weiß, daß Martin Walser außerordentlich viel kann. Doch kaum etwas will ihm glücken.“ Oder Reinhard Baumgart: „Ist nicht Martin Walser immer schon eher ein intelligenter und unermüdlicher Sammler von Details gewesen als ein Autor, der nach einem großen Konzept einen großen Roman durchhalten könnte?“ Vielleicht ist es, fünfzig Jahre nach Walsers Romandebüt, an der Zeit, mit einem weiteren Mythos der bundesdeutschen Nachkriegsliteratur Schluß zu machen. Von Wolfgang Koeppen erwartete der Literaturbetrieb jahrzehntelang einen Roman – und Koeppen hat mit Schweigen geantwortet. Auch von Martin Walser erwartet der Betrieb nun seit Jahrzehnten einen Roman – und Walser antwortet alle zwei, drei Jahre mit dicken Papierbündeln voller Worte, Worte, Worte. Doch ein Roman ist dabei noch nicht herausgekommen.

Die Rezension erschien in der „Welt“ vom 22. Juli 2006
Martin Walser: „Angstblüte“. Roman. Rowohlt Verlag, Reinbek 2006 477 S., 22,90 € ISBN 978-3-498-07357-2

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»Der Abfalleimer befreit mich«

Er schreibt viel – und wirft fast alles wieder weg. Jetzt erfindet Sten Nadolny sein Leben in seinem Roman „Weitlings Sommerfrische“ neu. Obwohl er glaubt: »Es hat keinen Sinn, sich als Tiger zu träumen, wenn man Ziege ist«

Uwe Wittstock:   Sie werden im Sommer 70. Hätten Sie gern ein anderes Leben gelebt?   Sten Nadolny:   Wie kommen Sie denn auf die Idee?
Wittstock:   Der Held Ihres neuen Romans „Weitlings Sommerfrische“ lebt fast haargenau Ihr Leben, ist aber zunächst Richter. Wären Sie lieber Jurist geworden?
Sten Nadolny:    Auf gar keinen Fall. Ich habe nur eine einzige Biografie – wie im Allgemeinen üblich – und habe sie gern durchlebt. Was ich an meinem Schriftstellerleben besonders schätze, ist, dass darin der Konjunktiv eine große Rolle spielt, also Vorstellungen darüber, was könnte geschehen oder hätte geschehen können. Oder auch: Was wäre, wenn ich im Alter noch einmal mir selbst als 16-Jährigem begegnete.  Wittstock:   Ihrem Alter Ego Weitling geschieht das im Roman: In rüstigem Alter kann er sich selbst als Jugendlichen beobachten. Doch der junge Weitling macht manches anders, als es der alte in Erinnerung hat. Steckt dahinter nicht doch Ihre heimliche Sehnsucht, ein anderes, vielleicht wilderes Leben zu leben?
Sten Nadolny:  Das steckt nicht drin. Dazu kenne ich mich und meine Grenzen zu gut. Es hat keinen Sinn, sich als Tiger zu träumen, wenn man Ziege ist. Für meinen Roman hat mich interessiert: Wie verändert sich ein Leben, wenn in der Jugend ein oder zwei Weichen anders gestellt werden. Wenn zum Beispiel nicht der Vater früh stirbt, sondern die Mutter. Ich wollte ja zunächst nicht Schriftsteller werden. Denn Vater und Mutter schrieben Romane, und ich erlebte mit, wie dornenreich diese Arbeit sein kann. Was hat mich dann doch dazu gebracht? Um so etwas zu ergründen, wäre es nützlich, sich selbst als jungem Mann über die Schulter zu schauen. Der Roman ist, wenn Sie so wollen, eine Autobiografie im Konjunktiv, teilweise jedenfalls.
Wittstock:   Berühmt wurden Sie 1983 mit Ihrem Roman „Entdeckung der Langsamkeit“. Vor „Weitlings Sommerfrische“ haben Sie neun Jahre lang keinen Roman veröffentlicht. Sind Sie ein langsamer Schriftsteller?
Sten Nadolny:    Ich schreibe schnell und viel, werfe dann aber fast alles wieder weg. Mit dieser Arbeitsweise bin ich glücklich. Ich kann gut grausam zu mir sein, auch mehrfach pro Tag.
Wittstock:   Hätten Sie das Ergebnis gern schneller?
Sten Nadolny:    Warum sollte ich? Ich mache meine Arbeit doch gern. Auch Manuskripte, die ich wegschmeiße, haben mir ja Spaß gemacht: Ich sitze, überlege, schreibe, mache mir beim Spazieren Gedanken über mein Buch, schreibe erste Fassungen und werfe sie dann in den Papierkorb. Beides macht Freude: wenn etwas fertig und gut wird, aber auch wenn ich mich durch einen kühnen Wurf in den Abfalleimer von ihm befreie. Wo wäre der Vorteil, wenn das alles schneller ginge? Was machte ich mit der gesparten Zeit? Dinge tun, die ich nicht mag? Da schreibe ich lieber und werfe weg.
Wittstock:   Sind Sie ein eigensinniger Mensch?
Sten Nadolny:    Das sollen andere beurteilen. Aber ich mag eigensinnige Menschen. Man hat einfach mehr von denen, die einen eigenen Sinn haben. Ich liebe Leute, die nicht sagen, was man von ihnen hören will, sondern was sie mit eigenen Sinnen für richtig halten.

Das Gespräch mit Sten Nadolny erschien im „Focus“ vom 14. Mai 2012

Sten Nadolny: Weitlings Sommerfrische. Roman. Piper Verlag, München 2012 16,99 Euro ISBN: 978-3492054508

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Görings Liste

Ein Australischer Forscher entdeckt den Bruder von Reichsfeldmarschall Herman Göring als Widerstandskämpfer 

Uwe Wittstock:   War Albert Göring, der Bruder des Nazi-Reichsmarschalls Hermann Görings, ein Widerstandskämpfer gegen die Nazis?
William Hastings Burke:   Er hat seine Gesundheit riskiert, um Nazis an Verbrechen zu hindern. Er hat vielen Verfolgten geholfen, manchen das Leben gerettet. Er hat den tschechischen Widerstand unterstützt, was ihm die Todesstrafe hätte eintragen können. Reicht das, um ihn ein Widerstandskämpfer zu nennen? Ich denke schon. Auf jeden Fall war er ein aktiver und mutiger Gegner der Nazis.
Wittstock:   Ist es wie bei Oskar Schindler und dessen legendärer „Liste“ nachweisbar, wie viele Menschen er gerettet hat?  William Hastings Burke:   Auch im Fall Albert Göring gibt es eine Liste: Sie umfasst 34 Personen, die ihm Leben oder Existenz verdankten. Er schrieb die Liste 1945 in amerikanischer Gefangenschaft, fast alle Angaben konnten überprüft werden. Aber das ist nicht alles: Im Laufe meine Nachforschungen habe ich ungefähr hundert Verfolgten ermittelt, deren Namen er möglicherweise gar nicht kannte, denen er aber das Leben rettete.  Wittstock:   Wie war das möglich?
William Hastings Burke:   Ein Zeuge berichtet von einem sensationellen Coup: Albert Göring fuhr zu einem KZ, gab sich als Bruder Hermann Görings zu erkennen, und verlangte Arbeiter für die Skoda-Werke. Als er mit ihnen in Sicherheit war, ermöglichte er ihnen die Flucht.
Wittstock:   Brachte ihn das nicht selbst in Gefahr?
William Hastings Burke:   Er wurde vier Mal verhaftet, drei Mal von der Gestapo. Natürlich schützte ihn oft sein Name, aber gefahrlos war es nie. Nach dem „Anschluss“ Österreichs 1938 sah er in Wien eine alte Dame, denen SA-Leute ein Schild umhängten: „Ich bin eine Saujüdin!“ Albert Göring drängte sich durch den Menschenauflauf, nahm der Frau das Schild ab, prügelte sich mit zwei SA-Männern und wurde verhaftet. Die ließen ihn schnell wieder frei, als sie erfuhren, wer er ist. Aber in dem Moment, als er der armen Frau das Schild abnahm und sich mit den SA-Leuten schlug, war er genauso gefährdet wie jeder andere auch.
Wittstock:   Beschützte Hermann Göring seinen Bruder?
William Hastings Burke:   Ja, mehrfach. Aber gegen Ende des Kriegs büßte Hermann viel von seiner Macht ein, sein parteiinterner Gegenspieler Himmler wurde immer wichtiger. Doch Albert hat sich davon nicht bremsen lassen. Es gibt zahlreiche Berichte und Briefe führender Gestapo-Leuten, die erkennen lassen, wie sehr sie ihn hassten und wie gern sie ihn hätten verschwinden lassen. Sie warfen ihm sogar vor, ein Attentat auf den eigenen Bruder zu planen. Hätte der Krieg länger gedauert, wäre Albert ihnen nicht wohl entkommen.
Wittstock:   Wie konnten in einer Familie zwei so unterschiedliche Brüder heranwachsen?  William Hastings Burke:   Es ist nicht das erste Mal, dass sich Brüder gegensätzlich entwickeln. Sie waren von Anfang an sehr unterschiedlich. Hermann war der Sportsmann, der Draufgänger und Kriegsheld. Albert war ein Bonvivant und Frauenheld, eine eleganter Geschäftsmann und Ingenieur, der gern Klavier spielte und sang. Er hatte eine sehr offene, liberale Einstellung zum Leben. Kein Wunder, dass er sich politisch anders entwickelte als sein Bruder.
Wittstock:   Herr Burke, Sie sind Australier, studierter Volkswirt und erst 28 Jahre alt. Wie kamen Sie auf die Idee, ein Buch über Albert Göring zu schreiben?
William Hastings Burke:   Mit 18 sah ich in Sydney eine britische Filmdokumentation über Albert. Das Thema ließ mich nicht mehr los. Aber so oft ich auch in Bibliotheken suchte: Es gab kein Buch über ihn. Im Internet fand ich ebenfalls kein Material. Das reizte meine Neugier immer mehr: Nach meinem Examen dachte ich mir, wenn ich jemals genau erfahren will, wer Albert war, muss ich sein Leben selbst erforschen. Also bin ich vor vier Jahren nach Freiburg gezogen, habe Archive in aller Welt durchstöbert und Zeitzeugen gefunden. Hoffentlich erhält Albert Göring jetzt den Respekt, der ihm zusteht.

Das Gespräch mit William Hastings Burke erschien im „Focus“ vom 7. Mai 2012 William Hastings Burke: <em>Hermanns Bruder. Wer war Albert Göring?</em> Aufbau Verlag, Berlin 2012 19,99 Euro ISBN: 978-3-351-02747-

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Literatur und Krieg

Die deutschen Schriftsteller begegnen dem modernen High-Tech-Militär unisono mit Schweigen. Fällt ihnen zu Soldaten nichts mehr ein?   Die Kriege unserer Zeit finden in der deutschen Literatur nicht statt. Das ist verständlich und verwunderlich zugleich. Verwunderlich, weil Krieg immer eines der wichtigsten Themen der Literatur war, von Homers „Ilias“ und Schillers „Wallenstein“ bis Ernst Jüngers „In Stahlgewittern“. Auch nach 1945 spielte der Rückblick auf den Zweiten Weltkrieg zunächst eine zentrale Rolle. Böll, Grass, Lenz und viele andere hielten die Erinnerung an das Grauen und Töten fest. Sie brachten damit zur Sprache, was die Gesellschaft jener Jahre geformt hatte und zu deren stärksten Antriebskräften gehörte. Doch seither sind die aktuellen Kriege aus unserer Literatur verschwunden. Verständlich war das vor allem deshalb, weil der Krieg hierzulande für lange Zeit nur wie ein fernes Gespenst wahrgenommen wurde. Er schien jede Realität jenseits der Nachrichtenkanäle eingebüßt zu haben. Doch das ist seit 20 Jahren vorbei. Die Einsätze der Bundeswehr out of area lassen sich inzwischen an den Fingern beider Hände nicht mehr abzählen. Deutsche Soldaten waren oder sind vor den Küsten Libanons und Somalias, in Darfur oder am Hindukusch stationiert, überwachen, helfen, kämpfen, werden verwundet oder sterben im Auftrag ihres Landes. Der deutschen Literatur ist zu all dem wenig eingefallen. Sie begegnet den spezifischen Schrecken des HighTech-Kriegs mit Schweigen. Der Journalist und Erzähler Dirk Kurbjuweit hat letztes Jahr in seinem Roman „Kriegsbraut“ eine deutsche Soldatin beschrieben, die nach Afghanistan kommandiert wird und nicht nur die Langeweile des Lageralltags, sondern auch ein Feuergefecht zu bestehen hat. Viel mehr gibt es bislang zu dem Thema nicht. Es versteht sich von selbst, dass Literatur über den Krieg mit Kriegsverherrlichung nichts zu tun hat. Spätestens seit Anbruch der Moderne sind die hymnischen Töne aus den Schlachtenbeschreibungen fast vollständig verschwunden. Auch heute erwartet niemand, dass Schriftsteller versuchen, ihren Lesern einzureden, es sei süß, fürs Vaterland zu sterben. Im Gegenteil: Viele Bürger des Westens sehen im Ausbruch eines Kriegs inzwischen nichts anderes als einen Beweis für die Unfähigkeit der Politiker. Sobald die Waffen sprechen, haben in ihren Augen die Diplomaten versagt. Wie immer man zu solchen Argumenten steht – sie lassen den Krieg aus literarischer Sicht nicht uninteressant werden. Denn was sind das für Menschen, die sich dennoch in den Kampf kommandieren lassen? Opfer, die für wenig Geld Kopf und Kragen riskieren müssen? Abenteurer, die auf Grenzerfahrungen aus sind? Letzte Idealisten, die sich für ihr Land einsetzen, auch wenn die meisten Landsleute es ihnen nicht danken? Mit einem Wort: Helden? Von solchen Fragen könnte die Literatur heute erzählen. Kein Schriftsteller muss das tun, jeder hat ganz persönliche Themen, die ihn inspirieren. Doch wenn eine ganze Autorengeneration über zwei Jahrzehnte hinweg einen Stoff komplett ausblendet, dann riecht das nach kollektiver Verdrängung. Oder steckt dahinter die Furcht, sich allein schon durch die Berührung mit dem Thema Krieg im Literaturbetrieb ins Abseits zu manövrieren? Der Kommentar erschien im „Focus“ vom 23. April 2012

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Harte Schnitte

Raymond Carver gilt als bester amerikanischer Short-Story-Autor seit Hemingway. Doch fast alle seine Geschichten aus der vielgerühmten Sammlung Wovon wir reden, wenn wir von Liebe reden wurden brutal gekürzt. Jetzt erscheinen sie unter dem Titel Beginners im Original. Wie klang der legendäre Carver-Sound wirklich?   Vom 7. auf den 8. Juli 1980 fand Raymond Carver keinen Schlaf. Morgens um 8 Uhr quälte er sich aus dem Bett, setzte sich an den Arbeitstisch und schrieb an seinen Lektor Gordon Lish. Es wurde kein gewöhnlicher Brief, es wurde ein Hilferuf, ein Verzweiflungsschrei. Dabei ging es Carver besser als je zuvor. Er hatte seine schwere Alkoholsucht, die ihn um ein Haar ins Grab gebracht hätte, seit drei Jahren hinter sich gelassen. Die Kritiker bejubelten sein erstes Buch mit Kurzgeschichten Würdest Du bitte still sein, bitte (1976). Die Syracus University wollte ihn als Literatur-Dozent haben. Und Alfred A. Knopf, einer der besten US-Verlage, gab ihm einen Vertrag für sein zweites Buch, wieder eine Sammlung mit Short Stories. Doch nun war das vom Lektor überarbeitete Manuskript dieses zweiten Buchs bei Carver eingetroffen. Lish hatte ganze Arbeit geleistet. Viele Geschichten hatte er um die Hälfte gekürzt, manche um 60 Prozent oder mehr, bei einer waren von 40 Seiten nur 9 übrig geblieben. Einige Figuren waren nach Lishs Änderungen aus dem Buch verschwunden, andere tauchten unter neuen Namen auf. Oft hatte Lish Geschichten seitenweise umgeschrieben, hier einen Mord gestrichen, da einen Selbstmord weggelassen, bei einigen Stories die entscheidende Schlusswendung neu erfunden. Kurz: Der Albtraum jedes Autors. Doch Carver konnte Lish nicht kurzerhand feuern. Die beiden arbeiteten seit Jahren zusammen. Lish hatte das Talent des ewig betrunkenen Carver erkannt, hatte dessen erste Erzählungen ähnlich rigoros bearbeitet und in den besten Zeitschriften des Landes untergebracht. Carver verdankte ihm alles: „Wenn ich jetzt so etwas wie Ansehen, Geltung oder Glaubhaftigkeit in der Welt besitze, dann ist das Dein Verdienst“, bekannte er in seinem Brandbrief. Carver flehte seinen gnadenlosen Lektor an, das neue Buch nicht in dieser Form zu drucken. Viele Streichungen seien „brillant“, aber wenn die Geschichten so erschienen, „kann ich mir selbst nicht in die Augen schauen und vielleicht nie wieder schreiben.“ Doch Carver war, nach den Worten seiner späteren Frau, „kein Kämpfer“. Schon zwei Tage später hatte Lish ihn umgestimmt, zermürbt willigte Carver in fast alle Änderungen ein. Als das zurechtgestutzte Buch 1981 unter dem Titel Wovon wir reden, wenn wir von Liebe reden herauskam, war der Erfolg sensationell: Publikum und Kritiker zeigten sich hingerissen. Seine Geschichten klangen nicht nach Literatur, sondern so hart und lakonisch wie das Leben selbst. Carver avancierte zu einem Kult-Autor, der vor allem für die Knappheit seines Stils gefeiert wurde. Dutzende von Autoren wie Ingo Schulze oder Judith Hermann eiferten seinem „Minimalismus“ nach, seiner Kunst der harten Schnitte, des Weglassens und Verschweigens. Wie viel von dieser Kunst sich den Strichen Lishs verdankte, kann inzwischen überprüft werden: Carver starb 1988, seine Witwe bestand in jahrelangen Kämpfen mit den Verlag darauf, das Originalmanuskript jenes zweiten Buches zu publizieren. Jetzt liegt es unter seinem ursprünglichen Titel Beginners in Deutsch vor (S. Fischer, 21,99 Euro). Die Neuausgabe ist doppelt so dick wie das alte Buch. Wer es sich leicht macht, nennt die Tonlage der Originale anders als die der gekürzten Carver-Geschichten. Wer es sich schwerer macht, fragt nach ihrer literarischen Qualität. Verglichen mit den von Lish bearbeiteten Stories, wirken sie konventioneller und oft regelrecht geschwätzig. So heißt es bei Lish über den nächtlichen Streit eines Ehepaars: Der Mann „nahm das Einmachglas und warf es durch das Küchenfenster“. Carvers Fassung lautet: „Er griff nach dem Glas und schleuderte es am Kühlschrank vorbei durchs Küchenfenster. Glasscherben fielen klirrend auf Fensterbank und Fußboden.“ Doppelt so viel Text für den gleichen Vorgang. Anderes Beispiel: Bei Carver tröstet ein Sohn seinen Vater: „Du kannst Dir nicht für alle Zeiten Vorwürfe machen.“ Der Vater antwortet schwer kitschverdächtig: „Für alle Zeiten. Wie lang ist das?“ Solche Dialoge vielen ausnahmslos den Strichen Lishs zum Opfer. Trost gibt es bei ihm nicht. Er sorgte dafür, dass Carvers Figuren zwar miteinander reden, dennoch aber sprachlos bleiben. Wie dringend Carver seinen Lektor brauchte, zeigt mancher herbe Schnitzer. Der Anfangssatz einer Geschichte lautet bei ihm: „Ein Mann ohne Arme stand vor der Tür“. Doch der Mann hat, so wird im Folgenden klar, lediglich seine Hände verloren und trägt stattdessen Haken an den Handgelenken. In Lishs Version lautet der Auftakt: „Ein Mann ohne Hände kam an die Tür.“ Dennoch wäre es falsch, Lish als das eigentliche literarische Genie zu betrachten, auf den Raymond Carvers Ruhm zurückgeht. Lish hat sich selbst als Schriftsteller versucht, aber mit den eigenen Büchern nie den Rang von Carvers Geschichten erreicht. Lish war definitiv nicht Carvers Ghostwriter. Doch zusammen waren sie offenkundig besser als jeder von ihnen allein. In der Hall of Fame der Weltliteratur werden üblicherweise nur Einzelplätze vergeben. Vielleicht wäre es in diesem Fall gerechter, einen Doppelsitz vorzusehen. Die Rezension erschien im Nachichtenmagazin „Focus“ vom 16. April 2012 Raymond Carver: „Beginners. Uncut – die Originalfassung“ Übersetzt von Manfred Allié, Gabriele Kempf-Allié, Antje Rávic Strubel S.Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2012 360 Seiten, 21,99Euro ISBN 978-3100101501 Raymond Carver: „Wovon wir reden, wen wir von Liebe reden“ Übersetzt von Helmut Frielinghaus Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2012 164 Seiten, 8,99 Euro ISBN 978-3596903887

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Der Nackte, seine Nüsse und der Zwang zur Ironie

Sicher, Christian Kracht predigt kein rechtes Gedankengut. Aber ist sein „Imperium“ deshalb schon ein guter Roman? Und warum findet Kracht es chic, sich per Mail mit lauter politischen Wirrköpfen zu beschäftigen? Vielleicht hat Susan Sontag darauf eine Antwort   Nun wird schon eine ganze Weile diskutiert über Christian Krachts „Imperium“ und noch immer ist niemand auf die Idee gekommen, die Rechtsradikalen vor dem Buch zu warnen. Mir scheint das dringend nötig. Denn falls sie den Roman auf Empfehlung den Krawall-Kritikers Georg Diez kaufen, werden sie mächtig enttäuscht sein. Ich sehe Wehrsportgruppen mit Glatzen und Springerstiefeln vor mir, die ratlos in dem Buch blättern und nach den von Diez versprochenen „rechten Gedanken“ Ausschau halten. Und dann auf die Vision einer „mit dem indischen Sonnenkreuze eindrücklich beflaggten“ Münchner Feldherrnhalle stoßen, in der sich „alsdann ein kleiner Vegetarier, eine absurde schwarze Zahnbürste unter der Nase“, wichtig tut. Wie Diez auf den Gedanken kam, ausgerechnet den Autor eines Romans, in dem Hitler derart abfällig präsentiert wird, mit Donnergrollen in der Stimme einen „Türsteher der rechten Gedanken“ („Spiegel“ vom 13. Februar) zu titulieren, dürfte sein Geheimnis bleiben. Zugegeben, rechtes Denken erschöpft sich nicht in Hitler-Verherrlichung. Aber auch rechte Intellektuelle, die sich für landläufigen Nationalsozialismus oder Faschismus zu fein sind, kommen in Krachts Roman nicht auf ihre Kosten. Zumindest, wenn man unter rechtem Denken die Rechtfertigung völkischer, nationalistischer, biologistischer, antisemitischer oder sonstwie rassistischer Argumente versteht. In Krachts Roman werden solche Denkmuster vorgeführt, weil sie zu der Zeit um 1900, von der das Buch erzählt, gang und gäbe waren. Doch was der Erzähler darüber hinaus von seinen Figuren berichtet, ist für die Mitglieder keines Volkes sonderlich schmeichelhaft: Deutsche Kolonialherren treten als moralisch verkommene Säufer auf, Franzosen als „petit bourgeois“, die noch mehr trinken, dazu einige besoffenen Amerikaner und Australier als barbarische Schläger oder herzlose Kapitalisten. Ein Tamile erweist sich als Hoteldieb und ein Helgoländer als Kinderschänder. Indische Arbeiter auf den Fidschi-Inseln werden als leichtgläubige Sekten-Anhänger vorgeführt und die eingeborenen Südsee-Insulaner als gemütliche Menschenfresser. Unvoreingenommenen Leser dürfte es schwer fallen, aus all dem spezifisch rechte, nationalistische Ideen des Erzählers herauszulesen. Eher ließe sich auf eine recht umfassende Menschen- und spürbare Alkoholikerverachtung schließen.  Zur Ironie verdammt   Wenn Georg Diez dazu noch den fingerdick aufgetragenen ironischen Ton nicht nur im „Imperium“, sondern auch in Krachts und David Woodards Email-Buch „Five Years“ überhörte (oder überhören wollte), stärkt das mein Vertrauen in seine literaturkritischen Fähigkeiten nicht. Sein nachgeschobener Rechtfertigungsversuch („Spiegel“ vom 20. Februar 2012), er könne das Imperium Krachts „nicht mehr mit der Brille der Ironie lesen“, macht die Sache nicht besser, im Gegenteil. Denn es wäre mehr als halsbrecherisch, sich einer Figur wie August Engelhardt ironiefrei zu nähern. Nicht allein weil dessen Idee, er könne durch Nacktheit, Sonne und Kokosnüsse die Welt erlösen und Unsterblichkeit erlangen, milde formuliert ziemlich extravagant ist. Sondern weil jedwede Welterlösungsprogramme inzwischen nur noch eine sehr relative Überzeugungskraft entfalten. Wir sind heute solchen Programmen gegenüber zur Ironie verdammt. Denn die Moderne besitzen keine letzten Gewissheiten, die für jedermann verpflichtend wären, weder im religiöser noch in weltanschaulicher Hinsicht. Wer die Augen nicht verschließt vor der Gegenwart, ist sich bewusst, dass grundverschiedene Glaubenswahrheiten und politische Überzeugungen gute Gründe für sich ins Feld führen können. Diese Überzeugungen liegen permanent miteinander im Wettstreit, ohne je einen alleinseligmachenden Sieger zu ermitteln. Also sollte jeder, der einen Standpunkt bezieht, sich und anderen eingestehen, dass es auch andere Standpunkte gibt, die mit gleichem Recht bezogen werden können, und er also nicht umhin kommt, den eigenen mit einer gewissen relativierenden Distanz, sprich: mit Ironie zu betrachten. Das verleiht dem Denken der Moderne eine eigentümliche Bodenlosigkeit und Verbindlichkeitsarmut. Alles wirkt so unbestimmt und gut wattiert. Doch eine Epoche kann sich ihren geistesgeschichtlichen Ort nicht aussuchen. Es bleibt ihr nur, sich ihm zu stellen. In der modernen Literatur, der deutschen zumal, wird dabei gern der schmerzliche Nachteil betont, dass Einzelne sich nicht mehr in einem allgemein akzeptierten (göttlichen oder weltanschaulichen) Heilsplan geborgen fühlen kann. Auch in Krachts Romanen, vor allem in „1979“, wird die Sehnsucht haltloser westlicher Wohlstandsbürger nach dem Aufgehobensein in umfassenden, totalitären Systemen spürbar. Dagegen findet der offenkundige Vorzug der politischen Moderne, die den Einzelnen vom Zwang zur Einordnung in Heilspläne oder Ideologien weitgehend befreit hat, literarisch viel seltener die angemessene Aufmerksamkeit.  Sonnenkult und Sonnenkreuz   Umso befremdlicher ist es, wenn Georg Diez wie ein trotziges Kind mit dem Fuß aufstampft, und Kracht mit mühsam aus dem ironischen Zusammenhang des „Imperiums“ gerissenen Sätzen „antimodernes, demokratiefeindliches, totalitäres Denken“ vorwirft. Nüchtern betrachtet, zeichnet Kracht seinen Held Engelhardt als naiv verstiegenen, ebenso bedauerns- wie liebenswerten Wirrkopf. Als einen unbedarften Nachfolger jener hochbegabten Romantiker um Novalis, Brentano, die Brüder Schlegel oder Eichendorff, die bereits hundert Jahre vor Engelhardts Aufbruch in die Südsee die fundamentale Fundamentlosigkeit der Moderne literarische vermaßen – und als Spätromantiker schließlich Zuflucht in den Armen der Kirche suchten. Doch Engelhardts „Sonnenkult“, mit dem er seiner Zeit ein neues geistiges Fundament (oder eine neue Mythologie, wie es in der Sprache der Romantiker heißt) verschaffen will, blieb historisch folgenlos. Wogegen es dem ebenso verqueren Kult ums „indische Sonnenkreuz“ des vierzehn Jahre jüngeren Adolf Hitler gelingt, totalitäre Macht zu entfalten und alle Nicht-Kultgläubigen (sowie alle, die der Kult zu „Untermenschen“ erklärt) mit dem Tod zu bedrohen. Die Ursachenforschung zu diesem weltpolitischen Desaster füllt mittlerweile Bibliotheken. Was Diez auf Teufel komm raus als Skandal hinstellen will, folgt also durchaus einer gewissen historischen Logik. Aus entsprechendem geistesgeschichtlichem Abstand betrachtet, lassen sich in Engelhardts Geschichte tatsächlich, wie Kracht schreibt, „manchmal Parallelen zu einem späteren deutschen Romantiker und Vegetarier“, (also zu Hitler) ausmachen. Rigoristen der politischen Korrektheit könnten versucht sein, in diesem Satz eine Verharmlosung Hitlers zu sehen. Doch ein Indiz für spezifisch rechtes Denken ist es nicht.  Stil betonen heißt Inhalt vernachlässigen   Entsprechendes findet sich auch nicht in Krachts Email-Wechsel mit dem politisch wenig zurechnungsfähigen amerikanischen Künstler David Woodard. Beide kokettieren in dieser Korrespondenz mit ihrem spielerischen Interesse für Despoten, Terroristen, Eugeniker oder alte Nazis. Aber diese Vorliebe bleibt ganz und gar oberflächlich, ist von einer Lust an der satirischen Provokation getrieben, ohne dass eine ernstzunehmende politische Faszination spürbar würde. Mal bittet Kracht Woodard darum, einen Artikel über eine nach dem nordkoreanischen Diktator Kim Jong Il benannte Blume zu schreiben. Mal fiebert er einem Interview mit Carmen bin Laden, der Schwägerin Osama bin Ladens, über Make-up entgegen. Mal beglückwünscht Woodard zu dem Vorhaben, eine Hymne für Nordkorea schreiben zu wollen. Mal plant er eine Reise nach Nueva Germania in Paraguay, einem von Nietzsches Schwester Elisabeth und deren antisemitischen Ehemann Bernhard Förster gegründeten Dschungeldorf, das ein Zufluchtsort der arischen Rasse werden sollte. Mit Susan Sontag lässt sich der digitale Schriftwechsel der beiden Freunde als Form eines scheinbar politisierten „Camp“ verstehen. Die Mails leben von einer esoterischen Freude an allem, was in der westlichen Medienwelt üblicherweise als anstößig, unvernünftig, bedenklich, bizarr oder tendenziell gefährlich gilt. Womit das Reiz-Reaktions-Schema dieser Korrespondenz schnell durchsichtig wird: Wer oder was auch immer im Medienbetriebs als schlechthin verurteilenswert betrachtet wird, reizt die beiden Freunde ganz besonders. Für sie ist es eine Frage des Stils, eben das für sich in den Mittelpunkt zu stellen, was nach gängigen Ansichten die Rolle des Bösen, des Verworfenen oder schlechten Geschmacks spielt. Susan Sontag hat diese künstlerische Strategie überzeugend beschrieben: „Camp ist eine Art unter anderen, die Welt als ein ästhetisches Phänomen zu betrachten. Nicht um Schönheit geht es dabei, sondern um den Grad der Kunstmäßigkeit, der Stilisierung.“ Und: „Den Stil betonen heißt den Inhalt vernachlässigen oder eine Haltung einzuführen, die im Hinblick auf den Inhalt neutral ist. Es versteht sich von selbst, dass die Erlebnisweise des Camp unengagiert, entpolitisiert – oder zumindest unpolitisch – ist.“ Mit anderen Worten: Es wäre albern, das gelegentlich pubertäre und oft schnöselige Geplänkel zwischen Kracht und Woodard irgendeine politische Bedeutung oder auch nur politische Intention unterstellen zu wollen. Viel eher ist es eine Art Code, mit dem sich zwei notorische Selbstdarsteller gegenseitig ihrer Attitüde und ihrer Bedeutsamkeit vor einem kleinen Kreise von Gleichgesinnten versichern. Tatsächlich sehen manche in ihnen so etwas wie die Speerspitze der künstlerisch-intellektuellen Entwicklung unserer Zeit. Susan Sontags Camp-Essay ist übrigens rund fünfzig Jahre alt.  Ist „Imperium“ tatsächlich ein Abenteuerroman?   Aber wenn es Kracht in seinem „Imperium“ nicht um rechtes Gedankengut geht, worum geht es ihm dann? Ein Abenteuerroman ist sein Buch letztlich nicht, auch wenn Engelhardts Biographie eine Menge abenteuerliches Material bietet. Viel zu wenig Wert legt Kracht darauf, dieses Material vor seinen Lesern auszubreiten, sorgsam auszumalen und sinnlich anschaulich zu machen, um damit eine gewisse Neugier auf den Fort- und Ausgang der Geschichte anzustacheln. Die meisten Episoden von Engelhardts Leben werden nur knapp skizziert, manche Handlungslinien nur angedeutet oder plötzlich abgebrochen. Ein Gesellschaftsroman aus der Kolonialzeit ist „Imperium“ ebenfalls nicht, viel zu lieblos und dürftig handelt Kracht das Milieu der Pflanzer auf den Südseeinseln ab. Auch hat das Buch als Entwicklungsroman eines scheiternden Romantikers kaum etwas zu bieten: Man erfährt fast nichts über Engelhardt Kindheit und Jugend, wenig über seine seelische Verfasstheit und auch über sein großes Projekt, den Sonnenorden, nicht viel mehr als Schlagworte. Stattdessen gönnt Kracht einem vielköpfigen Schar von Statisten kurze Auftritte in seinem Roman. Sie tauchen im Umkreis Engelhardt oder der Nebenfiguren auf, werden mit wenigen Strichen schemenhaft skizziert und gleich wieder mit ein paar Bemerkungen zu ihrem weiteren Lebensweg aus dem Roman entlassen. Kafka, Hesse, Einstein, aber auch etliche andere unbekannte Gestalten holt so Kracht heran, nur um sie kurz darauf verschwinden zu lassen. In meinen Augen erzeugt das einen ganz hübschen Effekt: Kracht springt regelmäßig aus der Geschichte um Engelhardt heraus und zeigt wie aus der Vogelperspektive Randfiguren, die mit Engelhardt nur sehr zufällig und peripher in Berührung kommen – um dann wieder ihrer Wege zu gegen und ihre eigenen, unabhängigen Ziele zu verfolgen. Kracht macht auf diese Weise erzählerisch eben jenes Fehlen einer alles und jeden überwölbenden Ordnung spürbar, dem Engelhardt mit seinem skurrilen Welterlösungsprogramm gern Abhilfe verschaffen würde. Der Roman führt so die Zersplitterung moderner Gesellschaften vor, unter der ihr Held leidet. Die Geschichte Engelhardts ist eben nur eine unter unendlich vielen anderen Geschichten, die parallel zu seiner zu erzählen wären, die aber letztlich nie in ein gemeinsames Ziel, ein höheres, sinnstiftendes Weltgesetz einmünden. Nein, diese chaotische Vielfalt setzt sich in einem endlosen Reigen fort – wie das Ende des Romans andeutet, das wieder in den Anfangssatz des Buches einmündet.  Es trifft den Leser wie ein Schlag   Unter diesem Gesichtspunkt gelesen, ist der Roman ganz lehrreich und gelungen. Ansonsten aber macht mir das Buch einen erstaunlich lieblos zusammengeschusterten Eindruck. Wenn viele andere Kritiker Krachts „Imperium“ nach Georg Diez’ unverständlicher Attacke über den grünen Klee lobten, folgten sie damit in meinen Augen der nie wirklich überzeugenden Neigung mancher Fußball-Schiedsrichter zum Kompensations-Elfmeter. Ich will das gern mit ein paar Beispielen belegen: Krachts Erzähler hält nie den altertümelnden Tonfall eines Romanciers des 19. Jahrhunderts durch, sondern verfällt immer wieder bruchstückweise in zeitgenössisches Deutsch. Das mag noch als eine – in meinen Ohren wenig reizvolle – postmoderne Sprachmixtur angehen. Aber wenn er Engelhardt unter anderem von einem „Rudel Delphine“ sprechen lässt, obwohl Delphine sich bekanntlich in Schulen zusammenfinden, oder unbeholfene Wortwiederholungen wie „Hin und her sinnierend, wie er ihn aufmuntern könnte, entsann er sich…“ abliefert, zeugt das von einer sprachlichen Sorglosigkeit, die gerade bei einem dandyhaft auftretenden Autor, der ein betont ästhetisches Weltverhältnis pflegt, befremdlich wirkt. Wer das als läppische Kleinigkeiten betrachtet, sollte noch einmal jene Szene lesen, in der sich Engelhardts Gefährte Lützow in die Kolonialherrin Queen Emma verliebt. Lützow blickt in deren Gesicht und: „Es trifft ihn wie ein elektrischer Schlag.“ Es gibt, denke ich, wohl kaum einen Satz für den Moment plötzlicher Verliebtheit, der noch verschlissener und schlagersängerhaft banaler ist als dieser. Die schulterzuckende Gleichgültigkeit, mit der Kracht hier seine Leser billig abspeist, zeigt sich auch in einer anderen, für den Roman noch ungleich wichtigeren Frage. Zunächst beschreibt Kracht seinen Helden, der bereits die ersten Jahre in seinem Südsee-Sonnen-Paradies hinter sich hat, so: „Engelhardt teilte nicht jene aufkommende Mode der Verteufelung des Semitischen, die der fürchterliche Richard Wagner mit seinen Schriften und seiner schwülstig-komischen Musik wenn nicht initiiert, dann aber allerorten salonfähig gemacht hatte.“ (S. 127). Gegen Ende des Romans aber tritt der Held plötzlich als entschiedener Judenfeind auf: „Ja, so war Engelhardt unversehens zum Antisemiten geworden; wie die meisten seiner Zeitgenossen, wie alle Mitglieder seiner Rasse war er früher oder später dazu gekommen, in der Existenz der Juden eine probate Ursache für jegliches erlittene Unrecht zu sehen.“ (S. 225) Natürlich spricht nichts dagegen, wenn Kracht seine Hauptfigur zum Antisemiten werden lassen möchte. Aber die Mühe, seinen Lesern Gründe oder wenigstens irgendein halbwegs plausibles Motiv für diese nicht nur politisch, sondern auch psychologisch bedeutsamen Wandlung zu liefern, macht er sich nicht. Offen gestanden fällt es mir schwer, in diesem willkürlichen Umgang Krachts mit seiner Hauptfigur etwas anderes als literarische Leichtfertigkeit zu sehen. Gerade für einen Dandy aber, als der Christian Kracht von seinen Verteidigern gern beschrieben wird, müssten ästhetische, müssten literarische Kriterien besonders schwer wiegen. Wenn er auch über die leichherzig hinweggeht, verspielt er seine Rechtfertigung als Dandy.

Den Aufsatz habe ich am 12. März 2012 auf meinem Blog „Die Büchersäufer“ veröffentlicht

Christian Kracht: Imperium. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2012 242 Seiten, 18,99 Euro ISBN 978-3-462-04131-6

Christian Kracht / David Woodard: Five Years. Briefwechsel 2004-2009. Vol.1: 2004-2007</em> Herausgegeben von Johannes Birgfeld & Claude D. Conter Werhahn Verlag, Hannover 2011 247 Seiten, 19,80 Euro ISBN 978-3-86525-235-7

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