„Hundskopf“

 Erste Erzählungen von der Dramatikerin Dea Loher

Dea Loher ist als Theaterautorin bekannt und berühmt. Sie hat einige der besten deutschen Stücke geschrieben, die in den letzten Jahren zu sehen waren. Jetzt veröffentlicht sie ihren ersten Prosaband, eine schmale Sammlung mit acht Erzählungen. Es handelt sich keineswegs um Fingerübungen, sondern um ausgereifte Arbeiten. Wie in ihren Stücken ist Dea Loher auch hier nicht auf ein bestimmtes Thema oder Milieu festgelegt. Sie schreibt ein präzises, klares, atmosphärisch dichtes Deutsch, kann die unterschiedlichsten Typen oder Situationen mit wenigen Sätzen vergegenwärtigen und versteht es, ihre Geschichten pointiert zuzuspitzen. Mal nehmen sie dramatische Züge an: Ein Kneipenwirt erhält das Angebot, einen Auftragsmord zu begehen. Dann wieder geht es um subtile Manipulationen: Ein Kindermädchen kann sich nur knapp den Avancen des Hausherren entziehen. Oder die Erzählungen schlagen unvermittelt um von leisen in laute Töne: Ein Mann reist einer heimlich geliebten Freundin nach, die ihm dann ihr Desinteresse auf offener Bühne demonstriert. Immer aber sind die Erzählungen psychologisch ausgefeilt und suggestiv. Grund genug, nicht nur vor der Dramatikern, sondern auch vor der Erzählerin Dea Loher den Hut zu ziehen.

Dea Loher: „Hundskopf“. Erzählungen Wallstein Verlag, Göttingen 2006 114 S., 16,00 €

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„Der längste Tag des Jahres“

Tanja Dückers erzählt von fünf Kindern und ihrem toten Vater

Paul Kadereit ist gestorben. Er war Tierhändler, 62 Jahre alt und fühlte sich gesund. Im Sommer 2003 hat er trotz tropischer Temperaturen sehr lange in seinem Bienenhaus bei Fürstenfeldbruck gearbeitet und ist dann tot zusammengebrochen. Er hinterläßt eine Frau und fünf erwachsene Kinder. Soweit die Vorgeschichte. In ihrem neuen Roman „Der längste Tag des Jahres“ erzählt Tanja Dückers ausschließlich davon, wie die Kinder Kadereits, zwei Töchter und drei Söhne, die Nachricht vom Tod ihres Vaters aufnehmen. Der Schock über den Verlust wird für jeden von ihnen zum Anlaß, eine Art biographische Bilanz zu ziehen: Sie erinnern sich an ihre frühen, unvermeidlich prägenden Jahre in einem Familienbiotop, aus dem sie dann allmählich heraus- und in die komfortablen oder kümmerlichen Arrangements hineinwuchsen, die sie inzwischen ihr Leben nennen. Dieses Sujet läßt zunächst nicht viel Gutes ahnen. Familienromane, die nach solchem Muster gestrickt sind, neigen sehr zur grimmigen Abrechnung mit dem Vergangenen. Die Roman-Kinder machen den Roman-Eltern dann gern den Prozeß wegen ihrer angeblich oder tatsächlich verpfuschten Jugend. In Amerika wurde das vor nicht allzu langer Zeit zu eine ausufernden literarische Mode. Die Bücher begannen meist damit, daß die Kinder zu einer Beerdigung oder einem Familienfest an den Ort ihre Jugend zurückkehrten und zunächst nur zögernd, dann aber immer radikaler mit den altgewordenen Eltern das Drama ihrer Kindheit verhandelten. Wahlweise entpuppten sich dabei die Mütter im Rückblick als lieblos, kalt und kontrollsüchtig oder die Väter als Unholde, die ihre Frauen ständig betrogen, wenn sie nicht gar den eigenen Töchtern inzestuös nachstellten. Zu den sympathischen Zügen von Tanja Dückers‘ Roman gehört, daß sie sich auf solche effektvollen, aber recht platten Abrechnungs-Klischees nicht einläßt. Sie interessiert sich nicht für spektakuläre Familienkatastrophen, sondern für das gewöhnliche Familiengespinst aus starken Bindungen und kleinen Aversionen, das nicht allein die Eltern weben, sondern an dem auch die Kinder durch ihre Zuwendung und Anteilnahme im positiven Sinne oder eben durch ihre Eifersucht und Rücksichtslosigkeit im negativen Sinne mithäkeln. „Der längste Tag des Jahres“ spürt keiner erdrückenden, von allen Beteiligten ängstlich beschwiegenen Schuld in der Familienvergangenheit nach, sondern den alltäglichen Kompromissen, Sehnsüchten, Reibereien, Egoismen, die das Familienleben letztlich ausmachen. Da ist beispielsweise Sylvia, die in sich gekehrte älteste Kadereit-Tochter. Sie ist so sehr damit beschäftigt, den Ansprüchen anderer gerecht zu werden, daß sie darüber sogar versäumt, vom Tod des Vaters zu berichten, bevor ihr Mann gewohnheitsgemäß auf die Erfüllung der ehelichen Pflichten dringt. Kein Wunder, daß diese aufopferungsvolle Hausfrau und Sekretärin zu ihrem egozentrischen Bruder David, der für das Theater arbeitet und die hohe Schauspielkunst wieder und wieder mit hemmungsloser Selbstdarstellung verwechselt, ein regelrecht feindseliges Verhältnis hat. Anna dagegen ist als Psychotherapeutin mit einer bedenklichen Vorliebe für Astrologie so sehr mit der Analyse von Gefühlen beschäftigt, daß sie darüber nicht selten vergißt, selber welche zu haben. Etwas irritierend erscheint der Umstand, daß Dückers‘ Roman auffällig wenig über Benjamin, den vierten Sproß der Familie verrät. Er wird fast nur aus der Perspektive seiner Freundin geschildert, weshalb man über seine Empfindungen oder Erinnerungen an den Vater kaum etwas erfährt. Thomas, dem jüngsten Kadereit, widmet sich Tanja Dückers dagegen am ausführlichsten. Er war lange der Liebling des Vaters, hat sich dann aber entschieden von der Familie abgesetzt: Bald nach seinem zwanzigsten Geburtstag gab er sein Studium auf und ließ sich nach einer Weltreise in der kalifornischen Wüste nieder. Mit dieser exotischen Ortswahl scheint Tanja Dückers so etwas wie ein beherrschendes Familienschicksal andeuten zu wollen. Denn der Großvater Gustav Kadereit zog seinerzeit als Wehrmachtssoldat mit Rommel in die Wüste und wurde dort erschossen. Vater Paul Kadereit entwickelte in seiner „Zootierhandlung“ eine besondere Leidenschaft für Wüstentiere, für Warane oder Geckos, und er konnte Stunde um Stunde damit verbringen, die Tiere in den Terrarien zu beobachten. Schließlich findet der Enkel Thomas Kadereit in der Wüste so etwas wie seine karge Wahlheimat. Was es allerdings im familienpsychologischen Sinne mit dieser generationsübergreifenden Leidenschaft für wasserarme Zonen auf sich haben könnte, läßt Tanja Dückers weitgehend im Vagen. Die Hauptschwäche des Buches ist jedoch seine Sprache. Tanja Dückers schreibt ein nachlässiges, oft unelegantes, gelegentlich steifes Deutsch. Zudem hat sie eine unglückselige Neigung zu eingeschobenen Nebensätzen und unübersichtlichen Schachtelkonstruktionen. Wenn der Schauspieler David zum Beispiel behauptet, er haben vorausgeahnt, zu welchem Zeitpunkt er eine neue Geliebte finden werde, beschreibt Tanja Dückers das so: „Auch bevor er Ellen kennengelernt hatte, war er einen ganzen langen Sommer, in dem er ohne Engagement dastand und nur im Park gelegen und gelesen hatte, davon überzeugt, Silvester mit einer neuen Liebe feiern zu können.“ Auf diese Weise klingt der Roman in etwa so wie ein Gespräch am Nebentisch, das man in einem Studentencafé belauscht, und in dem Unbekannte die Biographien ihrer Angehörigen durchhecheln. Das ist nicht ohne Reiz. Aber gerade wenn man dabei interessante Familienanekdoten zu hören bekommt, würde man sich das alles gern genauer, disziplinierter, poetischer erzählen lassen.

Tanja Dückers: „Der längste Tag des Jahres“. Roman
Aufbau Verlag, Berlin 2006. 211 S., 18,90 €

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„Die Heimkehr“

Bernhard Schlink erzählt von einem bösen Vater und einem Sohn mit Bastelbiographie
Offen gestanden, es fällt mir nicht leicht, diesen Artikel zu schreiben. Denn ich zähle mich zu den Bewunderern Bernhard Schlinks. In seinem großartigen, seinem überragenden Roman „Der Vorleser“ (1995) zeigt er nicht nur die Bedenkenlosigkeit und Bestialität einer KZ-Aufseherin, sondern zugleich auch, was für ein empfindsamer, hilfsbedürftiger, ja liebenswerter Mensch diese Frau jenseits ihrer Verbrechen ist. Es gibt wohl kein Thema, das für einen deutschen Schriftsteller heikler sein könnten als dieses – und Schlink hat daraus ein grandioses Buch gemacht, das sehr zurecht zu einem Welterfolg wurde. Wenn die deutsche Literatur heute nach langer Dürrezeit auf internationaler Bühne wieder mit wachsender Neugier und Zuneigung rechnen kann, ist das nicht zuletzt ein Verdienst dieses Romans. Zudem hat Schlink vier ebenso intelligente wie spannende Kriminalromane geschrieben, hat eine Sammlung lebenskluger Erzählungen vorgelegt und hat kürzlich einen Band mit Essays veröffentlicht, der ihn als hellsichtigen und urteilsicheren Beobachter unserer Zeit ausweist. Doch damit noch nicht genug: Die „Literarische Welt“, die wöchentliche Literaturbeilage dieser Zeitung, hat guten Grund, Schlink dankbar zu sein. Er ist nicht nur der erste Träger des „Welt“-Literaturpreises, sondern er arbeitet seit 2000 in der Jury mit, die diese Auszeichnung vergibt. Und Schlink hielt die Laudatio, als jene Jury Imre Kertész den „Welt“-Literaturpreis zusprach – zwei Jahre bevor Kertész den Literatur-Nobelpreis bekam. Aber aller Bewunderung und Dankbarkeit zum Trotz muß ich bekennen, daß ich Schlinks neuen, lang erwarteten Roman „Die Heimkehr“ für weitgehend mißglückt halte. Schlink hat für das Buch einen sehr komplexen, politisch gewichtigen Stoff gewählt, er hat einen genau durchdachten, unterhaltsamen Plot entwickelt, hat diesen in einer klaren, schnörkellosen Prosa umgesetzt – und ist letztlich doch an seinem Vorhaben gescheitert. Schlink erzählt die Geschichte des vaterlos aufgewachsenen Juristen Debauer, der schon als Kind bei den Großeltern auf die Korrekturfahnen eines Romans ohne Titel und Autorennamen stieß. Er handelt von einem deutschen Soldaten, der aus dem Zweiten Weltkrieg nach langer Irrfahrt zurückkehrt und erkennen muß, daß seine Frau inzwischen mit einem anderen Mann eine Familie gegründet hat. Jahre später fallen dem mittlerweile erwachsenen Debauer erneut einzelne Seiten des Buches in die Hände, und er macht sich auf die Suche nach dem Autor. Bald verdichten sich die Indizien, daß der Roman von Debauers Vater stammt. Schließlich stellt sich heraus, daß der Vater nicht – wie Debauers Mutter behauptet – im Krieg umkam, sondern unter dem Namen de Baur als Jurist an einer New Yorker Universität lehrt und recht eigenwillige Thesen vertritt. Diese Geschichte wirkt auf den ersten Blick wie eine private Vatersuche, wie eine moderne Version der „Odyssee“, erzählt aus der Perspektive von Odysseus’ Sohn. Bei näherem Hinsehen entpuppt sie sich allerdings als politisches Generationendrama von fundamentalem Zuschnitt. Denn Schlinks Held, der Jurist Debauer jr. ist an einer Habilitationsschrift gescheitert, die zeigen sollte, „daß die Gerechtigkeit nur dann von Nutzen ist, wenn ihre Forderungen ohne Rücksicht auf gesellschaftlichen Nützlichkeit“ entfaltet werden. Sein Vater dagegen, de Baur sen., hat in Amerika die Deconstructionist Legal Theory begründet, die das Gegenteil beweisen will: Nämlich daß es Gerechtigkeit im Grunde gar nicht gibt, daß Gesetze immer mit Rücksicht auf ihre gesellschaftliche Nützlichkeit gemacht werden – und daß sich folglich ein echter Freigeist nicht an Gesetze gebunden fühlen muß, sondern selbst entscheiden kann, „was gut und was böse ist“. Schlink konfrontiert in diesen beiden Figuren aber nicht nur zwei unvereinbare rechtsphilosophischen Positionen, sondern zwei unterschiedliche Haltungen zum Leben. Der Vater, in der Schweiz geboren und aufgewachsen, entwickelt sich schon früh zum charismatischen Abenteurer und intellektuellen Hasardeur. Getreu seinem Motto, daß Gut und Böse nur eine Frage des historischen Augenblicks sind, engagiert er sich im Zweiten Weltkrieg für die Nazis, in den Nachkriegsjahren für die Kommunisten, in Amerika für die Demokratie – und bei all dem immer unbeirrbar für seine Karriere. Sein Sohn dagegen ist die Halbherzigkeit in Person: Er erprobt sich mal als Wissenschaftler, mal als Berufsaussteiger, mal als Lektor, mal sehnt er sich nach der lebenslangen Liebe, dann wieder versucht er sich als Casanova, der Frauen serienweise nach Plan verführt. Sogar die Recherchen nach seinem Vater betreibt er so unentschlossen, daß sie sich über Jahre hinziehen. „Mir kommt es vor“, stellt er sich selbst die heute gern für generationstypisch gehaltene Diagnose, „als hätte ich immer im Rückzug gelebt oder doch in der Bereitschaft, mich bei Widerstand sofort zurückzuziehen.“ Durch diese strikte Konfrontation zweier gegensätzlicher Charaktere wirkt Schlinks Buch wie eine Versuchsanordnung unter Laborbedingungen, wie ein Thesenroman, der am Reißbrett entworfen wurde. Auf der einen Seite die Vaterfigur, für die einige im Buch genannte Intellektuelle wie der Jurist Carl Schmitt und der Dekonstruktivist Paul de Man Modell gestanden haben – und für deren Mentalität der Historiker Michael Wildt unlängst die Formel von der „Generation des Unbedingten“ geprägt hat. Auf der anderen Seite der Sohn mit seiner brüchigen Bastelbiographie, der sich immerzu gezwungen fühlt, den verschiedenen, einander widerstreitenden Wertesysteme einer modernen Gesellschaft gerecht zu werden und der sich dabei regelmäßig verzettelt. Nun könnte eine solche Gegenüberstellung zweier Generationsrepräsentanten literarisch durchaus ihren Reiz haben – wenn beide Figuren tatsächlich eine Chance hätten, die Sympathie des Lesers zu erobern. Doch Vater de Baur ist ein Schweizer, der sich freiwillig den Nazis andient, der Mord als eine Art Kavaliersdelikt und Völkermord als einen Akt der Ritterlichkeit darstellt, der mit einer Frau schläft, nur um sich an ihr zu rächen, der seine notleidende Familie sitzen läßt und der seine Studenten gegen ihren Willen brutalen Psycho-Experimenten aussetzt. Kurz, Schlink schildert ihn nicht als Menschen, sondern als Monster. Gegen Ende des Buches werden de Baurs Thesen als „moderner intellektueller Faschismus“ bezeichnet. Dem stimmt man als Leser gern zu – und nimmt ansonsten aus dem der Roman wenig mehr mit als die nicht sehr originelle Erkenntnis, daß mit intellektuellen Faschisten nicht gut Kirschen essen ist. Hätte Schlink aus dem Stoff dieses Buches besser einen Essay als einen Roman gemacht? Ich weiß es nicht. Als Kritiker sollte man sich hüten, einem Schriftsteller ungebeten Ratschläge zu erteilen – noch dazu einem Schriftsteller vom Format Bernhard Schlinks. Sein Buch hat eine klare Botschaft: Es gibt Spielarten des Dekonstruktivismus, die, konsequent weitergedacht, zu haarsträubenden politischen Standpunkten führen. Ich zweifle nicht daran, daß diese Botschaft richtig ist. Aber ich bezweifle, daß es die Aufgabe eines Romans ist, solche handlichen Botschaften zu vermitteln. Schlinks Buch entfaltet keine Geschichte, sondern illustriert eine These, es zeigt keine Menschen, sondern führt soziologische Prototypen vor, es erzählt nicht, sondern es polemisiert.

Bernhard Schlink: Die Heimkehr. Diogenes, Zürich 375 S., 19.90 €

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„Die Heimkehr“

 Bernhard Schlink erzählt von einem bösen Vater und einem Sohn mit Bastelbiographie
Offen gestanden, es fällt mir nicht leicht, diesen Artikel zu schreiben. Denn ich zähle mich zu den Bewunderern Bernhard Schlinks. In seinem großartigen, seinem überragenden Roman „Der Vorleser“ (1995) zeigt er nicht nur die Bedenkenlosigkeit und Bestialität einer KZ-Aufseherin, sondern zugleich auch, was für ein empfindsamer, hilfsbedürftiger, ja liebenswerter Mensch diese Frau jenseits ihrer Verbrechen ist. Es gibt wohl kein Thema, das für einen deutschen Schriftsteller heikler sein könnten als dieses – und Schlink hat daraus ein grandioses Buch gemacht, das sehr zurecht zu einem Welterfolg wurde. Wenn die deutsche Literatur heute nach langer Dürrezeit auf internationaler Bühne wieder mit wachsender Neugier und Zuneigung rechnen kann, ist das nicht zuletzt ein Verdienst dieses Romans. Zudem hat Schlink vier ebenso intelligente wie spannende Kriminalromane geschrieben, hat eine Sammlung lebenskluger Erzählungen vorgelegt und hat kürzlich einen Band mit Essays veröffentlicht, der ihn als hellsichtigen und urteilsicheren Beobachter unserer Zeit ausweist. Doch damit noch nicht genug: Die „Literarische Welt“, die wöchentliche Literaturbeilage dieser Zeitung, hat guten Grund, Schlink dankbar zu sein. Er ist nicht nur der erste Träger des „Welt“-Literaturpreises, sondern er arbeitet seit 2000 in der Jury mit, die diese Auszeichnung vergibt. Und Schlink hielt die Laudatio, als jene Jury Imre Kertész den „Welt“-Literaturpreis zusprach – zwei Jahre bevor Kertész den Literatur-Nobelpreis bekam. Aber aller Bewunderung und Dankbarkeit zum Trotz muß ich bekennen, daß ich Schlinks neuen, lang erwarteten Roman „Die Heimkehr“ für weitgehend mißglückt halte. Schlink hat für das Buch einen sehr komplexen, politisch gewichtigen Stoff gewählt, er hat einen genau durchdachten, unterhaltsamen Plot entwickelt, hat diesen in einer klaren, schnörkellosen Prosa umgesetzt – und ist letztlich doch an seinem Vorhaben gescheitert. Schlink erzählt die Geschichte des vaterlos aufgewachsenen Juristen Debauer, der schon als Kind bei den Großeltern auf die Korrekturfahnen eines Romans ohne Titel und Autorennamen stieß. Er handelt von einem deutschen Soldaten, der aus dem Zweiten Weltkrieg nach langer Irrfahrt zurückkehrt und erkennen muß, daß seine Frau inzwischen mit einem anderen Mann eine Familie gegründet hat. Jahre später fallen dem mittlerweile erwachsenen Debauer erneut einzelne Seiten des Buches in die Hände, und er macht sich auf die Suche nach dem Autor. Bald verdichten sich die Indizien, daß der Roman von Debauers Vater stammt. Schließlich stellt sich heraus, daß der Vater nicht – wie Debauers Mutter behauptet – im Krieg umkam, sondern unter dem Namen de Baur als Jurist an einer New Yorker Universität lehrt und recht eigenwillige Thesen vertritt. Diese Geschichte wirkt auf den ersten Blick wie eine private Vatersuche, wie eine moderne Version der „Odyssee“, erzählt aus der Perspektive von Odysseus’ Sohn. Bei näherem Hinsehen entpuppt sie sich allerdings als politisches Generationendrama von fundamentalem Zuschnitt. Denn Schlinks Held, der Jurist Debauer jr. ist an einer Habilitationsschrift gescheitert, die zeigen sollte, „daß die Gerechtigkeit nur dann von Nutzen ist, wenn ihre Forderungen ohne Rücksicht auf gesellschaftlichen Nützlichkeit“ entfaltet werden. Sein Vater dagegen, de Baur sen., hat in Amerika die Deconstructionist Legal Theory begründet, die das Gegenteil beweisen will: Nämlich daß es Gerechtigkeit im Grunde gar nicht gibt, daß Gesetze immer mit Rücksicht auf ihre gesellschaftliche Nützlichkeit gemacht werden – und daß sich folglich ein echter Freigeist nicht an Gesetze gebunden fühlen muß, sondern selbst entscheiden kann, „was gut und was böse ist“. Schlink konfrontiert in diesen beiden Figuren aber nicht nur zwei unvereinbare rechtsphilosophischen Positionen, sondern zwei unterschiedliche Haltungen zum Leben. Der Vater, in der Schweiz geboren und aufgewachsen, entwickelt sich schon früh zum charismatischen Abenteurer und intellektuellen Hasardeur. Getreu seinem Motto, daß Gut und Böse nur eine Frage des historischen Augenblicks sind, engagiert er sich im Zweiten Weltkrieg für die Nazis, in den Nachkriegsjahren für die Kommunisten, in Amerika für die Demokratie – und bei all dem immer unbeirrbar für seine Karriere. Sein Sohn dagegen ist die Halbherzigkeit in Person: Er erprobt sich mal als Wissenschaftler, mal als Berufsaussteiger, mal als Lektor, mal sehnt er sich nach der lebenslangen Liebe, dann wieder versucht er sich als Casanova, der Frauen serienweise nach Plan verführt. Sogar die Recherchen nach seinem Vater betreibt er so unentschlossen, daß sie sich über Jahre hinziehen. „Mir kommt es vor“, stellt er sich selbst die heute gern für generationstypisch gehaltene Diagnose, „als hätte ich immer im Rückzug gelebt oder doch in der Bereitschaft, mich bei Widerstand sofort zurückzuziehen.“ Durch diese strikte Konfrontation zweier gegensätzlicher Charaktere wirkt Schlinks Buch wie eine Versuchsanordnung unter Laborbedingungen, wie ein Thesenroman, der am Reißbrett entworfen wurde. Auf der einen Seite die Vaterfigur, für die einige im Buch genannte Intellektuelle wie der Jurist Carl Schmitt und der Dekonstruktivist Paul de Man Modell gestanden haben – und für deren Mentalität der Historiker Michael Wildt unlängst die Formel von der „Generation des Unbedingten“ geprägt hat. Auf der anderen Seite der Sohn mit seiner brüchigen Bastelbiographie, der sich immerzu gezwungen fühlt, den verschiedenen, einander widerstreitenden Wertesysteme einer modernen Gesellschaft gerecht zu werden und der sich dabei regelmäßig verzettelt. Nun könnte eine solche Gegenüberstellung zweier Generationsrepräsentanten literarisch durchaus ihren Reiz haben – wenn beide Figuren tatsächlich eine Chance hätten, die Sympathie des Lesers zu erobern. Doch Vater de Baur ist ein Schweizer, der sich freiwillig den Nazis andient, der Mord als eine Art Kavaliersdelikt und Völkermord als einen Akt der Ritterlichkeit darstellt, der mit einer Frau schläft, nur um sich an ihr zu rächen, der seine notleidende Familie sitzen läßt und der seine Studenten gegen ihren Willen brutalen Psycho-Experimenten aussetzt. Kurz, Schlink schildert ihn nicht als Menschen, sondern als Monster. Gegen Ende des Buches werden de Baurs Thesen als „moderner intellektueller Faschismus“ bezeichnet. Dem stimmt man als Leser gern zu – und nimmt ansonsten aus dem der Roman wenig mehr mit als die nicht sehr originelle Erkenntnis, daß mit intellektuellen Faschisten nicht gut Kirschen essen ist. Hätte Schlink aus dem Stoff dieses Buches besser einen Essay als einen Roman gemacht? Ich weiß es nicht. Als Kritiker sollte man sich hüten, einem Schriftsteller ungebeten Ratschläge zu erteilen – noch dazu einem Schriftsteller vom Format Bernhard Schlinks. Sein Buch hat eine klare Botschaft: Es gibt Spielarten des Dekonstruktivismus, die, konsequent weitergedacht, zu haarsträubenden politischen Standpunkten führen. Ich zweifle nicht daran, daß diese Botschaft richtig ist. Aber ich bezweifle, daß es die Aufgabe eines Romans ist, solche handlichen Botschaften zu vermitteln. Schlinks Buch entfaltet keine Geschichte, sondern illustriert eine These, es zeigt keine Menschen, sondern führt soziologische Prototypen vor, es erzählt nicht, sondern es polemisiert.

Bernhard Schlink: Die Heimkehr. Diogenes, Zürich 375 S., 19.90 €

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Der vollständige Lyriker Robert Gernhardt und der Büchnerpreis

Klarer Fall, Robert Gernhardt muß den Büchner-Preis kriegen. Soviel steht ohnehin fest für jeden, der seine fünf Sinne beisammen und noch alle Bücher im Regal hat. Nötig wäre das nicht zur höheren Ehre Gernhardts, der bei den Lesern längst Legende ist, sondern um der Deutschen Akademie, die den Preis vergibt, einen Anschein von Zurechnungsfähigkeit zu erhalten. Der Büchner-Preis hat ja in letzter Zeit Federn gelassen: Die konkurrierende Mainzer Akademie schickt einen Breitbach-Preis ins Rennen, der spürbar besser dotiert ist. Gleiches gilt für den Frankfurter Goethe-Preis, der dazu noch, wie der Friedenspreis des Buchhandels, international ein himmelweit höheres Ansehen genießt. Soll der Büchner-Preis weiter in der Spitzenliga mitspielen, darf er nicht komplett dösig vergeben werden. Sicher, Gernhardt begann als Autor im komischen Fach, ist aber inzwischen über alle Fächergrenzen hinausgewachsen. Sportreporter bejubeln manche Tennisprofis als „vollständige“ Spieler, weil sie über jede Schlagtechnik perfekt verfügen. In diesem Sinne ist Gernhardt heute ein vollständiger Lyriker. Er beherrscht alle Formen und Tonfälle, schreibt philosophische Gedichte ebenso wie melancholische, ironische wie elegische, Heine’sche wie schweinische. Dazu noch hat er eine Wirkungsgeschichte, nach der sich andere die Finger lecken. Vor Gründung der Neuen Frankfurter Schule, deren Lehrpersonal er angehört, waren im Nachkriegsdeutschland qualitätvoll komische Töne nur im Politkabarett, bei Loriot oder Erich Kästner zu hören. Die diversen Universen zuvor ganz ungeahnter Satire-, Parodie- oder Nonsens-Formen, die Gernhardt und seine Mitstreiter in den Magazinen „Pardon“ und „Titanic“ eroberten, haben die Mentalität einer Generation und damit des Landes aufs Angenehmste durchdrungen. Als ich einen Amtsträger der Akademie fragte, ob sie Gernhardt aus purer Humorlosigkeit übergingen, antwortete er (neben einigen hier nicht zitierfähigen Bemerkungen): „Wilhelm Genazino“. Richtig, auch Genazino schrieb einst für „Pardon“ und „Titanic“. Allerdings hat er danach 20 Jahre lang krachlangweilige, übellaunige Romane verfaßt, bevor er zwei gute ablieferte und prompt den Büchner-Preis bekam. Soll Gernhardt also erst 20 Jahre Fadheit vortäuschen, bevor die Akademie ihm zu verzeihen bereit ist, daß er über mehr Witz verfügt als so manches Akademiemitglied?

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„Ins Alphorn gehustet“

Komische Gedichte von Thomas Gsella

Laut Gottfried Benn gelingen selbst den besten Dichtern in ihrem Leben nur wenige sehr gute Gedichte. Und Benn wußte da Bescheid. Also sollte man zufrieden sein, wenn sich in einem neuen Lyrikband ein paar starke Gedichte finden und der Rest immerhin so mittel ist. Und nach den starken Gedichten muß man das Buch dann beurteilen. In Thomas Gsellas Band „Ins Alphorn gehustet“ hat mich die erste Abteilung nicht überzeugt: Seine Idee, die diversen Vorurteile über angebliche Nationalcharaktere in Versform zu parodieren, hat sich bald erschöpft. Aber im Mittelteil liefert er ein paar Gedichte, die er „Alternden Männern, die in einer langjährigen Ehe leben, zum Trost“ zugedacht hat: Wie Gsella da Komik in Melancholie umschlagen läßt, wie er hinter Coolness kurze Momente von Gefühl hervorblitzen läßt, das hat Format. Und gegen Ende des Bandes besingt er einem „bösen Jungen“, der später zwar Journalist wird, dem es aber nie gelingt, böse zu sein. Auch das ist schlicht großartig. Gsella beherrscht sein lyrisches Handwerk und wenn ihn dann noch die Muse küßt, ist er umwerfend gut und oft umwerfend lustig. In einem Reisegedicht zum Beispiel heißt es: „Wenn es viel zu heiß und klamm ist; / wenn durch Gassen Wesen rennen, / die sich, da man in Vietnam ist, / durchweg Vietnamesen nennen“ – dann ist das echt witzig.

Thomas Gsella: „Ins Alphorn gehustet“. Gedichte Reclam Verlag, Leipzig 2005 143 S., 12,90 €

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„Unterwegs“

Ein Bildband von Susanne Schleyer

Mit Fotobänden über fremde Länder oder Städte kann man die Straße pflastern. Egal wohin heutzutage die Reise geht, lang bevor man ankommt, weiß man schon, wie es dort ausschaut. Die Fotografin Susanne Schleyer hat deshalb in ihrem Band „Unterwegs“ nicht die üblichen Bilder entfernter oder vertrauter Orte zusammengestellt, sondern seltsam eigenwillige, atmosphärestarke Straßen- und Alltagsszenen. Ihre Fotos erzählen kleine Geschichten über andere Städte, über London oder Buenos Aires oder Sankt Petersburg. Es sind Angelhaken für die Fantasie. Da ist zum Beispiel dieses Foto eines Wiener Paares, die sich Nachts hinter einer offenen Gittertür am hell erleuchteten Schreibtisch gegenübersitzen. Woran arbeiten sie? Oder das kleine Bild von einem Glas und einer einsamen Gabel auf einem Pariser Restauranttisch. Wer sitzt da zusammen und worüber reden die? Weil ihre Fotos so schön der Vorstellungskraft einheizen, hat Susanne Schleyer ein Dutzend Schriftsteller dafür gewonnen, Erzählungen zu den Bildern zu schreiben, darunter den neuen Superstar der jungen deutschen Literatur Daniel Kehlmann, aber auch Tanja Dückers, Katharina Hacker oder David Wagner. Besser kann man in seinem Lesesessel nicht mehr reisen.

Susanne Schleyer „Unterwegs“ Schwartzkopff Verlag, Berlin 163 S., 22,- €

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„Hürriyet Love Express“

Imran Ayata Erzählungen von Dandys, Gescheiterten und Filous

Integration von Ausländern ist niemals leicht, in Deutschland ist sie schwer. Wird Integration hierzulande gefördert, heißt es, man raube den Ankömmlingen ihre kulturelle Identität. Wird sie nicht gefördert, heißt es, die Deutschen bildeten eine geschlossene Gesellschaft. Inmitten dieser tagtäglichen Absurditäten hat Imran Ayata, Jahrgang 1969, seine Erzählungen angesiedelt. Amtsdeutsch würde man die Helden seiner Geschichten Migranten nennen, er selbst nennt sie Kanakster: Helle, schnelle Typen, die sich von niemandem die Wurst vom Brot nehmen lassen. Es sind Dandys darunter, schräge Romantiker oder gescheite Filous. Sie verstehen aus dem Zusammenprall der Kulturen, zwischen denen sie sich bewegen, echte Funken zu schlagen. Ayata Stil ist nicht so geschmeidig wie es seine Figuren sind. Aber er erzählt mit viel Witz und Gespür für die seelenwunden Augenblicke im Leben junger Männer, die davon überzeugt sind, nichts könne sie je umwerfen.

Imran Ayata: „Hürriyet Love Express“. Erzählungen
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2006 208 S., 7,90 €

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„Die Liebe zur Leere“

Martin Heckmanns zelebriert in Frankfurt den Tod des Entertainers

Hans Müller ist ein Comedy-Star und eine tragischen Figur zugleich. Er hat den Job von Harald Schmidt und den Zynismus Heiner Müllers. Der einzige Standpunkt, den er kennt, ist die Pointe, sein einziges Lebensziel die nächste ironische Volte. Das Publikum erwartet von ihm das Unerwartete, und er liefert es zuverlässig. In vergangenen Jahrhunderten wäre er nichts weiter gewesen als ein Hofnarr, als ein Clown, der für ein bißchen Spaß am Rande sorgt. Doch in einer Zeit, der keine Gewißheiten mehr gewiß sind und die den Wandel zu ihrer unwandelbaren Grundlage gemacht hat, wird er zur exemplarischen Gestalt. Martin Heckmanns, hochbegabter und -gelobter Nachwuchsdramatiker, macht in seinem neuen, jetzt in Frankfurt uraufgeführten Stück „Die Liebe zur Leere“ die Late-Night-Show zum Austragungsort der Epochenkonflikte. Hans Müller, der Late-Night-Entertainer, ist die Innovation in Person, für ihn zählt nur der neueste Gedanke, der neueste Gag, die neueste Geliebte. Doch das Publikum, dieses divenhafte Wesen, das bislang an seinen Lippen hing, bevorzugt plötzlich die etwas gemütlichere Unterhaltungsware. Also sinkt Müllers Quote und folglich auch die Laune seines Produzenten. Schon ist von der Suche nach einem Nachfolger die Rede, Müllers Assistent scharrt bereits in der Startlöchern, die Krise ist da. Die Geschwister Eva und Arne Gruber sind von all dem, was Müller ist, das exakte Gegenteil. Er ist der Star der Show, sie arbeiten für ihn im Hintergrund, er liebt das Neue, sie sehnen sich nach Vergangenem, er kennt kein Halten, sie finden Halt in Gott, er witzelt, sie beten. Doch als Publikum und Produzent von Müller weniger Bissigkeit und mehr Besonnenheit verlangen, verliebt er sich prompt in die besonnene Eva. Ihr Bruder fürchtet deshalb um ihre Tugend, und als sie tatsächlich während eines Festes vergewaltigt wird, erschießt er Müller – nicht weil Müller der Täter war, sondern weil Müller der Repräsentant jener Haltlosigkeit ist, die solche Taten möglich macht. Martin Heckmanns gehört nicht zu den Seelenerforschern unter den Theaterautoren. Er ist ein Sprach- und Ideenspieler. Seine Figuren sind Gedanken auf zwei Beinen. Die Widersprüche zwischen einer durch und durch ironischen, liberalen und einer konsequent religiösen, dogmatischen Weltsicht, die seit dem 11. September zum Dauerbrenner der intellektuellen Debatten geworden sind, führt er in seinem Stück brillant vor Augen. Er seziert die Konflikte seiner Helden wie ein Pathologe mit präzisen Schnitten, doch zum Leben erweckt er seine Helden nicht. Er findet für beide Seiten kluge, klangvolle, bis zur Sentenz kondensierte Sätze, aber Stimme verleiht er ihnen nicht. Auf den eindringlichen Rhythmus in Heckmanns Sprache antwortet die Regisseurin Simone Blattner wie schon 2004, als sie Heckmanns „Kränk“ uraufführte, mit einer konsequent rythmisierten Schauspielerführung. Gern läßt sie sämtliche Figuren auf der Bühne in seltsam künstlichen Posen verharren, um sie dann alle zugleich wie auf ein Signal hin in neue, nicht minder bizarre Posen zu schicken. Das treibt den Stücken jeden Realismus aus und verwandelt sie mitunter in einen Comic-Strip – wie bei ihrer hochkomischen Inszenierung von Feydeaus „Floh im Ohr“. An Heckmanns’ „Liebe zur Leere“ allerdings hebt diese Regietechnik die ohnehin leicht mechanischen Züge des Stückes hervor, es wirkt nun fast wie ein mehrstufiger Versuchsablauf unter Laborbedingungen. Hans Müller ist ein Comedy-Star und eine tragische Figur. Seine immerwährende, alles zersetzenden Ironie ist für ihn Lust und Leid zugleich. Doch Rainer Frank, der ihn in Frankfurt spielt, wird von Simone Blattner in einem Tempo über die Bühne gehetzt, daß er oft genug nur noch um Atem ringen kann statt Charme und Schmerz dieses komplett illusionslosen Alleinunterhalters spürbar werden zu lassen. Felix Römer macht aus den Müllers kriecherischem Assistenten eine Art Gollum des Unterhaltungsbusiness. Und Annedore Bauer und Sebastian Schindegger sind als Geschwister Gruber weder fromm noch fanatisch, sondern vor allem bieder und blaß.

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Den Scheich vom Kamel sprengen

 Der ultimative satirische Polit-Thriller zur endgültigen Lösung sämtlicher Nahost-Konflikte

Der Amerikaner Christopher Buckley ist ein Meister des politisch unkorrekten Polit-Thrillers. Mehr noch, er ist ein Satiriker mit einem Sinn für überaus bissige, grimmige, sarkastische Pointen. Vor allem aber ist er der Erfinder eines neues Sub-Genres der Thrillerliteratur, nämlich des PR-Romans. Der Ausgangsgedanke des PR-Romans ist einfach: Wenn Fernsehen und Boulevard-Presse heute tatsächlich zu entscheidenden Einflußgrößen in unserer Mediendemokratie herangewachsen sind, dann werden sie zwangsläufig zu den bevorzugten Schlachtfelder enthemmter Lobbyisten und Spin-Doctors, die dort mit krimineller Energie ihre abgefeimten, aber naturgemäß bestens bezahlten Ziele verfolgen. Und die schmutzigsten aller denkbar schmutzigen PR-Schlachten toben natürlich in Buckleys Büchern. In „Danke, daß Sie hier rauchen“ beschreibt er den aufopferungsvollen Medien-Feldzug eines ebenso brillanten wie moralfreien Pressesprechers der Zigarettenindustrie in Washington D.C. für das Recht freier Bürger an frei gewähltem Lungenkrebs zugrunde zu gehen. In „Kleine grüne Männchen“ erzählt er von einer durchgeknallten amerikanischen Regierung, die mit Hilfe eines populären Talkshowmaster die Ufo-Hysterie in Lande schüren will – um Stimmung zu machen für eine weitere Steigerung ihrer völlig überzogenen Rüstungsausgaben. Und im jetzt erschienenen Roman „Florence von Arabien“ versucht Buckley auf seine Weise die ewigen Konflikte im und mit dem Nahen Osten endgültig zur Entscheidung zubringen. Seine Heldin Florence Farfaletti ist Feministin, Mitarbeiterin des amerikanischen Außenministeriums und dazu eine exzellente Kennerin der arabischen Kultur. Als in dem extrem reichen, extrem mittelalterlichen muslimischen Staat Wasabien unter dem Einfluß religiöser Fanatiker immer mehr junge Frauen wegen minimaler Eheverfehlungen geköpft oder gesteinigt werden, entwirft sie das ultimative Geheimdienst-Szenario, wie in der Region endlich moderne, liberale Lebensverhältnisse hergestellt werden können. Ihr Plan ist konsequent nach den Regeln des PR-Geschäfts gestrickt. In einem benachbarten Scheichtum Wasabiens soll ein auf Frauen zugeschnittener Fernsehsender aufgebaut werden, der mit Einkaufs- und Kosmetik-Tips, Talk- und Quiz-Shows, Comedy-Serien und Soap-Operas nur ein einziges Ziel verfolgt: Durch die gemeinsten Tricks der Meinungsmanipulation die bleiern patriarchalischen Lebensverhältnisse der arabischen Länder samt Sharia lächerlich zu machten und den Araberinnen so viele emanzipative Ideen wie irgend möglich in die verschleierten Schädel zu hämmern. Tatsächlich kann sich Florence Farfaletti das nötige Startkapital für ihr Unternehmen beschaffen – von einer Abteilung des Geheimdienstes, die so geheim ist, daß selbst der CIA sie nicht kennt. Und tatsächlich trägt ihr Plan, schon wenige Tage nachdem die ersten Shows über die nahöstlichen Bildschirme flimmerten, seine Früchte – allerdings andere als Farfaletti hoffte. Kaum tun die arabischen Frauen ihre ersten zaghaften Schritte in Richtung Selbstbestimmung, steht die gesamte Region in Flammen, werden Potentaten getötet, Scheichs von ihren Kamelen gesprengt, brechen Kriege aus, kurz: erzittert die Weltordnung. Natürlich kann man die Geschichte als witzige Gedankenspielerei abtun. Doch viel von der grotesken Komik des Buches speist sich aus dem Aufeinanderprall der abgrundtiefen Gegensätzen zwischen einem säkularisierten, Menschenrechte predigenden Westen und einem fundamentalistischen Islam, deren korrupte Machthaber längst gestürzt wären, wenn nicht eben jener Westen seine Hand über sie hielte. Dem Satiriker Christopher Buckley liegt in seinem Buch nicht das Geringste an einem sauverantwortungsvollen Dialog zwischen diesen Kulturen. Viel lieber läßt er die Kontraste munter aufeinanderprallen, daß die Funken nur so sprühen – und dem Leser eine Vision davon vor Augen steht, was passieren könnte, wenn sich der politische Sprengstoff in dieser Weltgegend tatsächlich einmal entzünden sollte. Doch das Beste an dem Buch sind die gnadenlos zynischen Kommentare der amerikanischen Fernsehleute über die heuchlerischen religiösen Erregungszustände der Mullahs Wasabiens. Als einer der fiesesten Schurken vor den Kameras besonders lautstark Allah preist, sind aber selbst die TV-Macher sprachlos. „Vielleicht hat er tatsächlich Gott gefunden“, sagt schließlich einer von ihnen. „So was passiert. Dauernd finden Leute Gott in der Wüste. Er hat da nicht viel Konkurrenz. Niemand findet Gott auf der Madison Avenue.“ Viel schöner kann man es eigentlich kaum noch sagen.

Christopher Buckley: „Florence von Arabien.“ Roman
Aus dem amerikanischen Englisch von Martin Richter. Gerd Haffmans bei Zweitausendeins, Frankfurt am Main 2005 347 Seiten, 15,90 €

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