„Die Liebe zur Leere“

Martin Heckmanns zelebriert in Frankfurt den Tod des Entertainers

Hans Müller ist ein Comedy-Star und eine tragischen Figur zugleich. Er hat den Job von Harald Schmidt und den Zynismus Heiner Müllers. Der einzige Standpunkt, den er kennt, ist die Pointe, sein einziges Lebensziel die nächste ironische Volte. Das Publikum erwartet von ihm das Unerwartete, und er liefert es zuverlässig. In vergangenen Jahrhunderten wäre er nichts weiter gewesen als ein Hofnarr, als ein Clown, der für ein bißchen Spaß am Rande sorgt. Doch in einer Zeit, der keine Gewißheiten mehr gewiß sind und die den Wandel zu ihrer unwandelbaren Grundlage gemacht hat, wird er zur exemplarischen Gestalt. Martin Heckmanns, hochbegabter und -gelobter Nachwuchsdramatiker, macht in seinem neuen, jetzt in Frankfurt uraufgeführten Stück „Die Liebe zur Leere“ die Late-Night-Show zum Austragungsort der Epochenkonflikte. Hans Müller, der Late-Night-Entertainer, ist die Innovation in Person, für ihn zählt nur der neueste Gedanke, der neueste Gag, die neueste Geliebte. Doch das Publikum, dieses divenhafte Wesen, das bislang an seinen Lippen hing, bevorzugt plötzlich die etwas gemütlichere Unterhaltungsware. Also sinkt Müllers Quote und folglich auch die Laune seines Produzenten. Schon ist von der Suche nach einem Nachfolger die Rede, Müllers Assistent scharrt bereits in der Startlöchern, die Krise ist da. Die Geschwister Eva und Arne Gruber sind von all dem, was Müller ist, das exakte Gegenteil. Er ist der Star der Show, sie arbeiten für ihn im Hintergrund, er liebt das Neue, sie sehnen sich nach Vergangenem, er kennt kein Halten, sie finden Halt in Gott, er witzelt, sie beten. Doch als Publikum und Produzent von Müller weniger Bissigkeit und mehr Besonnenheit verlangen, verliebt er sich prompt in die besonnene Eva. Ihr Bruder fürchtet deshalb um ihre Tugend, und als sie tatsächlich während eines Festes vergewaltigt wird, erschießt er Müller – nicht weil Müller der Täter war, sondern weil Müller der Repräsentant jener Haltlosigkeit ist, die solche Taten möglich macht. Martin Heckmanns gehört nicht zu den Seelenerforschern unter den Theaterautoren. Er ist ein Sprach- und Ideenspieler. Seine Figuren sind Gedanken auf zwei Beinen. Die Widersprüche zwischen einer durch und durch ironischen, liberalen und einer konsequent religiösen, dogmatischen Weltsicht, die seit dem 11. September zum Dauerbrenner der intellektuellen Debatten geworden sind, führt er in seinem Stück brillant vor Augen. Er seziert die Konflikte seiner Helden wie ein Pathologe mit präzisen Schnitten, doch zum Leben erweckt er seine Helden nicht. Er findet für beide Seiten kluge, klangvolle, bis zur Sentenz kondensierte Sätze, aber Stimme verleiht er ihnen nicht. Auf den eindringlichen Rhythmus in Heckmanns Sprache antwortet die Regisseurin Simone Blattner wie schon 2004, als sie Heckmanns „Kränk“ uraufführte, mit einer konsequent rythmisierten Schauspielerführung. Gern läßt sie sämtliche Figuren auf der Bühne in seltsam künstlichen Posen verharren, um sie dann alle zugleich wie auf ein Signal hin in neue, nicht minder bizarre Posen zu schicken. Das treibt den Stücken jeden Realismus aus und verwandelt sie mitunter in einen Comic-Strip – wie bei ihrer hochkomischen Inszenierung von Feydeaus „Floh im Ohr“. An Heckmanns’ „Liebe zur Leere“ allerdings hebt diese Regietechnik die ohnehin leicht mechanischen Züge des Stückes hervor, es wirkt nun fast wie ein mehrstufiger Versuchsablauf unter Laborbedingungen. Hans Müller ist ein Comedy-Star und eine tragische Figur. Seine immerwährende, alles zersetzenden Ironie ist für ihn Lust und Leid zugleich. Doch Rainer Frank, der ihn in Frankfurt spielt, wird von Simone Blattner in einem Tempo über die Bühne gehetzt, daß er oft genug nur noch um Atem ringen kann statt Charme und Schmerz dieses komplett illusionslosen Alleinunterhalters spürbar werden zu lassen. Felix Römer macht aus den Müllers kriecherischem Assistenten eine Art Gollum des Unterhaltungsbusiness. Und Annedore Bauer und Sebastian Schindegger sind als Geschwister Gruber weder fromm noch fanatisch, sondern vor allem bieder und blaß.

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