Literatur und Krieg

Die deutschen Schriftsteller begegnen dem modernen High-Tech-Militär unisono mit Schweigen. Fällt ihnen zu Soldaten nichts mehr ein?   Die Kriege unserer Zeit finden in der deutschen Literatur nicht statt. Das ist verständlich und verwunderlich zugleich. Verwunderlich, weil Krieg immer eines der wichtigsten Themen der Literatur war, von Homers „Ilias“ und Schillers „Wallenstein“ bis Ernst Jüngers „In Stahlgewittern“. Auch nach 1945 spielte der Rückblick auf den Zweiten Weltkrieg zunächst eine zentrale Rolle. Böll, Grass, Lenz und viele andere hielten die Erinnerung an das Grauen und Töten fest. Sie brachten damit zur Sprache, was die Gesellschaft jener Jahre geformt hatte und zu deren stärksten Antriebskräften gehörte. Doch seither sind die aktuellen Kriege aus unserer Literatur verschwunden. Verständlich war das vor allem deshalb, weil der Krieg hierzulande für lange Zeit nur wie ein fernes Gespenst wahrgenommen wurde. Er schien jede Realität jenseits der Nachrichtenkanäle eingebüßt zu haben. Doch das ist seit 20 Jahren vorbei. Die Einsätze der Bundeswehr out of area lassen sich inzwischen an den Fingern beider Hände nicht mehr abzählen. Deutsche Soldaten waren oder sind vor den Küsten Libanons und Somalias, in Darfur oder am Hindukusch stationiert, überwachen, helfen, kämpfen, werden verwundet oder sterben im Auftrag ihres Landes. Der deutschen Literatur ist zu all dem wenig eingefallen. Sie begegnet den spezifischen Schrecken des HighTech-Kriegs mit Schweigen. Der Journalist und Erzähler Dirk Kurbjuweit hat letztes Jahr in seinem Roman „Kriegsbraut“ eine deutsche Soldatin beschrieben, die nach Afghanistan kommandiert wird und nicht nur die Langeweile des Lageralltags, sondern auch ein Feuergefecht zu bestehen hat. Viel mehr gibt es bislang zu dem Thema nicht. Es versteht sich von selbst, dass Literatur über den Krieg mit Kriegsverherrlichung nichts zu tun hat. Spätestens seit Anbruch der Moderne sind die hymnischen Töne aus den Schlachtenbeschreibungen fast vollständig verschwunden. Auch heute erwartet niemand, dass Schriftsteller versuchen, ihren Lesern einzureden, es sei süß, fürs Vaterland zu sterben. Im Gegenteil: Viele Bürger des Westens sehen im Ausbruch eines Kriegs inzwischen nichts anderes als einen Beweis für die Unfähigkeit der Politiker. Sobald die Waffen sprechen, haben in ihren Augen die Diplomaten versagt. Wie immer man zu solchen Argumenten steht – sie lassen den Krieg aus literarischer Sicht nicht uninteressant werden. Denn was sind das für Menschen, die sich dennoch in den Kampf kommandieren lassen? Opfer, die für wenig Geld Kopf und Kragen riskieren müssen? Abenteurer, die auf Grenzerfahrungen aus sind? Letzte Idealisten, die sich für ihr Land einsetzen, auch wenn die meisten Landsleute es ihnen nicht danken? Mit einem Wort: Helden? Von solchen Fragen könnte die Literatur heute erzählen. Kein Schriftsteller muss das tun, jeder hat ganz persönliche Themen, die ihn inspirieren. Doch wenn eine ganze Autorengeneration über zwei Jahrzehnte hinweg einen Stoff komplett ausblendet, dann riecht das nach kollektiver Verdrängung. Oder steckt dahinter die Furcht, sich allein schon durch die Berührung mit dem Thema Krieg im Literaturbetrieb ins Abseits zu manövrieren? Der Kommentar erschien im „Focus“ vom 23. April 2012

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