Von der Lust beim Schinden des Körpers

Evi Simeoni erzählt in ihrem Roman „Schlagmann“ von den Rätseln im Leben der Sportler 

Die diesjährige Fußball-EM ist bereits Geschichte. Tour de France und Wimbledon sind es auch. Ersatzweise offeriert uns der Sport-Sommer derzeit die Olympischen Spiele in London. Auch nicht schlecht. Für Fernseh-Unterhaltung ist weiterhin in ausreichendem Maße gesorgt. Da darf sich keiner beklagen. Ich schon gar nicht. Vielleicht ist das aber auch ein prächtiger Zeitpunkt für ein Buch, das nicht nur vom Glanz des Sports erzählt, sondern auch von seinen Tragödien. Wie der Roman Schlagmann (Klett-Cotta) von Evi Simeoni zum Beispiel. Die Autorin ist eine erfahrene und mehrfach preisgekrönte Sportreporterin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Sie erzählt die Geschichte eines Olympiasiegers, die Geschichte eines großartigen Ruderers und Modell-Athleten, der mit dem Deutschland-Achter Gold holt und landauf, landab entsprechend gefeiert wird. Doch nach seinem Abschied vom Sport scheitert der Mann, denn er leidet an Magersucht, verweigert über Jahre eine ausreichende Ernährung, bis er buchstäblich vor den Augen seiner ehemaligen Trainer und Sportkameraden und seiner Freundin verhungert. Eine haarsträubende Geschichte, aber Evi Simeoni hat sie nicht an den Haaren herbeigezogen. Der Lüneburger Bahne Rabe gewann als Schlagmann des Deutschland-Achters bei den Olympischen Spielen 1988 in Seoul die Goldmedaille, später wurde er Weltmeister im Vierer. Doch nach seinem Abschied vom Leistungssport wurden seine seelischen Probleme immer stärker. 2001 starb er an Magersucht. Das ist beileibe nicht der einzige prominente Fall eines psychisch erkrankten Spitzensportlers. Mir fallen ohne lange nachzudenken drei weitere ein: Die große Fußball-Hoffnung Sebastian Deisler beendete wegen Depressionen früh seine Karriere, den Ski-Springer Sven Hannawald ging es ähnlich. Bundesliga- und National-Torwart Robert Enke brachte sich um. Doch Evi Simeoni schreibt keine Biographie über Bahne Rabe. Sie übernimmt für ihren Roman nur ein paar Fakten von dem Fall Rabe und erzählt ansonsten eine frei erfundene Geschichte. Es geht ihr in ihrem Buch vor allem um das Verhältnis des Hochleistungssportlers zu seinem Körper, zum permanenten Konkurrenz-Druck und zur Frage, was er bereit sind, sich für den Erfolg anzutun. Der Held des Romans heißt Arne Hansen, ein Journalist recherchiert dessen Lebensweg von der Goldmedaille bis zum Hungertod in Gesprächen mit der ehemaligen Freundin und einem Sportkameraden Hansens. Evi Simeoni versteht all das spannend zu erzählen. Sie kennt das Milieu der Sportler und ihrer Trainer genau. Sie kann die fiebernde Wettkampf-Atmosphäre wunderbar beschreiben, kurz: Sie ist eine großartige Sportreporterin. Aber für sie zählen eben nicht nur die Ergebnisse, sie interessiert sich für die Menschen im Sport, ihre großen Kämpfe, Dramen, Schicksale. Sie zeigt, wie ihr Held Hansen zunächst dafür bewundert wird, dass er seinen Körper in Training und Wettkampf gnadenlos schindet und sie zeigt, dass alle Wegbegleiter zunächst wegschauen und schließlich hilflos daneben stehen, als Hansen seinen Körper hungernd zu Tode schindet. Besonders gut gefallen haben mit die Passagen, in denen Evi Simeoni vorführt, wie selten die Augenblicke des Erfolges und Triumphes für Spitzensportler sind – und wie endlos ihre Trainingsqualen, wie zahllos ihre Verletzungsrisiken und wie unvermeidlich die Körperschäden, die sie langfristig in Kauf nehmen. Warum tun sie sich das an? Bei märchenhaft honorierten Fußballern, Tennis-Profis oder Basketball-Stars leuchtet das aus finanziellen Gründen möglicherweise ein. Aber in den zahllosen unterbezahlten Randsportarten wie Rudern bleibt es nüchtern betrachtet ein Rätsel. Einfache, handliche Antwort auf solche Fragen liefert Evis Simeoni nicht. Aber sie deutet etwas an, dass ich zumindest für bedenkenswert halte: Der Romanheld Hansen geht reichlich lieblos mit seiner Freundin um. Im Grunde interessiert er sich kaum für sie, hat wenig übrig für romantisches Geplänkel zu zweit oder auch schlicht für Sex. Dennoch gibt das Mädchen nicht auf, ihrem Ruder-Recken nachzulaufen, ihn zu umschmeicheln und anzuhimmeln. Mehr noch: Je mehr er sich entzieht, desto wichtiger und unersetzbarer wird er für sie. Erst spät und unter großem Liebeskummer begreift sie, wie sehr sie sich selbst mit ihrer Leidenschaft schadet. Vielleicht ist es mit der Liebe der Sportler zum Leistungssport ähnlich? Liegt ihm möglicherweise ein vergleichbares psychologisches Muster zugrunde? Stacheln die Erfolge, die sich nur selten und unter großen Opfern einstellen, unsere Leidenschaft besonders an? Sind wir gerade für sie bereit, Leiden zu akzeptieren, die über jedes vernünftige Maß hinausgehen? Evi Simeoni lässt das in ihrem Roman nur behutsam und indirekt anklingen. Sie will daraus keine aufwendige sportpsychologische Theorie machen und das ist gut so. Sie präsentiert ein paar der Rätsel des globalen Sport-Zirkus’, aber sie gibt nicht vor, sie endgültig lösen zu können. Morgen, am Mittwoch, um 11.30 Uhr wird in London das Finale der Ruder-Achter ausgetragen. Das deutsche Boot hat wieder einmal gute Gold-Chancen. Manche Kenner behaupten, die acht Männer an den Auslegern seien unschlagbar. Zumindest auf dem Wasser.

Evi Simeoni: „Schlagmann“. Roman Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2012 276 Seiten, 19,95 Euro ISBN 978-3-608-93969-9

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