»Krawall und Tote und Sex«

Hat der Feuilletonchef der »Süddeutschen Zeitung« den Mitherausgeber der »Frankfurter Allgemeinen« im Roman ermordet? Im Kulturbetrieb schlagen die Wellen hoch.
Ein Racheakt unter Konkurrenten?   Die „Süddeutsche Zeitung“ (SZ) hat es derzeit nicht leicht. Erst musste Heribert Prantl, Mitglied der Chefredaktion, eingestehen, in einer Reportage den Eindruck erweckt zu haben, er sei an einer Szene beteiligt gewesen, obwohl er sie nur vom Hörensagen kannte. Ein journalistischer Regelverstoß, für den dem „Spiegel“-Journalisten René Pfister 2011 der Henri-Nannen-Preis aberkannt wurde. Jetzt stellt sich heraus: Thomas Steinfeld, Feuilletonchef der SZ, ist Co-Autor des unter dem Pseudonym Per Johansson erschienenen Krimis „Der Sturm“. In dem Buch wird ein Journalist ermordet, der auffällige Ähnlichkeiten mit Frank Schirrmacher hat, dem Mitherausgeber des Konkurrenzblatts „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ). Ein „publizistischer Racheakt“, wie die Tageszeitung „Welt“ vermutet? Steinfeld war früher Literaturchef der FAZ und Untergebener von Schirrmacher, bis Steinfeld 2001 – angeblich im Streit – zur SZ wechselte. Die Beweislage der „Welt“ ist dünn, aber nicht von der Hand zu weisen. Von dem Christian Meier genannten Mordopfer heißt es im Roman, er sei sensationell erfolgreich gewesen mit Artikeln “über die Macht der Netzwerke, die Zukunft der Roboter und die Allmacht der Gentechnik“. Was recht präzise die Themenschwerpunkte Schirrmachers in den vergangenen Jahren beschreibt. Zudem zitiert Steinfeld gegen Ende des Buchs einen Artikel des getöteten Journalisten, der den pathetischen, dunkel trommelnden Stil Schirrmachers parodiert. Das ist kein versehentlicher, sondern ein gezielter Hinweis auf den FAZ-Mann. Andererseits verschwieg die „Welt“ zunächst einige Züge der ermordeten Romanfigur, die im deutlichen Widerspruch zu Schirrmachers realer Rolle stehen. So beschreibt Steinfeld den Toten als Chef einer „Boulevardzeitung“, die sich vorzugsweise mit „Krawall und Toten und Sex“ beschäftige. Eilig werden in der Literaturszene nun Parallelen gezogen zu dem 2002 erschienenen Roman „Tod eines Kritikers“, in dem Martin Walser lustvoll den Mord an einem Journalisten ausmalt, der stark an Marcel Reich-Ranicki erinnert. Doch der Vergleich hinkt. Walser siedelte sein Buch im Milieu des Kulturbetriebs an, und der angeblich Ermordete spielt darin ein wichtige Rolle. In Steinfelds langatmigem, stilistisch hausbackenem Krimi tritt das Mordopfer gar nicht auf. Der Leser lernt Meier nur als Leiche kennen. Nüchtern betrachtet, lässt sich Steinfelds „Sturm“ auch nicht als später Racheakt am früheren Vorgesetzten verstehen. Im Roman wird der Tote zwar, wie Schirrmacher im Leben, wegen seines wenig feinfühligen Umgangs mit Mitarbeitern kritisiert. Zugleich aber als „journalistisches Genie“ gefeiert. Ist der vermeintliche Rachefeldzug also eine heimliche Liebeserklärung? Im Gespräch mit „Focus“ nennt Steinfeld seine Figur ein „Amalgam“ aus mehreren bekannten Journalisten und zudem ein Selbstporträt: „Da stecke ich drin, in hohem Maße.“ Sieht sich Steinfeld also als „journalistisches Genie“? Tatsächlich neigt der Kulturchef der SZ dazu, Kollegen spüren zu lassen, wie haushoch überlegen er sich ihnen glaubt. Dass Steinfelds Debüt als Krimi-Autor nun zum heftig debattierten Konferenzthema in der SZ wurde, sollte niemanden verwundern. Der S. Fischer Verlag, in dem Steinfelds „Sturm“ erschien, beginnt, von seinem Autor abzurücken: In einer Erklärung bedauert er „zutiefst“ die Möglichkeit, „Stellen des Romans auf eine konkrete Person“ zu beziehen. Kniefall vor dem einflussreichen Schirrmacher? Wie leichtfertig der Verlag bei diesem Buch vorging, lässt sich auch daran ablesen, dass Steinfelds Pseudonym auf dem Buchrücken „Johannson“, in der Titelei aber „Johansson“ geschrieben wird. Vor allem aber scheint Steinfeld Opfer eines Trends im literarischen Leben Deutschlands zu sein, den er selbst befördert hat. Immer häufiger werden Romanfiguren hierzulande nicht als literarische Schöpfungen verstanden, sondern als Porträts realer Vorbilder. Maxim Billers Roman „Esra“ wurde 2007 verboten, weil sich eine Ex-Geliebte in dem Buch wiederzuerkennen glaubte. Im Gespräch mit „Focus“ lehnt Steinfeld solche „Personifikationen“ heute ab und erklärt es für falsch, auf diese Weise „Literatur in Leben zu überführen“. Während der Prozesse um „Esra“ hatte er jedoch keine Probleme, in Billers Romanfiguren reale Personen wiederzuerkennen. Damals schrieb er, Literatur „darf nicht Waffe sein im persönlichen Umgang von Menschen miteinander. Sie darf nicht der privaten Abrechnung dienen.“ Hätte Steinfeld seine selbst ersonnenen Dogmen ernst genommen, er wäre heute um einige Sorgen ärmer.

Der Artikel erschien im Nachrichtenmagazin „Focus“ am 20. August 2012

Dieser Beitrag wurde unter Thomas Steinfeld veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.