Görings Liste

Ein Australischer Forscher entdeckt den Bruder von Reichsfeldmarschall Herman Göring als Widerstandskämpfer 

Uwe Wittstock:   War Albert Göring, der Bruder des Nazi-Reichsmarschalls Hermann Görings, ein Widerstandskämpfer gegen die Nazis?
William Hastings Burke:   Er hat seine Gesundheit riskiert, um Nazis an Verbrechen zu hindern. Er hat vielen Verfolgten geholfen, manchen das Leben gerettet. Er hat den tschechischen Widerstand unterstützt, was ihm die Todesstrafe hätte eintragen können. Reicht das, um ihn ein Widerstandskämpfer zu nennen? Ich denke schon. Auf jeden Fall war er ein aktiver und mutiger Gegner der Nazis.
Wittstock:   Ist es wie bei Oskar Schindler und dessen legendärer „Liste“ nachweisbar, wie viele Menschen er gerettet hat?  William Hastings Burke:   Auch im Fall Albert Göring gibt es eine Liste: Sie umfasst 34 Personen, die ihm Leben oder Existenz verdankten. Er schrieb die Liste 1945 in amerikanischer Gefangenschaft, fast alle Angaben konnten überprüft werden. Aber das ist nicht alles: Im Laufe meine Nachforschungen habe ich ungefähr hundert Verfolgten ermittelt, deren Namen er möglicherweise gar nicht kannte, denen er aber das Leben rettete.  Wittstock:   Wie war das möglich?
William Hastings Burke:   Ein Zeuge berichtet von einem sensationellen Coup: Albert Göring fuhr zu einem KZ, gab sich als Bruder Hermann Görings zu erkennen, und verlangte Arbeiter für die Skoda-Werke. Als er mit ihnen in Sicherheit war, ermöglichte er ihnen die Flucht.
Wittstock:   Brachte ihn das nicht selbst in Gefahr?
William Hastings Burke:   Er wurde vier Mal verhaftet, drei Mal von der Gestapo. Natürlich schützte ihn oft sein Name, aber gefahrlos war es nie. Nach dem „Anschluss“ Österreichs 1938 sah er in Wien eine alte Dame, denen SA-Leute ein Schild umhängten: „Ich bin eine Saujüdin!“ Albert Göring drängte sich durch den Menschenauflauf, nahm der Frau das Schild ab, prügelte sich mit zwei SA-Männern und wurde verhaftet. Die ließen ihn schnell wieder frei, als sie erfuhren, wer er ist. Aber in dem Moment, als er der armen Frau das Schild abnahm und sich mit den SA-Leuten schlug, war er genauso gefährdet wie jeder andere auch.
Wittstock:   Beschützte Hermann Göring seinen Bruder?
William Hastings Burke:   Ja, mehrfach. Aber gegen Ende des Kriegs büßte Hermann viel von seiner Macht ein, sein parteiinterner Gegenspieler Himmler wurde immer wichtiger. Doch Albert hat sich davon nicht bremsen lassen. Es gibt zahlreiche Berichte und Briefe führender Gestapo-Leuten, die erkennen lassen, wie sehr sie ihn hassten und wie gern sie ihn hätten verschwinden lassen. Sie warfen ihm sogar vor, ein Attentat auf den eigenen Bruder zu planen. Hätte der Krieg länger gedauert, wäre Albert ihnen nicht wohl entkommen.
Wittstock:   Wie konnten in einer Familie zwei so unterschiedliche Brüder heranwachsen?  William Hastings Burke:   Es ist nicht das erste Mal, dass sich Brüder gegensätzlich entwickeln. Sie waren von Anfang an sehr unterschiedlich. Hermann war der Sportsmann, der Draufgänger und Kriegsheld. Albert war ein Bonvivant und Frauenheld, eine eleganter Geschäftsmann und Ingenieur, der gern Klavier spielte und sang. Er hatte eine sehr offene, liberale Einstellung zum Leben. Kein Wunder, dass er sich politisch anders entwickelte als sein Bruder.
Wittstock:   Herr Burke, Sie sind Australier, studierter Volkswirt und erst 28 Jahre alt. Wie kamen Sie auf die Idee, ein Buch über Albert Göring zu schreiben?
William Hastings Burke:   Mit 18 sah ich in Sydney eine britische Filmdokumentation über Albert. Das Thema ließ mich nicht mehr los. Aber so oft ich auch in Bibliotheken suchte: Es gab kein Buch über ihn. Im Internet fand ich ebenfalls kein Material. Das reizte meine Neugier immer mehr: Nach meinem Examen dachte ich mir, wenn ich jemals genau erfahren will, wer Albert war, muss ich sein Leben selbst erforschen. Also bin ich vor vier Jahren nach Freiburg gezogen, habe Archive in aller Welt durchstöbert und Zeitzeugen gefunden. Hoffentlich erhält Albert Göring jetzt den Respekt, der ihm zusteht.

Das Gespräch mit William Hastings Burke erschien im „Focus“ vom 7. Mai 2012 William Hastings Burke: <em>Hermanns Bruder. Wer war Albert Göring?</em> Aufbau Verlag, Berlin 2012 19,99 Euro ISBN: 978-3-351-02747-

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