„brennt“

Im neuen Roman von Sudabeh Mohafez herrscht an Schicksalsschlägen kein Mangel 
Der Auftakt ist furios. Ein Kabinettstück. Sudabeh Mohafez erzählt von einem nächtlichen Brandanschlag auf eine nicht mehr ganz junge Frau, die irgendwo in Berlin allein mit ihren zwei Katzen lebt. Die Frau, sie ist Musikproduzentin und betreibt ein eigenes Tonstudio, schreckt aus dem Schlaf hoch, ein unbekanntes Geräusch hat sie geweckt. Wohnungstür und Treppenhaus stehen bereits in Flammen, die Frau, sie heißt Mané, sitzt ganz oben, knapp unterm Dach des alten Mietshauses, wie in der Falle. Mané ruft die Feuerwehr, doch der Brand breitet sich rasend schnell aus. Sie kann sich gerade noch eine der beiden Katzen schnappen und auf dem Balkon mit den immer näher an sie heranfauchenden Flammen im Rücken auf die Hilfe der Feuerwehrleute hoffen. Wie Sudabeh Mohafez das erzählt, ist großartig. Sie zeigt die mühsam beherrschte Panik ihrer Heldin, zeigt, wie Mané zwischen Lähmung und Hektik hin und her gerissen wird, zeigt, wie sie einige Einzelheiten überscharf beobachtet, während sie gleichzeitig den Überblick verliert, zeigt, wie sie manche Dinge kühl kalkuliert und zum Beispiel nicht ihr Leben riskiert, um ihre zweite Katze zu retten, während sie andererseits aber irgendeines ihrer vielen Musikinstrumente umklammert und auf keinen Fall preisgeben möchte. Dazu lässt Sudabeh Mohafez auch die Sätze ein wenig torkeln, lässt sie am Rande dessen entlangbalancieren, was die Grammatik gerade noch gestattet. 23 Seiten ist dieser Brandbericht lang, und er ist wunderbar. Ein Kabinettstück. Doch was folgt dann? Die halb geisteskranke Brandstifterin wollte, so stellt sich am Ende heraus, lediglich auf brachiale Weise ihre alte Wohnung loswerden, um sich eine größere, mit Zentralheizung zuweisen lassen. Die obdachlose Mané kommt zunächst bei einer Cousine unter. Sie ist verständlicherweise fassungslos, doch braucht sie länger als erwartet, um sich in die Normalität zurückzutasten. Sie wandert lange ziellos durch Berlin, begleitet von zwei Stimmen, Lars und Pia, die mal einfühlsam, mal zynisch ihre Gedanken kommentieren. Sie lernt ein vernachlässigtes vierjähriges Mädchen kennen, dessen Vater vor einigen Wochen Selbstmord beging und deren Mutter in Depressionen versunken ist. Doch von ihrem Beruf, dem Musikgeschäft, erfährt man leider wenig. Das Milieu, in dem sich Mané bewegt, bleibt nahezu austauschbar. Schließlich trifft sie sich häufiger mit einem der Feuerwehrmänner, die sie gerettet haben. Er fiel ihr schon bei den Löscharbeiten auf, weil er so geduldig und einfühlsam mit den Brandopfern umging. Auch er, Sebastian, ist vom Schicksal hart geprüft: Sein Bruder ist seit einer Jugenderkrankung geistig behindert. Aber er kümmert sich hingebungsvoll um ihn und teilt sich mit ihm ein romantisches Häuschen an der Havel mitten im Staatsforst. Die Güte und Langmut Sebastians gibt Mané schließlich die Kraft, sich zu ihrem wahren Trauma zu bekennen, das tiefer sitzt als der Brandanschlag: In Island hatte sie sich vor Jahren einmal in einen Musiker verliebt und wurde von ihm schwanger. Doch bei einem Unfall, an dem sie sich die Schuld gibt, kam der Mann um, und das Kind wird tot geboren. Liege ich ganz falsch, wenn mir diese Anhäufung von tragischen Schicksalsschlägen, reichlich kitschig vorkommt? Dramaturgisch enttäuschend ist zunächst einmal, dass die verschiedenen Handlungsfäden kaum etwas miteinander zu tun haben – der Brandanschlag nichts mit der Familienkatastrophe auf Island und beides nichts mit der rührseligen Bekanntschaft zwischen Mané und dem vierjährigen Mädchen. Gemeinsam ist ihnen nur, dass Mané von einer emotional hochgespannten Szene in die andere geführt wird. Zumeist begleitet von Sebastian, der so selbstlos und einfühlsam mit ihr umgeht, dass sein Feuerwehrhelm von Rechts wegen eigentlich durch einen Heiligenschein ersetzt werden müsste. Wenn die beiden am Ende einander in die Arme sinken und in einem langen Kuss verschmelzen, wirkt das fast schon wie eine Parodie auf eine Liebesgeschichte. Der Roman ist in seinem Misslingen exemplarisch: Die 1963 in Teheran geborene Sudabeh Mohafez hat eine deutsche Mutter und einen iranischen Vater. Seit sie 16 ist, lebt sie in Deutschland und schreibt ein oft beneidenswert schönes, geschmeidiges Deutsch, für das sie 2006 mit dem Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis ausgezeichnet wurde. In der Schilderung des Brandanschlags, der Eröffnungsszene dieses Buches, aus dem sie im vergangenen Jahr auch in Klagenfurt gelesen hat, zeigt sich ihre sprachliche Kraft. Doch ein Roman ist, anderslautenden Gerüchten zum Trotz, mehr als nur Sprache. Ein Autor kann sich selbstverständlich auch durch die Konstruktion einer klischeehaften oder zusammenhanglosen Handlung blamieren. Mir scheint dieses Buch typisch für die hierzulande verbreitete Überschätzung sprachlicher und Vernachlässigung inhaltlicher Qualitäten erzählender Prosa.

Die Rezension erschien in der Welt vom 24. Juli 2010
Sudabeh Mohafez: „brennt“.
Roman DuMont Verlag, Köln 2010 207 S., 18,95 Euro. ISBN 978-3-8321-9573-1

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