Der Literaturnobelpreis für Herta Müller ist auch eine besondere Auszeichnung für die deutschsprachige Literatur. 1999 entschied sich das Stockholmer Komitee für Günter Grass, 2004 für die Österreicherin Elfriede Jelinek und jetzt für die aus dem Banat stammende Herta Müller. Drei Nobelpreise innerhalb von nur zehn Jahren für den selben Sprachraum – das ist ein bemerkenswertes Kompliment für die Qualität und Vielgestaltigkeit der deutschen Literatur und für ihr Ansehen im Ausland. Ohne Herta Müllers persönliche schriftstellerische Leistung schmälern zu wollen, darf man den Nobelpreis zugleich als eine Verbeugung vor der Literatur der deutschen Minderheit in Rumänien insgesamt auffassen – eine Minderheit, die nie groß war und die seit dem Ende der Ceauşescu-Diktatur rapide zusammenschmilzt, da die Ausreise in den Westen nun viel leichter möglich ist. Doch so klein die Gruppe der Deutschsprachigen in Rumänien auch immer war, so erstaunlich ist ihr Beitrag zur deutschen Literatur: Paul Celan und Rose Ausländer wurden in Czernowitz geboren, das seinerzeit zu Rumänien gehörte und heute in der Ukraine liegt. Schon 1926 kam der Lyriker Georg Maurer aus Siebenbürger nach Deutschland. Später lebte er in der DDR und gewann als Professor am Leipziger Literaturinstitut „Johannes R. Becher“ großen Einfluss auf viele Dichter der DDR. Zu den Jüngeren, die wie Herta Müller Rumänien erst später verließen, gehörten unter anderem der Büchnerpreisträger von 2006 Oskar Pastior und die Lyriker Rolf Bossert, Helmuth Frauendorfer, Klaus Hensel, Werner Söllner und Ernest Wichner, aber auch die Essayisten Gerhardt Csejka, William Totok und Richard Wagner sowie die Erzähler und Dichter Franz Hodjak, Johann Lippet und Dieter Schlesak. Wie sich eine solche Häufung von literarischen Talenten in einer vergleichsweise kleinen Bevölkerungsgruppe erklären lässt? Vielleicht war die Sprache für sie immer das zentrale Unterscheidungsmerkmal gegenüber einer weit überwiegenden Mehrheit – und wurde deshalb für viele von ihnen zum ausschlaggebenden Merkmal bei der Suche nach Identität. Wer am äußersten Rand eines Sprachraums lebt, erlebt seine Sprache nie als Selbstverständlichkeit, sondern immer als etwas, durch das er sich von anderen unterscheidet und das ihn leicht zu einem Fremden, einem Ausgeschlossenen machen kann. Das ist schmerzhaft für die Menschen, aber produktiv für die Literatur. All das grundiert die Literatur Herta Müllers: Das Bewusstsein, eine besondere und existentiell enge Verbindung zur Sprache zu haben, das Gefühl, durch die Sprache zu einem gefährdeten Außenseiter gemacht zu werden, andererseits aber gerade in der Sprache seine Identität und damit die Kraft zum Widerstand zu finden. Vieles von dem, über das Herta Müller schreibt, liegt uns heute glücklicherweise fern – das archaische Leben auf dem Dorf oder die Brutalität einer Diktatur – aber ihre poetische Sprache hat die Kraft, uns diese Bilder mit beeindruckender Intensität vor Augen zu stellen.
Der Artikel erschien in der „Welt“ vom 10. Oktober 2009