Yoram

Ulrike Kolb erzählt von einer jüdisch-deutschen Liebe

Carla möchte so gern zu den Guten gehören. Sie ist im Nachkriegsdeutschland aufgewachsen, geht in den sechziger Jahren zur Universität und fragt, wie ihre Kommilitonen, immer fordernder danach, was die Elterngeneration den Juden angetan hat. Sie studiert Pädagogik und fährt nach Israel, um das Erziehungssystem des Kibbuz kennenzulernen. Dort verliebt sie sich in Yoram, einen jungen Juden, der in Frankfurt aufwuchs und wie sie erfüllt ist von lauter Aufbruchsideen. Gemeinsam gehen sie zurück nach Deutschland, bekommen eine Tochter, Vered, und obwohl Carla genau weiß, dass ein Verbrechen wie der Holocaust lange historische Schatten wirft, scheint sie heimlich doch zu glauben, an der Seite Yorams den finsteren Teil der deutschen Vergangenheit hinter sich gelassen und eine Eintrittskarte in die Welt der Verfolgten, der Opfer, der Guten gezogen zu haben. Aber so einfach ist das nicht. Wie schwierig es vielmehr sein kann, davon erzählt Ulrike Kolb in ihrem Roman „Yoram“. Zu den großen Stärken des Buches gehört die Genauigkeit, mit der es das psychische Spannungsfeld auslotet, in das Carla und Yoram – und später ihre Tochter Vered – geraten. Yorams Mutter zum Beispiel, deren Familie von den Nazis ermordet wurde, ist nicht begeistert, als sich ihr Sohn für eine deutsche Frau und für ein Leben in Deutschland entscheidet. Auch Carlas Familie ist – milde formuliert – nicht frei von Vorbehalten. Mit ihr und mit anderen nicht-jüdischen Freunden kommt es immer wieder zu Debatten über die Vergangenheit oder über Israel, die unversöhnlich bleiben und mit dem Abbruch der Kontakte enden. Mit anderen Worten: Für Carla stellen sich politische und historische Fragen nun mit einer unerbittlichen Direktheit, von der sie sich oft überfordert fühlt. Nicht immer ist Ulrike Kolbs Zugriff auf das Thema originell. So findet auch Carla, wie schon einige Romanhelden der deutschen Nachkriegsliteratur vor ihr, verfängliche Fotos vom geliebten Vater in Wehrmachtsuniform, die ihn in Verdacht geraten lässt, am Massenmord in den KZs beteiligt gewesen sein. Ein Fund, der Carla fast so gründlich ums seelische Gleichgewicht bringt, wie Yorams Mutter es durch die Ermordung ihrer Familie verlor: Beiden zerfällt die Welt in Splitter, die eine zitiert Unzusammenhängendes aus Büchern über Nazi-Verbrechen, die andere notiert schon seit Jahrzehnten beziehungslose Gedanken auf kleine Zettel. Es sind solche Korrespondenzen im Schicksal ihrer Figuren, mit denen Ulrike Kolb die fortwirkenden Folgen des Holocaust kenntlich macht. Schon in ihrem „Roman ohne Held“ schrieb sie von den Wiederholungszwängen innerhalb einer Familie und den „durch die Generationen treibenden Gefühlsströmen“. Auch im Leben Vereds, der Enkelin, finden die Schrecken, die ihre Großmutter erlebten, noch immer ein spürbares Echo. Ob deren Sohn David sich endlich befreien kann? Ulrike Kolb lässt ihren Roman ambivalent ausklingen: Als der kleine David bei seiner Urgrußmutter zu Besuch ist, krabbelt er durch die Wohnung, schiebt er sich ihre Zettel in den Mund und isst sie auf.

Die Rezension erschien in der „Welt“ vom 5.Dezember 2009

Ulrike Kolb: „Yoram“. Roman
Wallstein Verlag, Göttingen 2009 297 Seiten, 19,90 € ISDN 978-3-8353-0559-5

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