Satiremagazin „Titanic“ wird 30 – und mit einer Ausstellung und dem „endgültigen Satirebuch“ gefeiert
Der Titel „Titanic“ geht noch voll in Ordnung. Er ist in angemessener Weise größenwahnsinnig und katastrophenverliebt zugleich. Aber schon beim Untertitel „Das endgültige Satiremagazin“ beginnen die Probleme. Denn Satiren im klassischen Sinne veröffentlicht die Monatszeitschrift kaum. Auch die Behauptung, sie sei das deutsche Zentralorgan für Komisches in Wort und Bild trifft die Sache nicht genau. Denn regelmäßig druckt die Titanic Essays, die überhaupt nicht komisch, sondern wirr und strunzlangweilig sind. Genau betrachtet ist das Magazin, das jetzt den 30. Jahrestag seines Bestehens feiert, eines der großen Rätsel der deutschen Presselandschaft. Die überzeugendste Charakteristik ihrer Inhalte liefert die Frankfurter Zeitschrift selbst in dem üppig illustrierten Titanic-Jubiläumsband „Das erstbeste aus 30 Jahren“, der jetzt im Rowohlt Verlag erscheint. Gleich auf einer der ersten Seiten heißt es da mit wünschenswerter Deutlichkeit: „Verehrte Leser! Egal, woran Sie glauben, was Sie gut finden, wem Sie vertrauen oder was Sie bewundern – wir sind dagegen! In Liebe, Ihre Titanic.“ Eine intellektuelle Haltung mit Tradition: „Ich bin der Geist, der stets verneint“, legte ein ebenfalls aus Frankfurt stammender Autor namens Goethe seinem Mephisto in den Mund: „Und das mit Recht; denn alles, was entsteht, ist wert, daß es zugrunde geht.“ Mit einem solchen journalistischen Programm nicht nur drei Jahrzehnte zu überstehen, sondern immer neu entflammte, ja freudetrunkene Leser zu finden, ist ein beachtlicher Coup. Er müsste andere Zeitschriftenmacher, die sich oft genug darüber Gedanken machen, wie sie ihren Zielgruppen noch eifriger nach dem Munde schreiben können, eigentlich nachdenklich machen. Macht er aber nicht. Das Frankfurter Museum für komische Kunst widmet der Zeitschrift zu ihrem Jubiläum eine große Ausstellung. Sehr zu Recht, denn das Museum ist in erster Linie dem Werk der Autoren und Zeichner der Neuen Frankfurter Schule gewidmet – und auch die Titanic ist eine Frucht vom Stamm dieser so überaus produktiven Künstlergruppe. Sie begann sich Anfang der sechziger Jahre um die frisch gegründete Satirezeitschrift „Pardon“ zu formieren. Dieses Monatsmagazin war im Fahrtwind der zunehmend stürmischen Studentenbewegung für ein paar Jahre ungewöhnlich erfolgreich und erreichte Anfang 1969 eine Auflagenhöchstmarke von 320.000 verkauften Exemplaren. Doch ebenso wie die Studentenbewegung blieb auch Pardon von den Zeitläuften nicht ungeschoren: Der Eigentümer des Magazins Hans A. Nikel zeigte neben diktatorischen auch zunehmend esoterische Neigungen, glaubte durchs Meditieren tatsächlich fliegen zu können und dies als Titelgeschichte den Lesern seiner Zeitschrift mitteilen zu müssen. Woraufhin für eher aufklärerisch gesonnene Mitarbeiter dort kein Bleiben mehr war. 1979 gründeten Robert Gernhardt, Pit Knorr, Chlodwig Poth, Hans Traxler und F.K. Waechter die Titanic. Sie investierten pro Nase 50.000 Mark und fanden einen ersten Verleger, dem sie das bis heute gültige Redaktionsstatut abtrotzten, das dem Verlag jeden Einfluss auf die Inhalte der Hefte verwehrt. Als Zielscheiben ihres mephistophelischen Spotts waren die Machthaber, Kirchen oder sonstigen Autoritäten dieser Welt samt dem so genannten guten Geschmack schnell ausgemacht. Als Papst Johannes Paul II. nach Deutschland kam, zeigte das Magazin den guten Hirten auf dem Cover mit Schäfchen in eindeutig schäfchenmissbrauchender Pose und jubelte: „Der Papst kommt!“ Helmut Kohl verfolgte die Zeitschrift über Jahre hinweg als Kanzler Birne: „Wiedervereinigung ungültig! Kohl war gedopt!“. Die Bundeswehr erfreuten sie mit dem Soldatenreport „Berufsbild: Mörder“ und Genscher mit dem Comic-Superhelden „Genschman“. Oder sie klebte nach dem Einsatz der Bundeswehr im Jugoslawienkrieg Kanzler Schröder, Scharping und Joschka Fischer Hitlerbärtchen an. Zur Überraschung der Redakteure machten sie sich damit nicht nur Freunde. Als sie nach dem Selbstmord Uwe Barschels eine Fotomontage druckten, die Barschels Gegenspieler Björn Engholm tot in einer Badewanne zeigte, klagte Engholm und kassierte – obwohl er wegen seiner Verstrickungen in die Braschel-Affäre zurücktreten musste – schließlich 40.000 Mark. Auch die Schriftsteller Gerhard Zwerenz, der sich als „Ansammlung von Körpersekreten“ verunglimpft, und Benjamin von Stuckrad-Barre, der sich als Mörder diffamiert sah, waren vor Gericht erfolgreich. Zahllose andere Verfahren wurden von den Richtern aber eingestellt oder zugunsten der Titanic entschieden. Dennoch stehen mittlerweile 27 Hefte, also mehr als zwei Jahresproduktionen, auf dem Index. Womit die Titanic, wie die Redaktion stolz vermerkt, sich den Ehrentitel der „verbotensten Zeitschrift Deutschlands“ verdient hat. Zu den Eigenheiten der komischen Gewässer, in denen die Titanic kreuzt, gehört nicht zuletzt, dass sie offenbar fantasieaufreibender sind als andere. Die Redaktions-Generationen folgen hier vergleichsweise rasch aufeinander, der harte Stuhl des Chefredakteurs wird nach wenigen Jahren neu besetzt – doch bleiben die ehemaligen Mitarbeiter ihrem Blatt üblicherweise mit Sympathie und Beiträgen verbunden. Mehrere Verleger wurden verschlissen, die Gründungsväter sind inzwischen als Herausgeber sämtlich ausgeschieden. Auch wenn einer von ihnen, Robert Gernhardt, zu seinen Lebzeiten das beste Gegenbeispiel abgab, stammt von ihm die Beobachtung, dass Witz, Frechheit, Satire, Nonsens offenbar zu den besonders kräftezehrenden Ausdrucksformen der Kunst gehört. Weshalb selbst Hochleistungskomiker wie Wilhelm Busch, Keaton oder Chaplin im Alter nicht das Pointen-Niveau ihrer Jugend halten konnten. Neben der schlechten Bezahlung ist wohl auch das ein Grund dafür, weshalb die Titanic-Redaktion junge Kräfte bevorzugt – und besonders gut bei jungen Lesern ankommt. Vom Buntstift-Lutscher, der Thomas Gottschalk bei „Wetten dass…“ aufs Kreuz legte, bis zu den Bestechungsgeschenken, die Deutschland die Fußballweltmeisterschaft 2006 einbrachten, hat die Titanic deutsche Pressegeschichte geschrieben. Trotzdem möchte man lieber nicht zum Gegenstand ihres Interesses werden. Ob sie sich neben anderen europäischen Satireblättern wie dem französischen „Canard Enchaîné“ oder dem britischen „Punch“ sehen lassen kann, ist, wie viele andere Geschmacksfragen auch, schon oft ebenso end- wie fruchtlos debattiert worden. Dass es hierzulande in ihrer Spielklasse derzeit nichts Besseres gibt, steht fest. Erschienen in der „Welt“ vom 5. Oktober 2009 Peter Knorr, Oliver Maria Schmitt, Martin Sonneborn, Mark-Stefan Tietze, Hans Zippert (Hg.): „Titanic – das endgültige Satirebuch. Das Erstbeste aus 30 Jahren.“ Rowohlt Verlag, Hamburg 2009 416 Seiten, 25,00 €. ISBN 978 3 87134 652 1
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