Alles drin

Volker Reiche ist einer der erfolgreichsten Comic-Künstler Deutschlands und sonnt sich vor allem in der Anerkennung des Kulturbetriebs. Eine Aussrtellung am Tegernsee  

Der eine tritt ab, der andere tritt an, um höchste Ehren einzuheimsen. Während die deutschen Comic-Helden „Fix und Foxi“ vom Markt verschwinden, da ihr Verlag Insolvenz angemeldet hat, wurde der Zeichner Volker Reiche für seinen Comic „Strizz“ in den letzten Jahren sowohl mit dem Olaf-Gulbransson-Preis als auch mit dem Swift-Preis und gleich zwei Mal mit dem Max-und-Moritz-Preis ausgezeichnet. Jetzt wird er zudem für seine Arbeit mit einer Retrospektive im Olaf Gulbransson Museum für Grafik und Karikatur am Tegernsee gefeiert. Während also der deutsche Kinder-Comic, der seine populärste Zeit in den Sechziger- und Siebzigerjahren erlebte, seine Leser vor allem an die japanischen Mangas verliert, sonnt sich der Erwachsenen-Comic von Reiche in der Anerkennung des deutschen Kulturbetriebs. Wie er die errang, macht die Ausstellung des Gulbransson-Museums verständlich. Seit Mai 2002 zeichnet Reiche für die FAZ einen erst täglich, inzwischen wöchentlich erscheinenden Comic-Strip, in dem er ganz unterschiedliche, einander auf den ersten Blick ausschließende Talente vereint. Denn Reiche ist ein Erzähler mit langem Atem, ein echter Epiker, dem es gelingt, in seinem Comic eine komplexe fiktive Welt zu errichten und bis in Details hinein mit Leben zu erfüllen. Zugleich aber beherrscht er die Kurzstrecke des klassischen Zeitungsstrips, vermag also seine Fortsetzungsgeschichten jeweils nach einigen wenigen Bildern schon auf die Pointe bringen. In seinem Comic-Kosmos gelten einerseits die fantastischen Gesetze eines Traumreiches, in dem Tiere sprechen können, Kinder mit Spielfiguren philosophische Seminare abhalten und selbst die faulsten Angestellten nie entlassen werden. Andererseits zielt Reiche nicht auf die quasi-literarische „Graphic Novel“, sondern verknüpft all das seinem journalistischem Temperament folgend eng mit der politischen oder gesellschaftlichen Tagesaktualität – so dass sein „Strizz“ auch als getuschte Chronik der laufenden Ereignisse gelesen werden kann. Die Ausstellung des Gulbransson-Museums präsentiert Reiche allerdings nicht nur als Könner des Comic-Strips, sondern auch als Maler. Und in dieser Disziplin wird noch eine weitere seiner vielen Begabungen deutlich, nämlich die zum kalkulierten Stilbruch, zur bewusst grotesken Parodie. Reiche übernimmt hier Farbpalette, Formensprache und Duktus großer Maler der klassischen Moderne, wie Max Beckmann oder Francis Bacon, wie Picasso oder Monet, und bevölkert einige ihrer bekannten Bilder mit seinen Comic-Charakteren. Tassilo, der bullige Hofhund mit der sanften Seele, findet sich auf einem Porträt nach der Art Picassos wieder, Strizz samt Freundin Irmi und Chef Leo auf einem Triptychon, das in der Manier Beckmanns gehalten ist. Dieses Talent zur Vereinigung von scheinbar Unvereinbarem, zur Kombination von Gegensätzlichkeiten zeigt sich auch in einer sonnigen Frühstücksszene, die fast alle wichtigen Gestalten aus Reiches Comic-Welt an einem Tisch vereint. Das Gemälde zitiert zwar diskret, aber dennoch spürbar das berühmte „Déjeuner“ von Claude Monet aus dem Jahr 1868. Natürlich geht es an Reiches Tisch etwas lebhafter zu in dem bürgerlichen Salon des französischen Meisters. Aber auf beiden Bildern wird aus einem Ensemble individueller Figuren erkennbar etwas gemeinsames Ganzes, nämlich eine Familie, geformt. Und eben darin besteht wohl eine der besonderen Fähigkeiten Reiches, die ihm Beifall und Bewunderung des Kulturbetriebs einträgt. Er versteht es, in seine Comics die unterschiedlichsten, scheinbar comicfeindlichen Kulturbereiche zu integrieren: Nicht nur große Werke der Kunstgeschichte, sondern ebenso Oper, Film, Literatur oder Philosophie. Seine Strizz-Welt wird so zu einem Abbild eines postmodernen Bewusstseins, das die traditionellen Kulturhierarchien und erst recht keine Gräben zwischen E- oder U-Kultur mehr anerkennt. Eines Bewusstseins also, das im ungenierten Genuss der Vielfalt erst das Ganze entdeckt.

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