„Die Witwen von Eastwick“

John Updikes letzter Triumph  

Natürlich hat auch der Kulturbetrieb seine Konventionen. Stirbt ein großer Meister oder eine große Meisterin, werden die letzten, die nachgelassenen Werke gern über den grünen Klee gelobt. Die Neigung, angesichts der noch frischen Todesnachricht vor der zurückgelassenen Arbeit auf die Knie zu fallen, ist fast unbezähmbar. Doch derartige Jubelarien machen skeptisch. Schließlich zeigt nicht jedes Alterswerk einen Könner im Vollbesitz seines Könnens. Auch beim Künstler lassen die Kräfte gegen Ende des Lebens gelegentlich nach. Die alten Ideen, Formen, Mittel werden noch einmal wiederholt, aber das Ergebnis hat einen Beigeschmack von Routine. Seien wir offen: Es ist ein Glücksfall, wenn am Ende eines großes Lebenswerks tatsächlich ein veritables Meisterstück steht. Ein solcher Glücksfall ist hier zu vermelden. „Die Witwen von Eastwick“ heißt der letzte Roman, den John Updike vor seinem Tod im Januar dieses Jahres noch vollenden konnte – und das Buch zeigt ihn im vollen Glanz seines Genies als Erzähler, Sprachartist und Chronist der amerikanischen Gegenwartsgesellschaft. Mehr noch: Es zeigt ihn zugleich als einen unbeirrbar suchenden, die eigenen Mittel prüfenden und nach erweiterten Ausdrucksmöglichkeiten tastenden Schriftsteller. Fast nichts ist hier Routine, fast alles scheinbar spielerisch leichtes Gelingen. Mit den „Witwen von Eastwick“ hat Updike noch kurz vor seinem Tod ein Kapitel seiner Arbeit abgeschlossen, das sich selbstbewusst behaupten kann neben Updikes Hauptwerk, den über vier Jahrzehnten hinweg entstandenen Rabbit-Romanen. Ein Triumph, der sich keineswegs vorab schon andeutete. Updike hat in den letzten Lebensjahren einige Bücher veröffentlicht, die nicht zu seinen stärksten gehörten. In „Gertrud und Claudius“ (2001) versuchte er sich daran, die Vorgeschichte von Shakespeares „Hamlet“ zu erzählen – aber unter den historischen Kostümen seiner angeblichen dänischen Königsfamilie kamen dabei immer wieder typisch amerikanischen Mittelstandsgestalten zum Vorschein. Nicht die Mentalität mittelalterlicher Feudalherren, sondern die heutiger Suburb-Bewohner prägte das Buch. Auch der 2006 erschienen Roman „Terrorist“ krankte an einer ähnlichen Schwäche. Hier spürte Updike dem Seelenleben eines ägyptisch-amerikanischen Selbstmordattentäters nach. Allerdings wurde man den Verdacht nicht los, dass der vom westlichen Liberalismus und durch seine christliche Herkunft tief geprägte Updike der Vorstellungswelt eines Islamisten nie wirklich nahe kam. Bei den „Witwen von Eastwick“ jedoch stimmt jedes Detail, jedes Motiv, jeder Tonfall. Das Schicksal des Buchs erinnert ein wenig an die Entstehungsgeschichte von Thomas Manns letztem Roman „Felix Krull“. Mann hatte ihn 1910 begonnen und brachte ihn 1954 zu einem vorläufigen Abschluss. Zwischendurch hatte er das Projekt fast vierzig Jahre ruhen lassen. Updike veröffentlichte bereits 1984 einen ersten „Eastwick“-Band. Ein Vierteljahrhundert später, kurz vor seinem Tod, kehrte er dann zu den Figuren und Schauplätzen jenes Romans zurück und führte die alte Geschichte von damals weiter zu einem neuen, letzten Höhepunkt seiner Arbeit. Updike erzählt von drei Freundinnen, Jane, Alexandra und Sukie, die in dem Provinznest Eastwick irgendwo an der amerikanischen Ostküste leben, also in einer Landschaft und einem Milieu, das Updike besser kennt als jeder andere Schriftsteller. Im ersten, mit Michelle Pfeifer, Susan Sarandon, Cher und Jack Nicholson verfilmten Romanteil, hatten sich die drei gerade von ihren Ehemännern scheiden lassen. Der feministischen These folgend, dass dem Erfolg und Glück der Frauen letztlich nur ihre Abhängigkeit von den Männern im Wege steht, sehen die drei in ihren Scheidungen kein Unglück, sondern das Startsignal in eine verlockende Zukunft. In gewisser Hinsicht war „Die Hexen von Eastwick“ eine Gesellschaftssatire, die Emanzipationsparolen von einst beim Wort nahm und mit literarischen Mitteln überprüfte: Da die drei feste Bindungen scheuen, auf Sex aber nicht verzichten mochten, sorgen sie in ihrer Kleinstadt für etliche Seitensprung-Skandale und beginnen schließlich alle eine Affäre mit einem zugereisten, ziemlich exzentrischen Erfinder aus New York. Doch im Unterschied zu seinen anderen Ehe- und Mittelstandsromanen, mit denen sich Updike in die Weltliteratur einschrieb, ließ er es in diesem Roman nicht bei dem, was man gemeinhin literarischen Realismus nennt. Er stattete seine Heldinnen, denen das historische Wunder einer weitgehend selbstbestimmten Frauenexistenz vergönnt ist, zugleich mit wunderbaren Fähigkeiten und Zauberkräften aus. Will sagen: Er erweiterte seine Erzählkunst um die Mittel eines magischen Realismus, der mehr für möglich hält, als naturwissenschaftliche Schulweisheit sich träumen lässt. Seine Hexen von Eastwick haben nicht nur die Freiheit, muffig gewordenen Ehemänner aus ihrem Leben verschwinden zu lassen, sondern auch die Macht den Wolken zu befehlen oder Nebenbuhlerinnen tödlich erkranken zu lassen. Auch in Frauenhänden, so zeigte der Roman, ist Macht vor Missbrauch nicht geschützt – und Frauen sind vor der Verführungskraft der Macht nicht gefeit. In den „Witwen von Eastwick“ begegnen wir den drei Heldinnen rund dreißig Jahre später und dennoch in einer biographisch vergleichbaren Situation. Alle drei hatten zum zweiten Mal geheiratet, also ihre so zauberhafte weibliche Unabhängigkeit aufgegeben und sich mit ihren neuen Männern irgendwo in verschiedenen amerikanischen Landstrichen niedergelassen. Doch jetzt sind ihre Männer gestorben. Als Witwen sind sie wieder frei und also wachsen ihnen, zumal wenn sie zusammen sind, nach der Logik des Romans wiederum magische Kräfte zu. Denn die drei sind letztlich literarische Urenkelinnen jener drei Hexen, die Shakespeares Macbeth den Kopf verdrehen: „When shall wie three meet again / In thunder, lightning, or in rain?“ Dieses erneute Zusammentreffen ist naturgemäß nicht mehr vom Glück der Befreiung und des Aufbruchs zu neuen emanzipatorischen Ufern beseelt. Vielmehr sind sich die drei bewusst, wie nahe sie den Zielgeraden ihres Daseins gekommen sind. Statt vom Aufbruch erzählt der neue Roman vom Wunsch, einen Abschluss zu finden, Rückschau zu halten und Bilanz zu ziehen. Es schnürt einem beim Lesen den Hals zu, wenn man denkt, dass Updike das alles mit dem eigenen Tod vor Augen schrieb. Wenn er Alexandra und Jane beispielsweise nach der Art wohlhabender amerikanischer Witwen auf ihren Weltreisen auch Ägypten ansteuern und die Grabkammer einer Pyramide besichtigen lässt, heißt es: „Alexandra rang nach Luft. Als wäre sie in dem düsteren, abschüssigen Raum gestolpert, streifte sie absichtlich Jane, nur um einen anderen warmen, noch lebendigen Körper zu spüren. Alles um sie her signalisierte: kein Entkommen. Mit wie viel Energie und Aufwand die Religionen auch behaupten, sie könnten uns vor dem Tode erretten: Es gibt kein Entkommen.“ Noch einmal treffen sich die drei für einen Sommer im ruhigen Eastwick, wo sie seinerzeit so viel Unruhe stifteten. Angeblich zur Erholung, aber insgeheim, wie sich jede der drei mehr oder weniger deutlich eingesteht, um alte Schuld abzubüßen und Abschied zu nehmen. Wie Updike hier wieder einmal das Typenarsenal einer amerikanischen Kleinstadt auffächert, wie er die Begegnungen mit ehemaligen Liebhabern oder Kontrahentinnen beschreibt, die einerseits vom Nachklang alter Leidenschaften, andererseits von sanfter Nostalgie untermalt sind, ist rundweg meisterhaft. Und dass er die drei noch einmal zu magischen Mitteln greifen lässt, die diesmal zu einem erschreckenden, ganz unbeabsichtigten Resultat führen, macht die ironische Pointe dieses Buchs aus. Ein Roman des melancholischen Lebensausklangs? Ja sicher, der Romancier und Seelenforscher Updike hat sich auch diese Schattierung des menschlichen Gemüts nicht entgehen lassen. Aber er beweist dabei einen ungeheuer kraftvollen Zugriff. Selbst dieser Perspektive aufs Leben versteht er enormen Facettenreichtum abzugewinnen: Vom Zynismus bis zum Einverständnis mit dem eigenen Ende, vom Aufbegehren bis zur Sehnsucht nach einem letzten Genuss. Der Tod ist in diesem Buch auf jeder Seite gegenwärtig, aber auch die Lust an der Vielgestaltigkeit des Lebens solange es denn dauert. John Updike: „Die Witwen von Eastwick“. Roman Aus dem Amerikanischen von Angela Praesent. Rowohlt Verlag, Hamburg 2009 412 S., 19,90

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