Zum 100. Geburtstag: Erinnerung an einen Besuch bei Eric Ambler, dem großen politischen Romancier und Erneuerer des Thrillergenres Es war eine dieser zurückhaltenden, aber geräumigen Londoner Stadtvillen. Sobald man eintrat, strahlte sie mehr aus als nur gediegenen Wohlstand. Die 18 Romane des Hausherren, die eine Weltauflage von über 50 Millionen erreichten, hatten ihre Spuren hinterlassen. Die Drehbücher, die er für Hollywood schrieb, eines davon oscargekrönt, nicht minder. Die Assistentin ging mit mir über einen langen Flur, öffnete eine Tür, winkte mir einzutreten, und schloss die Tür hinter meinem Rücken. Eric Ambler, 88 Jahren alt, saß im dreiteiligen Anzug mit Krawatte und Einstecktuch in seinem Arbeitszimmer. Allerdings arbeitete er nicht. Er hatte den Sessel neben der Bar gewählt. Vor ihm stand ein hohes Glas randvoll mit Whiskey. Der sollte ihm offenbar helfen, das kommende, für ihn vermutlich eher trockene Gespräch zu überstehen. Da ich kein Whiskey mochte, brachte die Assistentin mir ein Glas Tee. Zumindest die Farben unserer Getränke waren einander ebenbürtig. Ambler liebte die intellektuelle Provokation. Da ihm der Gast als Journalist aus Deutschland angekündigt war, schwärmte er vom Mut, von der Zähigkeit und Kampfkraft der deutschen Soldaten, die er im Zweiten Weltkrieg als Gegner erlebt hatte. Mit John Husten, Carol Reed und Peter Ustinov hatte er Propagandafilme für die Alliierten gedreht und war in der Schlacht von Monte Cassino ein paar Mal nur knapp mit dem Leben davon gekommen. Es ist nicht einfach, als Deutscher angemessen auf derartige Ruhmeshymnen zu reagieren. Soll man die deutschen Haudegen von damals preisen, weil sie so prima Jagd machten auf den Mann, der einem gegenübersitzt? Oder soll man ihm als Nachgeborener, der keinen blassen Schimmer vom Krieg hat, widersprechen? Ich bin nicht mehr sicher, was ich erwiderte auf Ambers Entzücken über den Schneid der deutschen Wehrmacht. Sicher bin ich, dass er sich amüsiert hat über meine Verlegenheit. Beides, sowohl die Lust an der Provokation als auch sein machiavellistisches Interesse für Kämpfer und Macher der Geschichte, zeigte er nicht nur im Gespräch mit Journalisten. Sein 1953, nur acht Jahre nach Kriegsende veröffentlichter Roman „Schirmers Erbschaft“ erzählte die Lebensgeschichte einer blonden germanischen Bestie wie sie Nietzsches „Genealogie der Moral“ entsprungen sein könnte. Und Ambler ließ seinen Helden, einen in finstere Balkanwirren verstrickten ehemaligen deutschen Fallschirmjäger, am Schuss des Romans nicht nur davonkommen, nein, er beschrieb dessen oft aussichtlosen, aber dann doch siegreichen Kampf ums Überleben mit spürbarer Faszination. Ein Buch, das ihm beim britischen Nachkriegspublikum verständlicherweise nicht nur Freunde eintrug. „Die Männer und Frauen“, schrieb Ambler 1981 in seinem letzten Roman, „die mich in meiner Arbeit am meisten interessierten, das waren schon immer die zähen Typen, die Überlebenden. Sympathisch waren sie mir nur selten, aber darauf schien es nicht anzukommen.“ Er hat die Rücksichtslosigkeit, die Grausamkeit solcher Gestalten nie beschönigt. In der „Maske des Dimitrios“, einem der großen, ahnungsvollen politischen Romane der dreißiger Jahre, beschwört er die ganze Dämonie eines hochintelligenten, willensstarken, aber von keinerlei moralischen Kategorien mehr gehemmten Killers. Was Ambler am Vorabend des Zweiten Weltkriegs an diesem düsteren Romanstoff reizte, war nicht Sensationslust: „In Wahrheit hoffen Sie“, muss sich der Intellektuelle sagen lassen, der sich im Buch auf Dimitrios Spuren geheftet hat und der Amber in manchen Momenten so auffällig ähnlich sieht, „in Wahrheit hoffen Sie, durch eine rationale Erklärung von Dimitrios auch die in Auflösung befindliche Gesellschaft erklären zu können.“ Amblers Interesse an den Starken und Gewissenlosen unter den Menschen war letztlich immer das Interesse an den Wirkmechanismen der Geschichte. Der machtgierige Einzeltäter – sei es in der infam Ausprägung eines Dimitrios oder in der vom Überlebenskampf diktierten, eher naiven Brutalität des Fallschirmjägers Schirmer – war da vergleichsweise harmlos. Als einer der ersten Thrillerautoren beschrieb Ambler schon in den dreißiger Jahren nicht mehr nur die Nationen, sondern die übernationalen Konzerne und Banken als die eigentlichen Impulsgeber der politischen Verwerfungen und Krisen, also als die wahren Herren der Geschichte. Sie werden von kühl kalkulierten Interesse gelenkt, von einer rein instrumentellen Vernunft und nicht von Emotionen – was sie zu konsequent zeitgemäßen, aber eben überaus ungemütlichen Akteuren macht. Ambler hat damit, wie Alfred Hitchcock schrieb, dem Genre des Spionageromans neues Leben geschenkt und wurde, wie John Le Carré meinte, zur Quelle, aus der alle Autoren nach ihm schöpfen. Oder wie Graham Greene schlicht aber entschieden feststellte, Amber war der „beste aller Thrillerautoren“. Seit Ambler von den fünfziger Jahren an auch in Deutschland berühmt und immer berühmter wurde, schwelt hierzulande ein scheinbar endloser Streit. Beharrlich versuchen seine Anhänger zu beweisen, dass er zu den wichtigsten Schriftstellern seiner Zeit gehörte und ihm unser altbackener Kultur-Betrieb zu Unrecht die verdiente Anerkennung vorenthalten habe. Ein Streit, der Ambler, fürchte ich, inzwischen langweilen würde. Er ist heute ein Klassiker seines Fachs, niemand wird das ernsthaft bezweifeln wollen. Er war ein Meister des knappen Stils, aber kein Sprachgenie wie der zwanzig Jahre ältere Raymond Chandler. Er hat mit „Dimitrios“, „Die Angst reist mit“, „Der Fall Deltschev“ oder „Doktor Frigo“ einige herausragende politische Romane geschrieben – aber er hat sich gelegentlich auch klischeehafter, genretypischer Motive und Wendungen bedient. Wer ihn bewundert, muss deshalb vor solchen literarischen Versatzstücken die Augen nicht schließen. Als Ambler das Whiskeyglas, das vor ihm stand, geleert hatte, war es Zeit zum Aufbruch. Er arbeitete, erzählte er auf dem Weg zur Tür, an einem neuen Roman. Seinem 19. Aber er werde das Manuskript wohl doch noch vor der Fertigstellung wegschmeißen. Denn er sei nicht sicher, ob dieses Buch so gut werde wie die anderen 18. Und lieber wolle er nichts abliefern, als etwas schwaches. Im Herbst des folgenden Jahres starb Eric Ambler 89jährig. Ein 19. Roman von ihm ist nie erschienen.
Der Artikel erschien in der „Welt“ vom 27. Juni 2009