Doris Dörrie erzählt von katastrophalen Gefühlen zwischen Vätern und Töchtern
Kein Zweifel, Doris Dörrie betrachtet sich als Entertainerin. Ob sie ihre Geschichten in Büchern oder in Filmen erzählt, immer legt sie großen Wert darauf, ihr Publikum gut unterhalten. Das ist nicht nur sympathisch, sondern hierzulande unter Schriftstellern nach wie vor keine Selbstverständlichkeit. Außerdem hat sie den Mut, ihre Geschichten oft in sehr mondänen und deshalb ziemlich klischeegefährdeten Milieus anzusiedeln. Sie macht Fotomodelle oder Redakteurinnen, Millionäre oder Modeschöpfer zu den Figuren ihrer Bücher und lässt sie von den Schlachten der Liebe, den Schrecken des Alters und des Todes oder dem allmählichen Erstarren in der Ehe berichten. Sie hat dabei manches sichtbar gemacht von der Angst und der Not, die inmitten eines materiell wohlausgestatteten Lebens lauern können und ist dafür viel gelobt, ja von der „Zeit“ sogar zu einer „der besten Erzählerinnen der deutschen Gegenwartsliteratur“ erklärt worden. Ihrer Neigung zu exklusiven Milieus bleibt Doris Dörrie auch in ihrem neuen Roman „Und was wird aus mir?“ treu. Er spielt in Hollywood, in der german community des Filmgeschäfts. Johanna, die in Deutschland sowohl als Schauspielerin wie als Requisiteurin gescheitert ist, flieht nach Kalifornien zu ihrem Ex-Freund, dem Regisseur Rainer. Doch der ist, auch wenn er mit allen Mitteln den Anschein des Erfolgs zu wahren versucht, ebenfalls längst auf dem absteigenden Ast und bekommt aus unklaren Gründen schon seit Jahren keine Aufträge mehr. Marko dagegen, ein gerade mal dreißigjähriger Schnösel, hat sich mit Hilfe von Euro-Millionen, die er in Deutschland naiven Investoren abschwatzt, in Amerika zu einem erfolgsverwöhnten Produzenten von Fernsehserien-Schund aufgeschwungen. Doch genau betrachtet steht nicht das berufliche Auf und Ab im Filmgeschäft im Zentrum des Romans, sondern die mitunter katastrophal enge emotionale Beziehung zwischen Vätern und Töchtern. 2005 versetzte Doris Dörrie ihre Inszenierung von Verdis „Rigoletto“ an der Münchner Staatsoper in eine an den Film „Planet der Affen“ erinnernde Szenerie. Die Musikkritiker erklärten das mehrheitlich zum „Ärgernis des Jahres“. Dennoch hat es der „Rigoletto“-Stoff Doris Dörrie noch immer so sehr angetan, dass sie ihn nun auch ihrem Roman zugrunde legt: So wie der Narr Rigoletto seine vergötterte Tochter Gilda an den gewissenlosen Verführer Mantua verliert, verliert der glücklose Regisseur Rainer seine pubertierende, kapriziöse Tochter Allegra an seinen Erzfeind, den skrupellosen Produzenten Marko. Aber nicht nur Allegra, sondern fast alle Frauen in diesem Buch haben schwer an dem Verhältnis zu ihrem Vater zu tragen – und die Väter an dem zu ihren Töchtern. Johanna kommt, obwohl inzwischen bald fünfzig Jahre alt, nicht darüber hinweg, dass ihr Vater seine Familie abrupt verließ, als sie noch ein Kind war. Einer ihrer amerikanischen Freunde gesteht ihr ein, dass seine Tochter aus Protest gegen seine liberale Erziehungsmethoden zur Armee ging und im Irak-Krieg umkam. Ein totes japanisches Mädchen, deren Geist durch den Roman spukt, brachte sich um, als ihr verständnisloser Vater im Internet Pornofotos von ihr entdeckte. Doris Dörrie verknüpft all das zu einer eher hektischen als spannenden Handlung. Ihr Bedürfnis, den Lesern in jedem der recht kurzen Romankapitel irgendeine Sensation oder einen erregenden emotionalen Höhepunkt zu bieten, ist überdeutlich spürbar. Oft genug nimmt sie dabei allzu wenig Rücksicht auf die psychologische Glaubwürdigkeit ihrer Charaktere. Eben noch hat ein älterer Mann seinen Wagen um ein Haar in einen Abgrund gesteuert, nun aber steht er auf einem einsamen Parkplatz, zückt zur Beruhigung einen Joint und bittet seine Beifahrerin um ein wenig Sex. Die ist eigentlich in einen viel jüngeren Mann verliebt, hat den Fahrer auch erst Tags zuvor kennengelernt, sagt aber aus Mitleid nicht nein und erlebt prompt einen grandiosen Orgasmus. Besonders bedauerlich ist, dass Doris Dörrie zu Hollywood kaum etwas Originelles einfällt. Die Angehörigen des Filmgeschäfts stellt sie wahlweise als oberflächliche Speichellecker, eiskalte Zyniker oder märchenhaft reiche, gewissenlose Neurotiker dar, die allesamt nichts Besseres im Sinn haben, als ihrem Gewerbe noch den letzten Rest künstlerischer Substanz auszutreiben. Vielleicht entspricht das ja den traurigen Tatsachen, Doris Dörrie kennt sich da vermutlich aus. Dennoch passt all das so genau zu den schon tausendfach reproduzierten Klischees von den finsteren Schattenseiten der glamourösen Kinowelt, dass man es sich nur mit wenig Freude noch ein weiteres Mal servieren lässt. Wenn sich Figuren so leicht und überraschungslos auf einige platte Begriffe bringen lassen wie hier, nimmt man als Leser kaum Anteil an ihrem Schicksal und weiß schon bald nicht mehr, weshalb man mit ihnen seine Zeit verschwenden soll. Unterm Strich belegt der Roman einmal wieder, wie schmal der Grat ist zwischen gelungener literarischer Unterhaltung und kolportagehafter Unterhaltungsliteratur. Natürlich enthält auch „Und was wird aus mir?“ einige stärkere Passagen, in denen Doris Dörries Können aus ihren beeindruckenden alten Erzählungen wieder aufblitzt. Doch während sie sich dort ihren Figuren vorurteilslos und voller Neugier zu nähern schien, sind die Helden dieses Buches kaum mehr als der Vorwand für ein Trommelfeuer melodramatischer Effekte. Sie tut des Guten zuviel: Sie sorgt für jede Menge Entertainment, aber sie richtet ihre Geschichte dabei zugrunde.
Doris Dörrie: „Und was wird aus mir?“ Roman Diogenes Verlag, Zürich 2007, 421 Seiten, 22,90 €