Der ganze Kafka zum Preis einer Packung Kaffee

 Gegenentwurf zur Suhrkamp-Kultur: Der Verlag und Versand „Zweitausendeins“ wird 40 Jahre alt

Natürlich wollen Verleger bedeutende Bücher machen, Bücher von denen man noch nach Jahren spricht. Natürlich müssen Verleger ihre Bücher verkaufen können, müssen fähig sein, aus Geist Geld zu machen. In Tiefsten ihres Herzens aber wollen Verleger zu all dem noch etwas anderes: Sie möchten erkannt werden, sie möchten sich mit ihrer Arbeit vor den Augen der Leser erkennbar machen. Das ist die Krönung eines Verlegerlebens: Nicht nur ein gutes Programm gut zu verkauft, sondern ihm dazu noch die persönliche intellektuelle und ästhetische Physiognomie mitzugeben, einen ureigenen literarischen Charakter, der vom Publikum angenommen, geschätzt, ja genossen wird. Das beliebteste Beispiel für solche verlegerische Meisterschaft ist hierzulande die „Suhrkamp-Kultur“ Siegfried Unselds. Viel seltener wird von einem anderen derartigen Frankfurter Geniestreich gesprochen, von dem 2001-Versand und -Verlag, den Lutz Reinecke prägte und der jetzt 40 Jahre alt wird. Dabei ist die „2001-Kultur“ Reineckes, der 1983 bei der Heirat den Namen Lutz Kroth annahm, in vielerlei Hinsicht ein überzeugender Gegenentwurf zur Suhrkamp-Kultur. Es ist eine wüste Medien-Melange, die weit über ein Buchprogramm hinausreicht, Musik, Comics, Filme, Software mit einschließt, aber dennoch unverwechselbar bleibt und einen spezifischen kulturellen Stil, wenn nicht gar Lebensstil repräsentiert. Zu den kantigen Details am Rande gehört, dass 2001 ein Spross vom Stamme Suhrkamps ist. Lutz Kroth, damals noch Reinecke, hatte als junger Buchhändler einen von Suhrkamp ausgeschriebenen Wettbewerb um die effektvollste Schaufenstergestaltung gewonnen. Er beeindruckte Unseld, wurde engagiert, stieg zum Vertriebschef des Verlags auf und verließ ihn ausgerechnet im Jahr 1968. Einen Schritt, der programmatische verstanden werden kann. Denn Suhrkamp als Vorzeigeunternehmen der antiautoritären Studentenbewegung zu betrachten, war zumindest aus der Innensicht des Verlages immer ein Irrtum. Der Patriarch Unseld gehörte zum Geschlecht der Alpha-Männchen und führte das Personal seines Hauses mit eher fester als pfleglicher Hand. Reinecke dagegen arbeitete zunächst kurz für die Satirezeitschrift „Pardon“ und gründete dann mit Walter Treumann den 2001-Versand, der sich als ein betont gelassenes, allem autoritären Gehabe abholdes, lustbetontes Unternehmen jenseits der Hochkultur darstellte – und damit von Beginn an als Gegenbild zu den traditionellen Verlagen auftrat. Damit stieß er naturgemäß auf gute Resonanz in einem Milieu, das gerne als „links“ oder „alternativ“ klassifiziert und an den subkulturellen Rand der Gesellschaft gerückt wurde, das aber, wie sich zeigen sollte, keineswegs randständig war. 2001 startete nicht als Verlag, der Bücher produzierte, sondern als Versand, der die unterschiedlichsten Produkte aus dem Umfeld der Zeitschrift „Pardon“ verkaufte, Spiele, Gimmicks oder Schallplatten („Wir liefern jede in ‚Pardon’ erwähnte LP – Karte genügt“). Doch schnell weitete sich das Programm aus, es wurden ein Faksimile-Reprint der von F.W. Bernstein, Robert Gernhardt und F.K. Waechter gestalteten „Pardon“-Beilage „Welt im Spiegel“ ins Angebot genommen, dazu Comics der amerikanischen Underground-Zeichner Robert Crump und Gilbert Shelton, kubanische Revolutionshymnen („Kampflieder voller Liebe, Heiterkeit u. Freiheitsdurst“), aber auch Sex-Zeichentrickfilmchen („Schneeflittchen unter den sieben Zwergen“) und was man sonst noch als Rebell gegen Bürgertum und Establishment in jenen Jahren dringend brauchte. Ein wichtiger Bestandteil dieser Mixtur war aber immer auch Literatur von höchstem Rang. Reinecke kaufte Restbestände bedeutender Titel aus den Verlagslagern oder Großantiquariaten auf, um sie dem Publikum seines Versands – zu stark herabgesetzten Preisen – anzuempfehlen. Mit bemerkenswertem Erfolg. Das E- und U-Kultur keine Gegensätze, sondern Ergänzungen sind, die tadellos nebeneinander im Bewusstsein jedes an seiner Gegenwart interessierten Zeitgenossen Platz finden, musste sich Reinecke nicht erst von den Propheten der Postmoderne vorbeten lassen. Scheinbar schwer Verkäufliches von Marcel Proust, Arno Schmidt, William Shakespeare oder Suhrkamps Bertolt Brecht fand so preisermäßig seinen Platz im Medienarsenal mancher studentenbewegten Wohngemeinschaft. Die wichtigsten Verständigungsmittel des Versands mit seinen Kunden wurden dabei so genannte „Wimmelanzeigen“. Sie waren von dem Designer Gunter Rambow in schwarz-weiß und winziger Schrift als wirkungsvoller Kontrast zur übrigen bunten und von Großbuchstaben dominierten Reklamewelt konzipiert worden. Dazu verschickte 2001 an sämtliche Kunden in seiner Adressenkartei alle zwei Monate ihren kleinformatigen Katalog namens „Merkheft“, der wie ein gedruckter Flohmarkt ein schier bodenlose Füllhorn von Buch- und Schallplattenangeboten ausschüttete. Getextet in einem kunstvollen, nur scheinbar der Umgangssprache abgelauschten Sound, sorgte diese, in einer Auflage von bis zu einer halben Million verbreitete Broschüre für Unabhängigkeit vom Wohlwollen der Feuilletons. Was immer 2001 verkaufen wollte, der Versand konnte es seinen Interessenten schnell, ohne Umwege und präzise nach den eigenen Vorstellungen anpreisen. Hinzu kommt ein Netz von inzwischen 13 Läden, in denen 2001 sein Programm an die Laufkundschaft bringt. Der erste Schriftsteller, der die besonderen Qualitäten von 2001 begriff, war Wolf Wondratschek. 1974 bot er Reinecke sein neues Lyrikmanuskript „Chucks Zimmer“ an. Der griff zu und gerade mal 5 Wochen später konnten die Kunden bereits die fertigen Bücher bei 2001 bestellen. 30.000 Exemplare wurden an die Leser gebracht – ein für Lyrikbände astronomisches Ergebnis. Bald darauf schloss Reinecke Kooperationen mit dem Verlag „März“, später dann mit den Verlagen „Rogner & Bernhard“ und „Haffmans“, die ihre Programme bis heute exklusiv über den Versand vertreiben. Zu den erstaunlichsten Leistungen von 2001, die man in doppelter Hinsicht verlegerische Großtaten nennen kann, gehören Zeitschriften-Reprints. 20 Hefte des „Kursbuchs“, 20 Jahrgänge der „Akzente“ oder die vollständige, 24.500-seitige „Fackel“ von Karl Kraus druckte Reinecke in kleinem Format nach und verkaufte sie in Auflagen, die jedem Herausgeber einer Literaturzeitschrift ekstatische Lustschreie entlocken können. Sogar das Gesamtwerk von Johann Sebastian Bach auf 99 LPs für 699 DM bot er an oder das Lebenswerk des Dirigenten George Solti auf über 200 LPs für 1299 DM. Und fand tatsächlich genügend Musikliebhaber mit Vollständigkeits-Sehnsüchten, die ihm diese gigantomanen Editionen abnahmen. Das größte 2001-Projekt aber erschien 1980. Reinecke hatte einen Tipp bekommen und beschaffte sich in den USA eine 1400 Seiten schweren Studie der amerikanischen Regierung über die Lebensbedingungen der Erde bis zum Jahr 2000: „Umweltschützer wurden damals als Spinner diffamiert. Und hier war zum ersten Mal aus regierungsamtlichen Quellen ein Beleg, dass die Erde gefährdet wird durch unseren zerstörerischen Lebensstil.“ Reinecke ließ den Materialberg übersetzen, brachte ihn unter dem Titel „Global 2000“ heraus und schließlich mit einer Gesamtauflage von über einer halben Million Exemplaren unter die Leser. Ein Bestseller, ja mehr noch: ein Blockbuster des ökologischen Bewusstseins hierzulande. Vor zwei Jahren, noch vor dem 65. Geburtstag, hat sich Lutz Kroth, ehemals Reinecke, in den Ruhestand begeben und versucht sich, wie er sagt, „aus dem Arbeitskäfig auszuwildern in das wirkliche Leben.“ Das Unternehmen 2001 wurde vom Gründer des Filmverleihs Kinowelt Michael Kölmel übernommen und macht weiterhin haarsträubende Angebote: Das Gesamtwerk von Franz Kafka zum Beispiel in einem Band für den Preis einer Packung Kaffee, das Gesamtwerk Mozarts auf 170 CDs für den Preis einer Tankfüllung. Man fasst es nicht.

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