Taub und tot: Das Werk des Alters „Wie bitte?“

 – David Lodges Roman stellt ungemütliche Fragen

Es beginnt wie so ein richtig schöner, gemütlicher Campus-Roman. Der britische Romancier David Lodge ist in diesem Genre weiß Gott kein Anfänger. Er war lange Professor an der Universität von Birmingham und verfügt über einschlägige Milieukenntnisse. In „Saubere Arbeit“ (1988) zum Beispiel erzählte er von der Liebesgeschichte zwischen einer Literaturwissenschaftlerin mit dekonstruktivistischen Leidenschaften und einem raubeinigen Industriemanager mit traditionell konstruktiven Interessen. In „Denkt“ (2001) war es dann die Affäre zwischen einem casanovahaften Kognitionswissenschaftler, der die Geheimnisse des Gehirns per Computer lüften will und einer schüchternen Schriftstellerin, die dem Seelenleben der Mitmenschen mit berufsbedingter Einfühlung auf die Spur zu kommen versuchte. Wenn also im ersten Kapitel des neuen Lodge-Romans „Wie bitte?“ eine attraktive Doktorandin auf einer Vernissage einem schwerhörigen Linguistik-Professor namens Bates begegnet, lehnt man sich im Lesesessel entspannt zurück im festen Glauben, nun könne es ja heiter werden. Wird es aber nur passagenweise und Lodge gibt der Handlung des Romans eine gründlich andere Richtung, als sich zunächst anzudeuten scheint. Natürlich ist er ein viel zu erfahrener Erzähler, als dass er sich die Gelegenheit zu allerlei amüsanten Missverständnissen und kleinen Peinlichkeiten entgehen ließe, die sich aus dem Gebrechen seiner Hauptfigur ergeben. „Taubheit ist komisch, Blindheit tragisch“, behauptet Bates bitter und ruft mit einigen Anekdoten quer durch die Kulturgeschichte in Erinnerung, wie verständnis-, ja herzlos die Mitwelt sogar mit den Genies unter den Gehörlosen umging, wie mit Philip Larkin etwa oder mit Beethoven. Wer nichts versteht, wird von anderen schnell für verstockt oder tölpelhaft gehalten, wer nichts sieht, immer als hilfsbedürftig und bedauernswert betrachtet. So ungerecht ist die Welt und da Bates als Sprachwissenschaftler mit schlechtem Gehör auch beruflich Nachteile einstecken muss, hat er gleich die erste Gelegenheit ergriffen, sich frühpensionieren zu lassen. Natürlich langweilt er sich nun allein zuhause am Schreibtisch, zumal seine Frau im Gegensatz zu ihm gerade Karriere macht und von mancherlei sozialen Verpflichtungen in Anspruch genommen wird, von denen sich Bates seiner Hörprobleme wegen ausgeschlossen fühlt. Mit anderen Worten: Er ist auf dem besten Weg, ein mürrischer, verschlossener, ewig mit dem Schicksal hadernder Zausel zu werden, der den Rest seiner Tage damit verbringt, mit linguistischem Scharfsinn allen nahe liegenden oder auch an den Haaren herbeigezogenen Verbindungen zwischen den Worten „deaf“ und „dead“, also zwischen taub und tot nachzuspüren. Bates ist kein Dummkopf, er ahnt durchaus, das und wie er sich verändert. Lodge gibt dem Roman die Struktur eines Tagebuchs: Bates selbst notiert, was ihm widerfährt. Meist schreibt er in der Ich-Form, die allzu peinlichen Missgeschicke schildert er allerdings lieber aus der distanzierten Er-Perspektive. Er entwickelt dabei eine Menge Selbstironie und Witz. Vor allem eine Weihnachtsfeier, die fast alle Romanfiguren zusammenführt, nutzt Lodge in Sitcom-Manier zu einigem turbulent-komischem Durcheinander. Doch all das kann Bates aus seiner wachsenden Isolation nicht retten, sondern führt sie ihm nur noch deutlicher vor Augen. Zum typischen Campus-Roman würde es nun passen, wenn ein Flirt oder gar eine Affäre mit der intelligenten und sehr blonden Doktorandin den eingerosteten Bates die Reize des Lebens wiederentdecken lässt. Woraufhin naturgemäß dessen Ehefrau empört wäre, aber auch das übrige Universitätsmilieu reichlich vernagelt reagierte, obwohl doch die beiden ungleichen Liebenden rundum waschechte, tief romantische Gefühle füreinander hegten. Aber auf diese sehr absehbaren Wege steuert Lodge seinen Roman nicht. Stattdessen rückt er den zweiten Teil des Begriffspaares Deafness und Death in den Mittelpunkt des Romans, der sich nunmehr als ganz und gar nicht gemütlich entpuppt: „Taubheit ist so etwas wie ein Vortod, eine ausgedehnte Hinführung zu jener langen Stille, in die wir alle früher oder später hinabsinken müssen.“ Von fast allen Seiten fühlt sich Bates mit finsteren Fragen konfrontiert. Die Doktorandin beschäftigt sich, wie sich herausstellt, mit der sprachwissenschaftlichen Analyse der Abschiedsbriefe von Selbstmördern. Bates’ Vater ist inzwischen 89 Jahre alt, wird zunehmend wunderlich und verwirrt, will aber um keinen Preis in ein Altenheim. Auf einer Vortragsreise durch Polen besucht Bates dann Auschwitz, also einen vom Geist bestialischer Lebensvernichtung tief gezeichneten Ort. Zudem beginnt er, obwohl seine Frau ihn warnt, mehr zu trinken als für ihn und seine verbliebenen Sozialkontakte gut ist. Kurz: Lodge führt seinen Helden in eine ziemlich ultimative Lebenssackgasse. Zugleich aber eröffnet er ihm einen schmalen Lichtstreif in all der Düsternis. Denn obwohl sich Bates gegen die hörproblemlose und ihm deshalb so bedrohlich erscheinende Umwelt regelrecht verbarrikadiert, bietet ihm das Schicksal die Chance, allerlei ungewohnten, neuen Erfahrungen zu sammeln. Die Doktorandin macht ihm kaum verhohlene sexuelle Avancen, um ihn als Helfer für ihre Dissertation zu gewinnen. Die fortschreitende Krankheit seines Vaters sorgt für Kummer, zwingt Bates aber auch, seine Passivität aufzugeben und nicht mehr nur über dem eigenen Unglück zu brüten. Außerdem hat er sich breitschlagen lassen, einen Kurs im Lippenlesen für Hörgeschädigte zu besuchen – und fühlt sich unter seinen Leidensgefährten erstmals wieder vollwertig und anerkannt. Lodge lässt seinen Helden also nicht an dessen grantiger Weltflucht scheitern. Vielmehr zeigt er, dass Bates, weil er gegen seinen Willen wieder in den Tumult des Lebens einbezogen wird, allmählich zu zaghafter Lebensfreude zurückfindet. Ein zweifellos einsichtsvolles, beherzigenswertes Fazit. Leider trägt Lodge gelegentlich ein wenig dick auf. Dann merkt man seine wohlmeinenden Absichten und ist leicht verstimmt. Doch meist deutet er nur an, wie sich ein vernünftiger Mensch seiner Ansicht nach den Rückweg aus einem weltabgewandten Abseits zu bahnen hat. So kann man „Wie bitte?“ ein Alterswerk im doppelten Sinne des Worten nennen: Zum einen, weil es von den Folgen des Alterns handelt. Zum anderen weil sich David Lodge hier seiner gewohnten literarischen Motive und Mittel so sicher ist, dass er sich ihrer gelegentlich ein wenig zu routiniert bedient. P.S.: Lodge hat seinen Roman, der wegen einer Vielzahl von englischen Wortspielen nicht leicht in andere Sprachen zu übertragen ist, seinen Übersetzern gewidmet. Das gibt natürlich Anlasst, die Mühen der deutschen Übersetzerin Renate Orth-Guttmann besonders herauszustreichen. Sie hat im vorliegenden Fall sehr gute Arbeit geleistet. Denn Professor Bates ist nicht nur Linguist, sondern hat auch eine Leidenschaft für englische Lyrik. Die große Zahl seiner Anspielungen auf mehr oder minder bekannte Gedichte hat sie mit viel Fingerspitzengefühl und großer Umsicht in den deutschen Text hinüberretten können. In einem kleinen Anhang zum Roman wird aufgeschlüsselt, mit welchen Schwierigkeiten sie in diesem Fall zu kämpfen hatte.

David Lodge: „Wie bitte?“ Roman
Aus dem Englischen von Renate Orth-Guttmann. Blessing Verlag, München 2009 367 Seiten, 19,95 €

Dieser Beitrag wurde unter David Lodge veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.