2008 publizierte die Zeitschrift „Cicero“ eine von 20 Branchen-Kennern zusammengestellte Liste der 20 deutschsprachigen Verlage mit dem höchsten Ansehen. Dazu der folgende Kommentar: Verbeugung.
Carl Hanser an der Spitze der Verlags-Bestenliste? Ja, was denn sonst. Mit dieser Wahl bringt sich die CICERO-Jury aus 20 Kennern des deutschsprachigen Literaturrummels nicht in den Verdacht übergroßer Originalität. Im Grunde paraphiert sie einen Gemeinplatz. Sie zieht huldigend den Hut vor der Lebensleistung des Hanser-Chefs Michael Krüger, im Betrieb vertraulich „Michel“ genannt. Mit 22 Jahren im Amt ist er einer der dienstältesten Verlagsleiter, ein dynamischer Doyen, dessen Ansichten zu Wohl und Wehe des Gewerbes gern wie Orakelsprüche weitergereicht und dessen kleine Marotten von jüngeren Kollegen inzwischen hemmungslos kopiert werden. Zwei Beispiele dafür, wie prächtig es derzeit bei Hanser läuft. Fast fünfundzwanzig Jahre lang veröffentlichte Wilhelm Genazino bei Rowohlt Buch um Buch, doch Leser und Kritiker mochten sich nur mäßig für ihn erwärmen. 2000 erschien ein erster Roman von ihm bei Hanser und machte umgehend Furore. 2004 erhielt er den Büchner-Preis und ist seither literarisch ein gemachter Mann. Bei Martin Mosebach ähnlich: Zwanzig Jahre publizierte er in fünf verschiedenen Verlagen mit sehr überschaubarer Resonanz. 2005 erschien ein erstes Buch bei Hanser und fand mehr Anerkennung als alle anderen zuvor. 2007 erreichte dann auch ihn der Büchner-Preis als endgültiger Ritterschlag, und Michael Krüger hat seither einen Starautor mehr im Haus. Gibt es ein Geheimnis dieses Erfolgs? Intelligenz natürlich, literarische Kennerschaft, innige Kontakte zu den wichtigen internationalen Verlagen. Dazu hat Krüger ein untrügliches Gespür für die tiefe Gespaltenheit des literarischen Bewusstseins hierzulande. Fragt man ihn, welche Literatur er liebt, schwärmt er von ruhmvollen Lyrikern der Moderne und belächelt all die zahllosen Liebes-, Ehe- oder Familienromane, weil sie angeblich „immer die gleichen Geschichten“ erzählen. Schlägt man dann eine Hanser-Programmvorschau auf, kündigt sie lauter Liebes-, Ehe- oder Familienromane an und weit hinten, auf den letzten Seiten der Vorschau finden sich zwei, drei Bände ruhmvoller Lyrik. So gibt Krüger allen, was sie brauchen, den Lesern ihre Romane und dem idealistischen deutschen Glauben an höchste, ja allerhöchste Literatur-Sphären die dringend benötigten Dichter-Heiligen. Frankfurter Fragen. </strong>S.Fischer und Suhrkamp, die beiden großen Frankfurter Bücherhäuser als Verfolger von Hanser auf den Plätzen 2 und 3 – das ist definitiv keine Selbstverständlichkeit. Nach dem Weggang von Programm-Chef Arnulf Conradi Mitte der neunziger Jahre rutschte S.Fischer tief in eine Krise. Ich war in jenen Jahren Lektor dort und werde deshalb einen Teufel tun, öffentlich auch nur ein Wort über die Gründe dafür zu verlieren, sie waren ohnehin unübersehbar. Aber ich ahne, wie viel Kraft es gekostet haben muss, aus jener Asche wieder einen Phönix aufsteigen zu lassen, der es hier bis zur Silbermedaille bringt. Das ist eine echte Überraschung, deshalb: Gratulation an die alten Kollegen. Suhrkamp dagegen, der viel umjubelte König unter den deutschen Verlagen in den sechziger, siebziger und achtziger Jahren, ist in sanftem Sinkflug begriffen. Nachdem so viele Autoren dem Haus den Rücken kehrten, vom Nobelpreisträger Imre Kertész bis Martin Walser, von Daniel Kehlmann bis Bodo Kirchhoff, von Ernst Augustin bis Marlene Streeruwitz, von Thomas Hettche bis Silke Scheuermann, darf dieser Bedeutungsverlust niemanden wundern. Bleibt die Frage, ob Verlegerin Ulla Berkéwicz den allmählichen Niedergang stoppen kann? Eifrig hat sie jetzt einige Jahre lang Geschäftsführer, Lektoren, Stiftungsräte ausgetauscht. Nun wäre es wohl an der Zeit, dass ihr neues Team Fuß fasst? David und Goliath. Das Kleinstunternehmen Kookbooks auf Platz 4, gleich hinter dem von Weltruhm verwöhnten Haus Suhrkamp und noch vor Kiepenheuer & Witsch, Rowohlt, Diogenes – das kann einen sprachlos machen. Offenbar ist die Liebe der Bücherbranche zu den Newcomern und Außenseitern schier unbegrenzt. Seit fünf Jahren verlegt Daniela Seel bei Kookbooks im Alleingang vor allem Gedichtbände, und die Kritiker, Redakteure, Juroren wollen gar nicht mehr aufhören, sie dafür zu umarmen. Spröde, sperrig, schwierig sind ihre Dichter und passen damit so exakt ins klassische Bild von Avantgarde, dass viele sie offenbar tatsächlich für Avantgarde halten. Den Zwergen in ihrem Überlebenskampf gegen die Konzernverlags-Riesen fliegen in der Buchbranche allemal und verständlicherweise die Herzen zu. Random House macht fast 2 Milliarden Euro Jahresumsatz und spielt in der Wertschätzung der 20 hier befragten Betriebskenner trotzdem keine Rolle. Frisch gegründete kleine Label dagegen wie SchirmerGraf, wie Blumenbar, Tropen, Supposé oder eben Kookbooks besetzen zusammen glatt ein Viertel der Liste. Womit sie, bei aller Sympathie, doch wohl ein wenig zu hoch gehandelt werden. Auch der auf eine 350jährige Geschichte zurückschauende Traditionsverlag Klett-Cotta kommt im Ranking nicht vor. Vielleicht aber hat er künftig bessere Chancen, hier gnädige Beachtung zu finden, schließlich bestellte der scheidende Chef Michael Klett kürzlich erst die beiden jungen Leiter des Tropen-Verlags zu seinen Nachfolgern. Was fehlt? </strong>Bemerkenswert ist naturgemäß nicht nur, welcher Verlag es bis auf welchen Platz der Liste gebracht hat. Noch interessanter ist wohl die Frage, wer im Bücherweltbild von immerhin 20 Entscheidungsträgern des Betriebs so weit an den Rande geraten ist, dass er hier gar nicht genannt wird. Keiner aus der Riege der profiliert linken Verlage, die früher alle Feuilletons in Atem hielten, hat sich noch ins Ranking schmuggeln können, nicht Rotbuch, nicht Roter Stern, nicht Wagenbach – obwohl letzterer mit Klaus Wagenbach immerhin eine der wenigen originellen Verlegerpersönlichkeiten des Landes vorzuweisen hat. Hoffmann & Campe, ein Bücherhaus mit über 200jähriger Historie, kommt nicht vor, dabei findet sich sein ehemaliger Programmleiter Rainer Moritz heute unter den Juroren. Mit Diogenes und Kein & Aber sind gleich zwei Schweizer Verlage auf der Liste, dagegen kein einziger aus Österreich, auch wenn die österreichische Literatur zurzeit mit Büchern von Daniel Kehlmann, Thomas Glavinic, Gerhard Roth, Arno Geiger, Michael Köhlmeier einen Boom erlebt wie lange nicht. Unterm Strich verrät die Liste mehr über die Voraussetzungen für gelingende oder misslingende Imagebildung im Buchgewerbe als über die tatsächliche intellektuelle Bedeutung oder Durchsetzungskraft der Verlage. Die Davids haben da einen unübersehbaren Vorsprung vor den Goliaths der Branche, die neuen, gerade gegründeten Labels vor den alten, lang erprobten Bücherhäusern, die politisch ungebundenen vor denen, die mit ihrem Programm weltanschauliche Bekenntnisse ablegen. Also, wer heute als Verleger im Literaturbetrieb schnell zu hohem Ansehen kommen will, muss jung sein, darf nicht groß werden und sollte niemanden mit seinen politischen Überzeugungen behelligen. Wenn er dann noch Michael Krüger heißt, kann nichts mehr schief gehen.