Zwei Ausstellungen ehren den Wegbereiter des Kriminalromans, den Politiker, Journalisten und Verleger Karl Anders
Lebensläufe wie diese gibt es heute kaum noch. Karl Anders gehörte zu den Menschen des vergangenen Jahrhunderts, die gleich drei oder vier verschiedene Karrieren machten – und zumindest eine davon führte ihn auf den Gipfel dessen, was in der entsprechenden Profession erreichbar ist. Die Universitätsbibliothek Frankfurt und das Literaturhaus Frankfurt zeigen jetzt Ausstellungen zu Leben und Werk des Verlegers Anders. Er ist in diesem Beruf nicht so erfolgreich gewesen und bekannt geworden wie seine Kollegen Siegfried Unseld, Heinrich Maria Ledig-Rowohlt oder Reinhard Mohn. Aber er hat auch in diesem Beruf einen bemerkenswerten Beitrag zur Bewusstseinsbildung der Bundesrepublik geleistet. 1907 in Berlin als Kurt Wilhelm Naumann geboren, begann er als Polsterer und Gartenbautechniker. In der politisch radikalisierten Atmosphäre der Zwanziger stand er zunächst der SPD nahe. Doch nachdem er auf einer vom sozialdemokratischen Polizeipräsidenten Berlins verbotenen Demonstration zum 1. Mai 1929 „furchtbar verprügelt wurde“, trat er am folgenden Tag in die KPD ein, die ihm rasch wichtige Parteiämter übertrug und ebenso rasch wieder aberkannte. Nach der Machtübernahme Hitlers 1933 blieb er noch gut ein Jahr in Deutschland und betrieb mit hohem Risiko illegale Propaganda gegen die Nazis. Dann emigrierte er nach Prag und die Slowakei, wo er anlässlich des Hitler-Stalin-Paktes aus der KP austrat. Über Polen konnte er sich vor Kriegsausbruch nach Großbritannien retten. Dort begann er dann unter dem Pseudonym Karl Anders, das er wenig später auch im Alltag führen sollte, als Journalist seine zweite Karriere. Anders war bei der BBC nicht nur verantwortlicher Leiter sämtlicher „Sendungen für den deutschen Arbeiter“, sondern er wurde mit Kriegsende zur Berichterstattung nach Deutschland entsandt und bekam schließlich den Auftrag, für seinen Sender die Berichterstattung von den Nürnberger Prozessen zu übernehmen. Schon parallel dazu begann er seine dritte Karriere. Lizenziert durch die Besatzungsmächte gründete er zusammen mit zwei Teilhabern den Nürnberger Nest-Verlag. Entsprechend seiner politischen Leidenschaften gab er dem Verlag in erster Linie ein zeitgeschichtliches Programm, das zur Reeducation und Demokratisierung Deutschlands beitragen sollte. Daneben aber startete er 1949 die Reihe der Krähen-Bücher, die einerseits dem Verlag ein solides finanzielles Fundament, andererseits dem literarisch bedeutenden Kriminalroman hierzulande ein Publikum verschaffen sollte. Anders war 1939 mit der in Deutschland üblichen bildungsbürgerlichen Vorurteilen gegen Krimis nach England gekommen. Doch hatte er sich dort – nicht zuletzt durch die Begegnung mit dem Politikwissenschaftler Douglas Howard Cole, der zusammen mit seiner Frau zahlreiche Detektivromane schrieb – rasch eines besseren belehren lassen. So versammelte er für den Nest-Verlag eine exzellente Kollektion von Autoren, die er erstmals auf den deutschen Buchmarkt präsentierte: Darunter die Klassiker des Hardboild-Genres Raymond Chandler und Dashiell Hammett, aber auch Eric Ambler, Dorothy L. Sayers und Rex Stout. Inzwischen spricht diesen Autoren auch hierzulande niemand mehr ihren Rang ab. Damals aber wurde ihr Erfolg durch die noch wenig veränderten Borniertheiten des deutschen Kulturbetriebes stark begrenzt – was auch diese dritte Karriere von Anders nicht eben zu einem ökonomischer Erfolg werden ließ. Mitte der Fünfzigerjahre trennte er sich vom Verlag, wurde zunächst Geschäftsführer der „Frankfurter Rundschau“ und später Berater der SPD und der Industriegewerkschaft Bau-Steine-Erden. 1961 gehörte er der zentralen Wahlkampfleitung der SPD an, die mit dem Spitzenkandidaten Willy Brandt das Ergebnis ihrer Partei um über vier Prozent steigern konnte. Jederzeit hätte man ihm jetzt höhere politische Ämter angetragen, doch er blieb seinem beim Austritt aus der KPD abgelegten Schwur treu, nie wieder Funktionär irgendeiner Partei zu werden. Kriminalromane waren für den Verleger, aber auch für den Leser Karl Anders immer mehr als nur Unterhaltung. Im Detektiv sah er den literarischen Archetyp des Aufklärers und in der Detektivgeschichte – mit einem Wort Chandlers – die immer wieder neu variierte „Suche nach der versteckten Wahrheit“. Als heimgekehrter Emigrant versuchte er seine Heimat auf ihrem langen Weg nach Westen und zu einer tatsächlich gelebten Demokratie nicht zuletzt mit den Mitteln der Kriminalliteratur voranzubringen. Er hat nach dem Krieg einen noch sehr steinigen Boden zu bearbeiten begonnen – die Ernte brachten später Verlage wie Ullstein und Diogenes ein.