Ein Jahrgang und die deutsche Literatur

Na gut, zugegeben, es ist nicht die gesamte erste Reihe der deutschen Nachkriegsautoren, die 2009 Jahr 80 wird. Einige der Schriftsteller, die bis heute das literarische Profil des Landes mitprägen, haben dieses Jubiläum schon hinter sich, wie Martin Walser und Günter Grass, die 1927 geboren wurden. Ansonsten aber ist der Jahrgang 1929 unter denen, die zu den herausragenden Köpfen unserer Literatur gerechnet werden, auffällig stark vertreten. Entsprechend voll mit 80. Geburtstagen ist der Gedenktagskalender für 2009: Heiner Müller (9. Januar), Günter Kunert (6. März), Christa Wolf (18. März), Walter Kempowski (29. April), Ralf Dahrendorf (1. Mai), Jürgen Habermas (18. Juni), Walter Helmut Fritz (26. August), Peter Rühmkorf (25. Oktober) und Hans Magnus Enzensberger (11. November). Eine solche Häufung ist natürlich Zufall. Literarisches und intellektuelles Talent wird schließlich nicht nach Jahreszahlen oder Sternkonstellationen unter Neugeborenen ausgeteilt. Schriftstellerische Leistungen sind immer individuell. Keiner bekommt seine Romane, Gedichte, Essays, Theaterstücke geschenkt, nur weil er im richtigen Jahr geboren wurde. Eine solche Häufung ist natürlich kein Zufall. Alle Karrieren, auch die von Schriftstellern, entfalten sich vor dem Hintergrund historisch festgelegter Bedingungen. Manche geschichtliche Augenblicke sind für literarische Laufbahnen günstiger als andere. Wer zum Beispiel ein paar Jahre älter war als die 1929 Geborenen und dazu männlichen Geschlechts, hatte gute Chancen, als Soldat in Hitlers Krieg verheizt zu werden. Wer aber zum Jahrgang 1929 zählte, kam als Flakhelfer oft glimpflicher davon, war mit 16 Jahre alt genug, das Kriegsende samt seinen epochalen Umbrüchen mit vollen Bewusstsein zu erleben, andererseits aber jung genug, um danach als unbestreitbar unbelastet zu gelten. 1949, als Bundesrepublik und DDR gegründet wurden, waren die 1929iger zwanzig: Sie hatten als Heranwachsende wuchtige historische Erfahrungen gemacht, brauchten keine Vorwürfe für das Vergangene zu fürchten und vor ihnen lagen die Anfangsjahrzehnte zweier Staaten, die nach moralischer Orientierung gierten und sie nicht zuletzt in der Literatur suchten. Kürzlich erst stellte die Schriftstellerin und Moderatorin Thea Dorn fest, für sie seien Begegnungen mit Autoren der ältesten Generation durchweg beeindruckender als mit jüngeren Kollegen. Selbst wenn man ihr nicht zustimmen mag – es gibt gute Gründe für ihre Beobachtung. Die Erfahrungen von Krieg, Zerstörung und Neuanfang betrafen alle. Wer unter ihrem Eindruck zu Schreiben begann, schrieb, auch wenn er nur von sich schrieb, von Themen, die alle berührten. Heute ist die Gesellschaft in ungezählte Milieus zersplittert. Ein Schriftsteller, der von sich spricht, findet nur bei kleinen Gruppen Gleichgesinnter Resonanz. Andere haben ganz andere Erfahrungen gemacht als er. Das muss ihm klar sein und also ist er gut beraten, sich nicht zu ernst zu nehmen und seiner Literatur eine Portion Ironie beizumengen. Solche kluge Selbstrelativierung wirkt aber auf den ersten Blick selten beeindruckend.

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