Wird die Dauerkrise bei Suhrkamp lebensbedrohlich für den Verlag?
Soviel stand immer fest: Nach dem Tod Siegfried Unselds würde der Suhrkamp Verlag in stürmische Zeiten geraten. Unseld war eine viel zu beherrschende, raumgreifende Persönlichkeit, als dass der Verlag einen solchen Verlust ohne Krise hätte überstehen können. Die Frage war nur, welches Ausmaß die Krise annehmen und wie der Verlag sie überstehen würde. Nachdem jetzt der Schweizer Mitgesellschafter Andreas Reinhart seine Anteile am Verlag im Streit mit Unselds Witwe Ulla Berkéwicz an die Investoren Hans Barlach und Claus Grossner abgegeben hat, spitzt sich die Lage zu. In den letzten Jahren machte das Programm des Verlages nicht immer den besten Eindruck. Nun sieht es so aus, als würde auch die Frage nach seiner Führung neu gestellt. Ulla Berkéwicz will die neuen Anteilseigner nicht akzeptieren. Im Gegenzug bezeichnet Barlach sie öffentlich als „überfordert“ und rät ihr, die Geschäftsführung „in kompetentere Hände abzugeben“. An Verdächtigungen und Vorwürfen ist von beiden Seiten kein Mangel. Die Konflikte scheinen unversöhnlich – und nichts könne Suhrkamp zurzeit weniger gebrachen als das. Es gibt einen guten Grund, aus dem Öffentlichkeit sich für das Schicksal von Suhrkamp interessieren sollte. Und einen zweiten, nicht so guten, der die Gier auf Nachrichten über die jeweils jüngsten Frontverläufe in diesem Hause unermüdlich anheizt. Der erste Grund liegt auf der Hand. Siegfried Unseld war es in den sechziger Jahren gelungen, aus Suhrkamp einen Verlag zu machen, der die Geistesgeschichte der Bundesrepublik vorübergehend prägte. Mit einer Mischung aus kritischer Theorie und einer an der klassischen Moderne orientierten Literatur gab er nicht zuletzt der Studentenbewegung den wesentlichen intellektuellen Orientierungsrahmen vor. Einiges von dem, was seinerzeit bei Unseld erschien, nimmt sich heute allerdings fragwürdig aus. Manche seiner Autoren flirteten mit totalitären Ideen, schwärmten für die Revolution in Kuba oder schmiegten sich der DKP oder der DDR an. Zu den Ironien der Literaturgeschichte gehört, dass Günter Grass, der sich unbeirrbar für den schneckengleichen Fortschrittsgang parlamentarischer Demokratie einsetzte, inzwischen viel von seiner politischen Glaubwürdigkeit durch das späte Eingeständnis seiner SS-Vergangenheit verspielt hat. Den Altstars aus Unselds Verlag dagegen, die seit den sechziger Jahren auf offener Bühne die rasantesten politische Kehren und Wendungen hinlegten, werden die politischen Verirrungen früherer Jahre nur selten vorgerechnet. Unselds verlegerische Leistungen sind unbestreitbar. Als er sein Haus vom Gründer Peter Suhrkamp übernahm, erschienen dort Brecht, Hesse, Frisch und Benjamin. Dem fügte er die Werke von Proust, Joyce und Beckett, von Adorno, Habermas und Sloterdijk, von Johnson, Weiss, Koeppen, Thomas Bernhard, Enzensberger, Walser und Handke hinzu. Dieses riesige literarische Erbe macht jede Affäre bei Suhrkamp für die literarische Öffentlichkeit so wichtig. Laut Urheberrecht sind Bücher bis zu siebzig Jahre nach dem Tod ihres Verfassers an den Verlag gebunden. In den Händen der Suhrkamp-Leitung liegt folglich die Verfügungsgewalt über enorme Teile der Nachkriegsliteratur und damit eine erhebliche Verantwortung. Der zweite und nicht so noble Grund für das öffentliche Interesse an Suhrkamp hat seinen Ursprung in der Person Unselds. Er war ein großer Mann, hatte aber wie viele große Männer auch große Schattenseiten. Er war, milde formuliert, ein Patriarch, dem autoritäre Führungsmethoden nicht fremd waren – was dem Verlag, der den antiautoritären Achtundsechzigern ihre Stichworte lieferte, immer etwas Doppelbödiges gab. Obwohl Unseld seinen Mitarbeitern naturgemäß viel verdankte, neigte er dazu, Erfolge Suhrkamps für sich zu vereinnahmen. Er hatte wenig Talent, Ruhm oder Macht mit anderen zu teilen. Viele profilierte Köpfe verließen daraufhin das Haus – ein Kompetenz-Verlust, der nicht immer ausgeglichen werden konnte. Diese Entwicklung spitzte sich dramatisch zu als Unseld auf die 70 zusteuerte und sich immer dringender die Nachfolgefrage stellte. 1988 machte er seinen Sohn Joachim zum „gleichberechtigten Verleger“. Dann trennte er sich nach fast vierzigjähriger Ehe von seiner Frau Hilde. Die verzichtete, wie der Biograph Peter Michalzik („Unseld“, Verlag btb, 397 S. 12,00 €) berichtet, bei der Scheidung auf Teile des ihr zustehenden Zugewinns, da der Sohn Joachim den Verlag erben sollte. Im August 1990 heiratete Siegfried Unseld die rund 25 Jahre jüngere Ulla Berkéwicz, eine Autorin seines Hauses. Nur zwei Monate später überwarf er sich mit seinem Sohn und drängte ihn rigoros aus dem Verlag. Als seine frühere Frau ihn an die Scheidungsverabredungen erinnerte, soll er, wie Michalzik schreibt, geantwortet haben: „Hast Du das schriftlich?“ Der Kulturbetrieb stand bei diesem Familiendrama mit offenem Mund staunend an der Rampe. Das Stück schien geradezu aus einem bösen Märchen mit Vater, Stiefmutter und Kind zu stammen. Wie bei Familienstreitigkeiten üblich, verlieren sich auch in diesem Fall die Aussagen der Beteiligten rasch im Dunkel schwer nachprüfbarer Vorwürfe und Legenden. Fest steht, dass Joachim Unseld lediglich einen Anteil von zwanzig Prozent am Verlag erhielt – und dass im Laufe der neunziger Jahre von Siegfried Unseld mehrfach potentielle Nachfolgekandidaten bei Suhrkamp präsentiert wurden, die aber bald von sich aus oder mit Unselds tatkräftigen Unterstützung das Haus wieder verließen. Schließlich bestellte Unseld vor seinem Tod seinen Mitarbeiter Günter Berg zum Geschäftsführer und brachte eine verschachtelte Eigentumsregelung auf den Weg, die das Ziel hatte, Suhrkamp vor Begehrlichkeiten von außen zu schützen. Ulla Berkéwicz übernahm den Vorsitz einer Familienstiftung und wurde Geschäftsführerin einer „Verlagsleitung GmbH“, die fast wie ein Aufsichtsrat über die Geschicke des Verlages zu wachen hatte. Dabei sollte ihr ein Stiftungsrat zur Seite stehen, der mit Hans Magnus Enzensberger, Jürgen Habermas, Alexander Kluge, Wolf Singer und Adolf Muschg glanzvoll besetzt war. Doch so prägend Unseld zu Lebzeiten war, so schnell zerfielen seine Pläne nach seinem Tod 2002. Gleich nach Ablauf des Trauerjahres feuerte Ulla Berkéwicz den von Unseld zum Verlagsleiter bestimmten Berg. Kurzerhand machte sich selbst zur Suhrkamp-Geschäftsführerin – was Unseld stets vermieden hatte. Das trug ihr massive öffentliche Kritik ein, denn sie war bislang als Schauspielerin und Schriftstellerin in Erscheinung getreten, nicht aber als Verlegerin. Der Eindruck, dass sie in einer für die Buchbranche schwierigen Zeit ohne nennenswerte Erfahrungen das tagtägliche Geschäft an sich zog, war schwer zu leugnen. Auch der noch von Unseld ausschließlich mit Suhrkamp-Autoren besetzte Stiftungsrat verweigerte der neuen Verlegerin die Gefolgschaft. Mit den brüsken Worten, Ulla Berkéwiczs Entscheidung sei „ohne unsere Mitwirkung und ohne unseren Rat gefallen“ trat er umgehend zurück. Die beiden neuen Geschäftsführer, die Ulla Berkéwicz nun bestellte, darunter ihr langjährige Lektor und Vertrauter Rainer Weiss, hat sie inzwischen längst wieder gegen andere ausgetauscht. Wie man die Sache auch dreht oder wendet: Seit ihrem Amtsantritt war dem Verlag wenig Erfolg und noch weniger Ruhe vergönnt. Doch bislang blieb ihre Position ungefährdet, zumal die Minderheitsgesellschafter Reinhart und Joachim Unseld sich offenbar nicht sehr ums Geschäft kümmerten. Seit 1999 soll der Gesellschafterbeirat, der die Bilanzen des Hauses nicht nur einsehen, sondern auch prüfen darf, nicht mehr getagt haben. Doch nun, nach dem Verkauf der Reinhart-Beteiligung ändert sich die Lage. Vielleicht ist das auch ein Grund dafür, weshalb sich Ulla Berkéwicz so heftig gegen die Übernahme der Anteile durch Barlach und Grossner wehrt. Wie weit ihre juristischen Möglichkeiten reichen, den Verkauf anzufechten, ist jedoch offen: In der jüngsten Verlagsmitteilung ist entgegen früherer Ankündigungen nicht mehr von einer Klage gegen die Transaktion die Rede, sondern nur von einem „Fragekatalog“, den Andreas Reinhart beantworten soll. Zusammen sind die Minderheitsgesellschafter zu 49 Prozent an Suhrkamp und zu 45 Prozent an der „Verlagsleitung GmbH“ beteiligt. Im Beirat der GmbH sollen die Interessen von Barlach und Grossner künftig durch den anerkannten Verlagsfachmann Arnulf Conradi vertreten werden. Auch wenn Ulla Berkéwicz ihren Suhrkamp-Verlag jetzt noch zur uneinnehmbaren „Festung“ erklärt, dürfte es ihr schwer fallen, solchen fast gleichstarken Partner auf Dauer jede Kooperation und vor allem die ihnen zustehende Bilanzprüfung zu verweigern. Allerdings hat sie sich in solchen Fragen oft als, sagen wir, eigensinnig und wenig diplomatisch erwiesen. Aber auch Barlach und Grossner scheinen nicht gerade um eine Deeskalation bemüht und setzen auf den groben Klotz ihrer Zurückweisung als Anteilseigner den groben Keil einer Rücktrittsforderung an die Adresse der amtierenden Geschäftsführerin. Kann es sein, dass sie öffentlich kräftig Geschirr zerschlagen, um Druck auf Suhrkamp aufzubauen und ihre Beteiligung bald mit Gewinn an Ulla Berkéwicz weiterverkaufen zu können? Ein Dauerkonflikt zwischen den Eigentümern dürfte allerdings für den Verlag die schlechteste aller Möglichkeiten sein. Der muss sich endlich wieder um Schriftsteller kümmern, statt um interne Streitigkeiten. Längst hat seine Ausstrahlungskraft stark abgenommen. Seit Ulla Berkéwiczs Machtübernahme haben der Nobelpreisträger Imre Kertész, der Erfolgsgarant Martin Walser und einer der großen Hoffnungsträger der deutschen Literatur, Daniel Kehlmann, Suhrkamp verlassen. Dazu ungezählte weniger bekannte Autoren. Falls es dem Verlag nicht gelingt, das Vertrauen in seine Stabilität und Leistungsfähigkeit wiederherzustellen, kann aus der nach Unselds Tod unvermeidlichen Krise eine lebensbedrohliche werden