Der großartige amerikanische Romancier Don DeLillo wird 70
Dieser Mann ist nicht nur ein Schrift-, sondern auch ein Fallensteller. Seine Bücher sind wie Schlingen, in die der Leser tappt. Sie beginnen harmlos, aber Satz für Satz zieht der Strick sich zu. Am Ende sitzt der Leser da, gefesselt, gebannt und Don DeLillo hetzt ihm alle Schrecken der Zeit auf den Hals. Angenehm ist das nicht. Aber es ist brillant, wirkungsvoll und vor allem verunsichernd. Denn man wird das fatale Gefühl nicht los, als hätte dieser Autor noch seine schwärzesten Sätze mit einem Lächeln auf den Lippen geschrieben. So als wollte er sagen: Regt euch doch nicht auf, das hier ist nur ein Buch – in Wahrheit ist alles noch viel schlimmer. Lange war DeLillo ein Tipp für Insider, ein Schriftsteller, der von anderen Schriftstellern bewundert und kopiert wurde. Er galt als „Chef-Schamane“ der Literaturszene New Yorks. Doch die Leser wollten zunächst wenig von ihm wissen. Das änderte sich, als 1984 sein Roman „Weißes Rauschen“ erschien. Selten ist so klug, so witzig und auch so giftig über Amerikaner und ihren Alltag geschrieben worden, über ihre Vorliebe für Fast Food und Psychiater, für schnelle Scheidungen und wohltemperierte Supermärkte. Das Buch beginnt wie ein heiterer Familienroman: ein kluger Vater, eine patente Mutter, ein paar unternehmungslustige Sprösslinge im Vorstadt-Häuschen. Aber dann wird das laue Leben mit einer veritablen Umweltkatastrophe konfrontiert – und plötzlich sind es die Kinder, die den Eltern jede Illusion rauben. Gnadenlos reißen sie die Fassade ein, mit der sich Mom und Dad um böse Wahrheiten, um Angst und Tod herumzudrücken versuchen und schließlich endet, was als Idyll begann, in einem lustvoll verübten Mord. Einer der größten Erfolge DeLillos war „Libra“ (1988), ein halb dokumentarischer, halb fiktiver Roman über den Mord an John F. Kennedy. Die Neigung der amerikanischen Gesellschaft zur Gewalt, die Unzahl von Amokschützen und Attentätern in ihrer Geschichte ist eines der Lebensthemen DeLillos. Zudem führt er in diesem Roman vor Augen, was es heißt, sich in Zeiten der Über- und Desinformation durch moderne Massenmedien und Geheimdienste auf die Suche nach so etwas Fragilem wie der Wahrheit zu machen: Obwohl der Tod Kennedys von Dutzenden von Zeugen beobachtet, akustisch aufgezeichnet und sogar im Film festgehalten wurde, entschwand die Tat schließlich in einem undurchdringlichen Dunkel endloser Fragen und Spekulationen. In „Mao II“ (1991) und dem vielleicht etwas überambitionierten Roman „Unterwelt“ (1997) spürte DeLillo schon lange vor den Anschlägen vom 11.September dem Zusammenhang zwischen dem Terror und der Bilderbesessenheit unserer Zeit nach. Es sind literarische Wunderwerke der Präzision und der Mehrdeutigkeit zugleich. Wer will, kann sie als Polit-Thriller, als Künstler- oder auch als Gesellschaftsromane des Medienzeitalters lesen. „Cosmopolis“ (2004), sein jüngstes Buch, ist eine wunderbare Satire auf die erfahrungslosen Stars des jüngst verflossenen Börsenbooms, die Millionen scheffelten und deren tiefste emotionale Bindung ihrem Laptop galt. DeLillo ist zweifellos einer der Meister des politischen Romans unserer Epoche. Vor allem aber ist er ein begnadeter Erzähler. Er verliert sich nicht in abstrakten Ideen, seine Sprache bleibt immer sinnlich und konkret. Nur wenige Worte genügen ihm, um komplexe Szenen oder differenzierte Charaktere vor den Augen des Lesers lebendig werden zu lassen. Wenn er über seine Heimat New York schreibt, glaubt man, die Stadt förmlich hören, riechen, ja schmecken zu können. Die strenge Architektur der Romane DeLillos, ihre genau kalkulierten inneren Parallelen und Symmetrien zeugen von einem Kunstverstand, der die Schrecken der Gegenwart nicht verharmlost, sondern in eine Form bringen und also fassbar machen will. Einer chaotischen Welt hält Don DeLillo seine perfekt gebauten Romane entgegen. „In der Antike“, schrieb er einmal, „inszenierten die Menschen Scheinschlachten, um den Stürmen der Natur etwas entgegenzusetzen und ihre Angst vor den Göttern zu verringern, die sich im Himmel bekriegen.“ Don DeLillos Romane zählen zu den besten Scheinschlachten, die in den letzten Jahren literarisch geschlagen wurden.
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