„Das zerbrechliche Glück“

Eberhard Straub über die Wandlungen der Ehe zwischen Ideal und Wirklichkeit

Vielleicht sollte man die romantische Liebesehe als eine Art modernes Gesamtkunstwerk betrachten. Denn zu den Grundzügen der modernen Kunst gehört ihr Wunsch, die Grenze zwischen Kunst und Leben zu überschreiten, also die künstlerischen Ideale im Diesseits Wirklichkeit werden zu lassen. Und wenn sich die Natur des Menschen den Vorgaben der Künstler nicht fügen will, dann gilt das in den Augen der Künstler noch allemal als grobe Sünde der Menschen. Das Ideal der romantischen Liebe und die Sehnsucht, sie zu erleben, hat es wohl zu allen Zeiten gegeben. Doch erst die beginnende Moderne ist auf die gesamtkünstlerische Idee verfallen, romantische Liebe und lebenslange Ehe zu verknüpfen und zu einer gesellschaftlich weithin verbindlichen Zielvorstellung zu machen. Womit der Ehe enorme Verantwortung zufällt: In ihr soll sich nicht nur die romantische Liebe realisieren – und das möglichst für die Dauer des ganzen Lebens. Sie ist zudem zuständig für die Befriedigung sämtlicher sexueller Leidenschaften beider Partner und Grundlage für die materielle Absicherung der Familie. Das Traumbild Liebe wird so verschmolzen mit den sehr irdischen Interessen an Sex, an Geld und an der Fürsorge für den Nachwuchs. Natürlich ist es großartig, wenn ein Paar all dies harmonisch in Balance zu halten versteht. Es gibt Beispiele dafür. Andererseits sollte sich niemand wundern, wenn die Institution Liebesehe, die derart unterschiedlichen Ansprüchen genügen muß, unter ihren gläubigen Anhängern im Allgemeinen eher für Verdruß als für Freude sorgt. Zumal selbst die kameradschaftlichen Gefühle, die sich zwischen Ehepartnern nach dem Abkühlen ihrer anfänglichen emotionalen und sexuellen Euphorien hoffentlich einstellen, vor dem Hintergrund des romantischen Ideals nicht als erstaunlicher Triumph der Zuneigung zweier Menschen gelten, sondern nur als die zweitbeste Lösung und letztlich also als halbe Niederlage. Die Liebesehe mit ihrem Unendlichkeitsanspruch hat sich erst seit zwei- bis dreihundert Jahren als Sehnsuchtsziel in den Herzen und Köpfen des Abendlandes festgesetzt. In den Jahrhunderten zuvor gab es zahlreiche andere Modelle für das Zusammenleben der Geschlechter, die sich durchaus bewährten, aber selbstverständlich ebenfalls nicht ohne Nachteile waren. Der Historiker Eberhard Straub stellt sie jetzt in seinem ebenso klugen wie elegant geschriebenen Essay „Das zerbrechliche Glück“ vor. Er konzentriert sich dabei ausschließlich auf die europäische Geschichte. Die Ehe zwischen einem Mann und mehreren Frauen, wie sie nicht nur die islamische Kultur kennt, kommt bei ihm genauso wenig vor wie andere Ehemodelle afrikanischer oder asiatischer Herkunft. Straubs historisches Panorama der abendländischen Liebesverhältnisse führt noch einmal vor Augen, wie eng die Entdeckung romantischer Empfindungen verbunden ist mit der zunehmenden Individualisierung – und wie eng diese wiederum gebunden ist an eine Verbesserung der materiellen Lebensbedingungen. Die Idee, daß intime Gefühle zweier Menschen irgendeine stabile Entsprechung in der realen Welt finden sollten, hatte bis in die frühe Neuzeit hinein schon aus ganz handfesten Gründen wenige Realisierungschancen. Ehepaare waren über Jahrhunderte hinweg vor allem Hausvater und Hausfrau, die mit Kindern, Verwandten, Knechten, Mägden und anderem Personal auf so engem Raum zusammenlebten, daß für innige Zweisamkeit kaum Gelegenheit blieb. Folglich wurde der Zweisamkeit eine deutlich geringere Bedeutung eingeräumt als einem funktionierenden Miteinander innerhalb des ganzen Hauses, das die Daseinsgrundlage ausmachte. Natürlich variierten die herrschenden Vorstellungen zu Liebe und Ehe je nach den wirtschaftlichen oder kulturellen Rahmenbedingungen einer Epoche. In vergleichsweise wohlhabenden Phasen des römischen Reiches etwa gewann die Frau beträchtliche Unabhängigkeit von ihrem Mann, da sie nach der Heirat rechtlich der väterlichen Gewalt zugeordnet blieb – und so ihre Mitgift und ihr Erbe der Kontrolle des Gatten entzogen war. Die Eheleute begegneten sich deshalb tendenziell auf Augenhöhe, und also spielten Zuneigung und Wohlwollen zwischen ihnen eine spürbare Rolle. Im Zeitalter der Reformation dagegen wurde aus religiösen Gründen den Gefühlen das geringste Gewicht bei der Gattenwahl zugebilligt. Die Ehe fand ihre Würde allein in der gewissenhaften Erfüllung der Haushaltspflichten. Sinnlichkeit galt Calvinisten und Pietisten als Sünde, und also hatten Söhne und Töchter denjenigen Partner zu heiraten, den die Väter für sie auswählten, denn ihre Entscheidung galt als von Gott erleuchtet. Von all dem ließ sich der Adel jedoch nicht daran hindern, wie schon in den Jahrhunderten zuvor, Heiratspolitik in erster Linie nach strategischen Interessen und genealogischen Zweckmäßigkeiten zu betreiben. Doch nicht nur die romantischen Gefühle, sondern auch die Sexualität hatte in der Ehe über lange Zeit hinweg keinen hohen Stellenwert. Den Frauen wurden ohnehin alle heftigen sexuellen Bedürfnisse abgesprochen. Folglich galt es durchaus als vernünftig, daß ein Ehemann nur selten mit der eigenen Frau schlief, um bei ihr gar nicht erst verwerfliche Leidenschaften zu wecken. Wenn sich Männer in Griechenland oder Rom statt dessen mit Sklavinnen vergnügten, oder später dann Adlige mit Mätressen oder Bürger im Bordell, war das kein Skandal, sondern alltäglich, schlimmstenfalls wurde es als Kavaliersdelikt betrachtet. Erst der zunehmende Wohlstand und die Verbesserung der Wohnverhältnisse, die den Rückzug in eine dem intimen Glück gewidmete Privatsphäre ermöglichten, bereiten dann dem Siegeszug der Liebesehe den Boden. Empfindsamkeit und Individualisierung, die aus dem immer weiter sich säkularisierenden Christentum hervorgingen, trieben diesen Siegeszug weiter voran – und beides scheint ihn heute paradoxerweise zu stoppen. Denn daß eine funktionierende Ehe vor allem Kompromißfähigkeit braucht, liegt auf der Hand. Doch je kompromißloser die eigene Empfindsamkeit und Individualität gelebt werden, desto größer das Risiko für die Havarie der Liebesehe. Aber selbst ihr massenhaftes Scheitern heute ändert wenig daran, daß sie ein alle Zweifel überglänzendes Wunschbild bleibt.

Eberhard Straub: „Das zerbrechliche Glück“. Liebe und Ehe im Wandel der Zeit Verlag wjs, Berlin 2005 145 Seiten, 16,00 €

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