Die Sache mit den Baströckchen

André Heller meint es gut mit einem Kontinent und zeigt in Frankfurt sein Spektakel „Afrika! Afrika!“ 

Hat es eigentlich Sinn, Artisten nach Hautfarben zu sortieren? Also, braune zu braunen, gelbe zu gelben, schwarze zu schwarzen? Offen gestanden, ich bin mir nicht sicher. André Heller macht das nun schon geraume Zeit und augenscheinlich erfolgreich. Aus Indien und China, Nord- und Südamerika, Sinti und Roma hat er schon Zirkus-, Varieté- oder andere Shows gemacht. Nun ist Afrika dran, oder besser: „Afrika! Afrika!“ wie Hellers neues, jetzt in Frankfurt erstmals vorgezeigtes Spektakel benannt ist, um ihm schon im Titel so den richtigen Ausrufezeichen-Schwung zu geben. Und Schwung hat es, soviel ist sicher. Die Live-Musik, die Tänzer, die Masken, das Tempo, der echte Schweiß der Artisten! Für mich ist das immer wieder das Sympathischste an Hellers diversen Darbietungen. Andere höchstgelobte Größen des Showbiz wuchten zehn Meter hohe King-Kong-Gorillas aus purer Software auf die Leinwand, Saurier, Sternenzerstörer oder komplette Klimakatastrophen. Heller dagegen zeigt einfach Menschen vor, Menschen, die etwas Besonderes können. Dazu hat er ein paar Tricks, mit denen er diese Leute so in Szene setzt, daß selbst ein sauriergewohntes Publikum noch einmal bereit ist, zu starren, zu staunen und sich zu freuen. Dieser angolanische Schlangenmensch Makaya Dimbelolo zum Beispiel, genannt Huit Huit, zwangt sich durch einen Tennisschläger. Durch einen normalgroßen Tennisschläger! Unglaublich! Dickson Oppong von der Elfenbeinküste kann nicht nur sieben kreisende Schüsseln gleichzeitig balancieren, sondern dazu noch größere Mengen Wasser in seinem Körper speichern und wie ein Springbrunnen kristallklar hervorsprudeln lassen. Irre! Mary Romulad Materego und Mariam Juma Msenmakweli lassen nur mit ihren Füßen zwei Tische minutenlang durch die Luft wirbeln. Wahnsinn! Und Lunga Nokulunga Buthelezi aus Südafrika kann ihre Gliedmaßen gegen alle anatomischen Gesetze derart verbiegen und verknoten, daß einen blankes Entsetzen packt und Heller sie lieber zusammen mit eine Sängerin in die Arena schickt, die gefühlvolles Liedgut anstimmt, damit die Leibesübungen nicht gar so monströs wirken. Danke! Sicher, all das macht Heller exzellent. Doch der quasi-ethnologische Anspruch, mit dem er sich gelegentlich schmückt, kann einem schon kräftig aufstoßen. Diesmal erzählt er allen, die ihm zuhören, er habe für „Afrika! Afrika!“ ganze „Teams von Mitarbeitern“ kreuz und quer durch den Kontinent geschickt, damit sie dort nach Show-Begabungen Ausschau halten. Nicht wenige seiner Artisten sind aber gut eingeführte Profis auf dem weltweiten Schaustellermarkt. Wer Hellers Besetzungsliste in die Suchmaschinen des Internet füttert, hat schnell den Eindruck, ein Gutteil davon ließe sich weitaus bequemer bei den branchenüblichen Varieté-Agenten abhaken als auf ausgedehnten Talent-Safaris. Aber André Heller will seinen Zuschauern eben mehr verkaufen als nur ein Zirkus-Vergnügen. Er bietet ihnen dazu noch eine Art kulturpolitisches Statement von geradewegs interkontinentalem Zuschnitt: Das elende, kriegszerrissene, seuchengeplagte Afrika einen Abend lang als „Sonnenkontinent“, von dessen Lebenslust wir Weiße uns eine Scheibe abschneiden sollten. Für dieses Ziel jedoch muß er die Artisten nach ihren Hautfarben gut sortieren und lädt diesmal eben nur die ein, die auch nach Afrika aussehen, damit sich beim Publikum ja das richtige Afrika-Feeling einstellt. Damit bekommt seine Show aber einen spürbaren Stich ins Disneyhafte. Die meisten Nummern haben nämlich bei näherem Hinsehen herzlich wenig mit Afrika zu tun. Gut, die Musik und die Tänze sorgen für afrikanische Grundstimmung, Ansonsten aber präsentiert auch Heller keine Négritude der Zirkuskunst. Wenn sich jemand durch einen Tennisschläger zwängt, ist das nichts typisch Afrikanisches. Also wird die Nummer von Heller afrikanisch dekoriert, indem er rechts und links hinter den Schlangenmenschen malerische Maskenträger plaziert und auch sonst nicht mit Tribal-Mustern auf den Kostümen spart. Man sieht ihn förmlich vor sich, während an den Ausstattungsdetails seines Spektakels gefeilt wird. Wie weit muß er gehen, damit auch noch der letzte Zuschauer kapiert, wie afrikanisch das alles gemeint ist? Und wie weit darf er gehen, bevor er rettungslos in abgefingerten Klischees versackt? Keine einfache Entscheidung. Nehmen wir zum Beispiel die Sache mit den Baströckchen. Kann er seinen Tänzern heute noch Baströckchen anziehen? Oder wäre das ein wenig zu dick aufgetragen? Vor allem aber: Wäre es politisch korrekt? Kann er seine Show noch als Fanal für die kulturelle Emanzipation Afrikas anpreisen, wenn er seine schwarzen Leute vor weißem Publikum in Baströckchen auf die Bühne schickt? Um ehrlich zu sein, daß sich André Heller um diese politisch korrekten Bedenken einen Teufel schert und kaltschnäuzig genug ist, seine Truppe selbstverständlich in Baströcken tanzen zu lassen, nötigt mir schon wieder Respekt ab. Und der Erfolg gibt ihm ganz offensichtlich recht. Wer, wie Heller, immerhin einen ganzen Euro pro Eintrittskarte für Afrika spendet, muß es einfach von Herzen gut meinen mit diesem Kontinent. Wer wollte daran zweifeln?

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