Warum es so schwierig ist, Dynastien zu gründen. Ein Sammelband
Dies ist ein kluges Buch, das von falschen Voraussetzungen ausgeht und zu richtigen Resultaten kommt. Die Familie, behauptet Volker Reinhardt, werde heute als der maßgebliche Faktor betrachtet, der über das Leben, das Schicksal, die Karriere eines Menschen entscheide: „Der Glaube der siebziger Jahre, daß Erziehung und Milieu den Menschen ausmachen, ist tot – es lebe das Gen. Daß der Einzelne das, was er ist, in hohem Maße seinen Eltern verdankt bzw. vorzuwerfen hat, diese Überzeugung prägt den Zeitgeist des frühen 21. Jahrhunderts wie kaum eine andere.“ Es lägen also, schlußfolgert Reinhardt, hervorragende Ausgangsbedingungen dafür vor, Dynastien zu bilden – wie die zweite Präsidentschaft der Familie Bush in Amerika oder das Comeback des Hauses Sachsen-Coburg-Gotha in Bulgarien belegten. Und um die Bedingungen, Konsequenzen und Probleme des dynastischen Lebensverständnisses zu veranschaulichen, hat er einen Band zusammengestellt, in dem Aufstieg und Fall wichtiger deutscher Familien von kundigen Historikern nachgezeichnet wird: Das Buch umfaßt zwölf Porträts unter anderem der Familien Hohenzollern und Wittelsbach, Thyssen und Krupp, Mommsen und Warburg, Mann und Wagner. Falsch scheint an diesen Überlegungen zu sein, daß von dem nachweislich hohen Einfluß der Eltern auf Anlagen und Bildung eines Kindes ohne Umschweife auf eine fortdauernd hohe Bedeutung von generationsübergreifenden Dynastien geschlossen wird. Nachdem das Schicksal Europas über Jahrhunderte hinweg in den Händen weniger Adelshäuser gelegen hatte, wurden diese nach den diversen bürgerlichen Revolutionen durch Leistungseliten abgelöst. Natürlich können unter diesen radikal veränderten gesellschaftlichen Ausgangsbedingungen dennoch Dynastien entstehen – eben als Leistungsdynastien. Doch erweisen sich diese nüchtern betrachtet als so zerbrechlich und durch die Konkurrenz anderer Leistungsträger gefährdet, daß es wenig sinnvoll erscheint, sie als Dynastien zu bezeichnen. Wie klug das Buch dennoch ist, zeigt sich daran, daß es die falschen Voraussetzungen, von denen es ausgeht, selbst gründlich widerlegt. Werner Plumpe und Jörg Lesczenski führen am Beispiel der Familie Thyssen vor, wie fragil das Fundament geworden ist, auf dem Dynastien heute ruhen. Schon der Familienverbund gehört mittlerweile, das belegen die rasch steigende Zahlen der Scheidungen und Single-Haushalte, zu den wenig verläßlichen Lebensformen. Zudem führen wachsende Individualisierung, lange Ausbildungszeiten und der beschleunigte soziale Wandel zu immer brisanterem Konfliktstoff zwischen den Generationen. Wer heute eine Dynastie begründen möchte, kann sich keineswegs sicher sein, daß die Kinder dabei mitspielen. Wie das Beispiel Thyssen demonstriert, ist der Aufbau eines mächtigen Familienunternehmens bereits so zeitraubend, daß die Familie ihren Patriarchen kaum noch zu sehen bekommt – und der weitgehend vaterlos aufgewachsene Nachwuchs später verständlicherweise nur wenig Lust verspürt, ihm zuliebe in seine Fußstapfen zu treten. Einfluß und Ehrgeiz der Eltern muß sich heute zwangsläufig darauf beschränken, den Kindern eine möglichst gute Ausbildung zu verschaffen. Sie darüber hinaus auf gewisse Familientraditionen festlegen zu wollen, ist kaum erfolgversprechend. Doch selbst falls das gelingt, zwingt die rasche Folge gesellschaftlicher Umbrüche jede Generation dazu, für sich neu anzufangen. Nehmen wir als Beispiel die Politikerfamilie von Weizsäcker: Wenn der Großvater Karl Hugo Ministerpräsident des Königreiches Württemberg war, der Vater Ernst Staatssekretär unter Hitler wurde, Richard von Weizsäcker als CDU-Mitglied zum Bundespräsidenten avancierte und sein Neffe Ulrich heute als SPD-Abgeordneter im Bundestag sitzt – kann man das eine Dynastie nennen? Wäre es nicht angemessener, statt dessen von einer sehr leistungsbewußten und -bereiten Familie mit ausgeprägten politischen Leidenschaften zu sprechen? Und daß in einem Elternhaus, in dem starker Leistungswille vorgelebt wird, nicht selten auch leistungswilliger Nachkommen heranwachsen, ist nicht so überraschend.
Volker Reinhardt (Hg.): „Deutsche Familien“ C. H. Beck, München 2005 384 Seiten, 24,90 €