Georg Büchners Briefe in der Sparkasse

Eine Ausstellung

Goddelau ist ein ordentliches Dorf. Die Kirche steht in der Mitte, gleich daneben die Sparkasse. Die Sparkasse ist wie neu, ganz, ganz modern, mit viel Glas, Metall, weißen Wände, hellem Holz, rechten Winkeln. Ein Sparkasse wie aus einem Fertighauskatalog, so werden sie jetzt überall gebaut in Deutschland. Wir sind, will die Sparkasse den Leuten wohl damit sagen, wir sind nicht alt oder verstaubt, nein, wir sind jung, klar, helle, uns könnt ihr euer Geld bringen, wir sind hip, wir wissen, was man mit Geld macht. Aber das stimmt nicht. Die Sparkasse von Goddelau ist nicht jung, sie ist alt, sie hat Geschichte. Vor 180 Jahren wurde sie gegründet, und ist, wie alle Sparkassen, dazu verpflichtet, nicht allein zu privatem Nutzen, sondern gemeinnützig zu wirtschaften. Einer der Gründer dieser gemeinnützigen Bank war ein gewisser Ludwig Büchner. Und der hatte einen Neffen, der gerade zwei Steinwürfe von der Sparkasse entfernt geboren wurde. Georg hieß dieser Neffe, ein kluger, witziger Bursche, dem wie seinem Onkel der Nutzen der Allgemeinheit am Herzen lag, und der zu echten Haß begabt war auf Leute, die nur den eigenen Nutzen kannten. Inzwischen ist dieser Georg ein Klassiker und weltberühmt. Er versuchte die Menschen aufzuwiegeln gegen den Landeherren, mußte fliehen, wurde steckbrieflich gesucht, schrieb ein paar der schönsten Kapitel deutscher Literatur und starb an Typhus gerade 23 Jahre und vier Monate alt. Nur wenige seiner Manuskripte sind erhalten, vieles ist verschollen, verloren, vernichtet. Vor allem die Briefe, die er schrieb, um seinem Herzog das eigene Volk auf den Hals zu hetzen, mußten sofort verbrannt werden, niemand durfte sich mit ihnen erwischen lassen. Gerade 13 Briefe gibt es noch und fünf davon kann man jetzt zum ersten Mal öffentlich anschauen. Die Sparkasse hat sie gekauft und zeigt sie her in ihrer Filiale in Goddelau. Da liegen sie unter Glas auf dunklem Tuch, blaß, abgestoßen, mit Rissen und Siegellack-Resten, 170 Jahre alt, inmitten der neuen, frischen, glattgebügelten Sparkassenwelt. Hier der Geldautomat, dort der Kontoauszugdrucker und da Büchners Haß: „Die politischen Verhältnisse könnten mich rasend machen. Das arme Volk schleppt geduldig den Karren, worauf die Fürsten und Liberalen ihre Affenkomödie spielen. Ich bete jeden Abend zum Hanf und zu den Laternen.“ Und beim Begriff Hanf dachte der Student Georg Büchner definitiv nicht an Marihuana. Geschichte ist so. Vor 170 Jahren war Georg Büchner Demokrat und wurde für seine Überzeugungen zum Revolutionär. Heute ehren ihn in der Goddelauer Sparkasse die Politiker des Landes, sie sind Demokraten und haben das Glück, daß sie für ihre Überzeugungen weder zum Revolutionär werden noch zu den Laternen beten mußten. So ist Geschichte. Jeder weiß das. Die besten Sachen sind oft nicht neu und frisch und glattgebügelt. Nein, die besten Sachen haben Vergangenheit und nicht selten sind sie wie Büchners Briefe alt und blaß, mit Rissen und Resten. Mit Traditionen. Das wäre mal was, eine Sparkasse ohne Glas, Metall, helles Holz, weiße Wände, rechte Winkel, wo die Leute ihr Geld gern hinbringen, weil da alles so schön verstaubt ist.

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