Ein Gespräch mit Josef Haslinger über die Anschläge vom 11. September, symbolischer Kastration und gute Fernsehbilder sowie den Wunsch, den Tiger aus dem Käfig zu locken
Der Schriftsteller Josef Haslinger hat in seinem 1995 erschienenen Bestseller „Opernball“ einen terroristischen Anschlag auf den Wiener Opernball beschrieben, bei dem die politische Elite Österreichs ausgelöscht wird, um das Land zu destabilisieren. In wesentlichen Eckpunkten nimmt der Roman den Anschlag von New York und Washington vorweg. Mit Haslinger sprach Uwe Wittstock
Uwe Wittstock: Was wir jetzt in Amerika erlebt haben, ist dem Szenario Ihres Romans „Opernball“ ähnlich, auch wenn in der Realität die Wirtschaftszentrale des Landes zerstört und nicht die politische Elite ermordet wurde. Mit welchen Augen betrachten ein Schriftsteller eine Realität, die seinem Roman in so beängstigender Weise nachzueifern scheint?
Josef Haslinger: Meine Empfindungen sind wahrscheinlich nicht anders, als die Empfindungen der meisten anderen Beobachter. Andererseits: Was jetzt geschehen ist, ist wohl in den Köpfen vieler Menschen vorausgedacht worden, die sich, aus welchen Gründen auch immer, als Feinde der USA betrachten. Für einen solchen Terror-Angriff müssen drei Faktoren zusammenkommen, die ich in meinem Roman „Opernball“ zusammengebracht habe: Religiöser Fanatismus, politischer Fanatismus und die Möglichkeit zur großen medialen Inszenierung. Terror solchen Ausmaßes braucht immer den politischen Verein der die Richtung vorgibt, es braucht das Religiöse, damit sich die Selbstmord-Attentäter als Märtyrer betrachten können. Und drittens braucht es den zynischen Realitätssinn für das Platzieren des blutigen „Events“.
Wittstock: War es schwer, sich in den Charakter eines Terroristen hineinzudenken?
Haslinger: Nein, die Entwicklung der Technologie gibt dem Einzelnen eine ungeheure Macht in die Hand. Ein sechzehnjähriger Hacker kann heutzutage, wenn er ein wenig clever ist, ganze Computersysteme lahm legen, er kann sich mit Weltkonzernen anlegen. Nicht auf Dauer, aber zumindest einen Anschlag kann er ausführen. Um so größere Schäden können kleine fanatische Gruppen verursachen. Besondere Fähigkeiten sind dafür gar nicht mehr nötig. Wittstock: Der Terror hat seine eigene Symbolsprache entwickelt. Es ist kein Zufall, dass gerade das World Trade Center und das Pentagon als Ziele ausgewählt wurden. Haslinger: Mit dem World Trade Center sollte der Stolz einer Nation getroffen werden Die beiden Türme an der Südspitze Manhattans waren der wirtschaftliche Stolz Amerikas. Jeder, der einmal in New York war weiß, was da in die Luft geragte. Die Türme verkörperten den Reichtum, die Wirtschaftsmacht Amerikas. In so fern steht der symbolische Charakter des Anschlags unbedingt im Vordergrund.
Wittstock: Bildsprachlich ging es bei der Zerstörung des World Trade Centers um eine Entmannung des Wirtschaftsriesen USA?
Haslinger: So ist es. Es ist der Versuch einer symbolischen Kastration. Der religiöse Fanatismus hat die von ihm selbst zum Teufel erklärten USA am Schwanz gepackt. Wittstock: Auch in Ihrem Roman spielt ja diese Medieninszenierung des terroristischen Anschlags eine große Rolle. Warum ist es den Terroristen heute so wichtig, gute Fernsehbilder ihrer Anschläge zu liefern? Haslinger: Weil die Fernsehbilder gleichsam die Realität sind, mit der sie operieren. Würde über einen Anschlag nur im Nachhinein berichtet, wäre er vorüber, wenn die Nachricht die Menschen erreicht. Der Terrorist hätte gewissermaßen nur die Vergangenheit angegriffen, also eine Art Schattenrealität. Die Verunsicherung der Menschen ist viel größer, wenn ihre Gegenwart angegriffen wird. Das will der Terrorist erreichen. Und was über die Fernsehschirme flimmert, wird heute als Realität wahrgenommen. Das ist gleichsam internationale Realität. Das Fernsehen bestimmt das kollektive Bewusstsein.
Wittstock: In Ihrem Roman haben die Terroristen Erfolg, es gelingt ihnen, den Staat Österreich weitgehend zu destabilisieren und es kommt zu einer politischen Wende. Sie haben ja auch lange in den USA gelebt. Welche Wirkung dieses Anschlages erwarten Sie?
Haslinger: Es gibt in den USA einen unglückseligen Mechanismus, dem kein amerikanischer Präsident entkommen kann. Auch wenn es ein demokratischer und liberaler Präsident wäre, würde er genau so reagieren wie George W. Bush jetzt reagieren wird. Er muss den Seinen beweisen, dass er ein starker Präsident ist und sich nichts gefallen lässt. Das heißt, zu erwarten ist eine Gewalt-Eskalation. Doch das ist meiner Ansicht nach der falsche Weg. Es ist kein Weg der einem sinnvollen Kalkül folgt, aber es ist der Weg, der gegangen werden wird. Vielleicht ist gerade dies auch das Ziel der Wahnsinnigen, die diesen Anschlag geplant haben. Vielleicht wollten sie eine solche Eskalation herbeiführen, wollten sozusagen den Tiger aus dem Käfig locken. Wittstock: Sie vermuten, ein militärischer Vergeltungsschlag Amerikas war bereits von Anfang an Teil des terroristischen Kalküls? Haslinger: Wenn jemand solche Anschläge vorbereiten und durchführen kann, denkt er auch über deren Ausgang nach. So etwas plant man ja nicht in zwei Wochen. Das bedarf einer ganz gründlichen logistischen und psychologischen Vorbereitung. Und wer in der Lage ist, ein solches Szenario vorzubereiten, ist auch in der Lage, ein paar Gedanken an die wahrscheinlichen Folgen seiner Handlungen zu verwenden. Ich denke schon, dass es hier um eine wirkliche Herausforderung der Weltmacht USA geht. Man will diese Weltmacht entblößen, will, dass sie tatsächlich so aggressiv auftritt, wie sie den Terroristen in ihren Augen erscheint.
Wittstock: Es gibt bislang kein glaubwürdiges Bekenntnis zum Anschlag. Das ist ungewöhnlich, sonst schmücken sich Terrororganisationen gern mit ihren Untaten.
Haslinger: Natürlich ist das für diejenigen, die – in der Sprache des Terrorismus – dieses „Martyrium“ auf sich genommen haben, ein übles Spiel. Sie gehen sehenden Auges in den Tod, und dann gibt es niemanden, der dazu steht. Aber ich denke, die Verantwortlichen in Amerika verstehen die Botschaft auch ohne Bekenntnis der Täter. Ein solcher Anschlag kommt nicht aus dem Nichts. So ein Anschlag hat eine lange Vorgeschichte der Eskalation und der psychologischen Kriegsführung. In dem Fall natürlich auch der massenpsychologischen Kriegführung. Wir alle sind über die Medien in diese massenpsychologische Kriegführung einbezogen. Deshalb wird die Botschaft, die die Massen jetzt instinktiv wahrnehmen, auch die sein, die die Täter beabsichtigten.