Nick Hornbys sehr komischer, sehr ernster Roman zeigt, wie schwierig es ist, glücklich zu sein
Also, ich beobachte das immer häufiger: Menschen, denen es eigentlich gut geht, geht es oft unheimlich schlecht. Oder anders gesagt, Leute, die wahnsinnig viel Glück haben, sind nicht selten ganz schön unglücklich. Zugegeben, eine sensationelle Entdeckung ist das nicht. Eher ein alltäglicher Fall. Während ja in den kirchenmausarmen Ländern viele Menschen von sich sagen, ihnen fehle zwar selbst das Notwendigste, aber sie genössen jeden Tag, trifft man in unseren Breiten, in Europa und Nordamerika immer öfter Leute, die alles haben, Familie, Freunde, Arbeit, Gesundheit, Geld – und denen nichts mehr Spaß macht. Auf größere Entfernung merkt man es ihnen nicht gleich an, sie lachen, reden, gehen ins Kino, trinken ihren Wein oder fahren in Urlaub wie andere auch. Doch je näher man ihnen kommt, desto freudloser wird alles. Auch man selbst. Denn dieses Leiden scheint ansteckend zu sein. Beneidenswert, wer aufrichtig behaupten kann, er habe nie auch nur einen Anflug davon bei sich verspürt. Katie und David in Nick Hornbys neuem Roman können das nicht, sie sind infiziert. Sie leben im Londoner Norden, Katie ist Ärztin, David ist freier Journalist und Autor. Die beiden haben zwei gesunde Kinder, ein Haus, ein solides Auskommen, Verwandte, Freunde und manchmal sogar Zeit füreinander. Aber sie verspüren bei all dem nicht mehr das geringste Vergnügen. Woher kommt dieser Verdruss, woher dieses Unglück? Gern würde man die beiden herablassend mit mürrischen Kindern vergleichen, die unterm Weihnachtsbaum inmitten der prächtigen Geschenke sitzen und nichts mit sich anzufangen wissen. Nur zu gern würde man sie so abqualifizieren – bis man merkt, dass man schon ganz ähnliches gesagt, gefühlt, getan hat wie die beiden, und mit einem Mal wird ihre finstere Geschichte zu einer recht unangenehmen Selbstbegegnung. Dabei hat Nick Hornby keineswegs ein lahmes Trauerbuch geschrieben. Im Gegenteil, sein Roman ist flott, witzig, pointiert, es gibt viel darin, an dem man eine helle Freude haben kann, viel Kluges, viel Freches, viele amüsante Kommentare zu Mode-Quark der jüngsten Zeit. Eine schöne ironische Volte etwa verbirgt sich gleich im Titel: „How to be Good“ spielt natürlich an auf die angelsächsischen Ratgeber-Bücher, die ihren Lesern versprechen, jedes materielle oder immaterielle Lebensproblem mittels leicht erlernbarer kleiner Tricks aus der Welt zu schaffen. Doch Hornbys Roman mit Ratgeber-Titel ist zutiefst ratlos – was nicht gegen, sondern unbedingt für ihn spricht. In bester erzählerischer Tradition bietet Hornby seinen Lesern keine Lösungen, keine Patentrezepte an. Wer an die noch glaubt, sollte sie in echten „How to…“-Büchern suchen. Hornby beschränkt sich vielmehr auf das, was Sache der Schriftsteller ist: Er beschreibt psychologisch glaubwürdig die Situation seiner Figuren, er zeigt ihre Not inmitten ihres Überflusses, ihr heimliches Unglück inmitten des offenbaren Glücks – und macht zugleich spürbar, dass ein solches Wohlstands-Unglück nicht weniger schmerzt als anderes Unglück auch. Katie ist es, die den Stein ins Rollen bringt. Sie weiß nicht, was mit ihr und David nicht mehr stimmt, sie weiß nur, dass sie sich jenseits von Sticheleien und Vorwürfen kaum noch etwas zu sagen haben. Also hat sich Katie mit einem Bekannten verabredet, um mit ihm ins Bett zu gehen. Es ist ihr erster Seitensprung, und sie nimmt ihn keineswegs auf die leichte Schulter. Auf der Fahrt zum Hotel ruft sie ihren Mann an, um ihn an irgendeine häusliche Kleinigkeit zu erinnern. Doch das Gespräch entgleist, es entgleist in Richtung Wahrheit, und sie wirft David an den Kopf, dass sie nicht mehr länger mit ihm verheiratet sein möchte. Damit ist die Partie eröffnet. Was lange unter der Oberfläche schwelte, ist nun offenbar. Eine der großen Stärken von Hornby ist, wie er solche Gespräche inszeniert. Er schreibt nicht einfach Dialoge, er lässt sie zugleich von seiner Heldin kommentieren, mal sarkastisch, mal melancholisch, immer aber gescheit und empfindsam. So erreicht er dreierlei: er treibt die Handlung voran, er verschafft sich Gelegenheit, die Charakterstudie von Katie immer genauer herauszuarbeiten, und er führt vor, wie inständig, ja wie verzweifelt sich Katie darum bemüht, ihre Lebenssituation zu reflektieren, wie intensiv sie über sich und ihren Mann nachdenken, um einen Ausweg zu finden und Ehe und Glück zu retten. Denn sie und David sind vielleicht keine Genies, aber zweifelsohne intelligent genug, um die Leser nicht nur als Mitleidende, sondern auch als Mitdenkende zu fordern. Um so herber die Erkenntnis, dass Katie und David trotz Aufbietung all ihrer Sensibilität und Klugheit, letztlich keinen Ausweg finden. Die größte Schwäche des Romans, um das gleich anzuschließen, ist DJ GoodNews. Hornby kennt sich wie nur wenige andere Schriftsteller in der Pop- und Trash-Kultur der letzten Jahrzehnte aus. Er setzt diesen Wissensschatz in seinen Büchern geschickt ein, um die Alltags- und Fantasiewelt seiner Figuren mit einer Fülle von äußerst zeitgenössischen Vorlieben und Leidenschaften auszustatten, durch die sie präzise und oft fabelhaft witzig charakterisieren werden. Manchmal aber trägt Hornby seine Begeisterung über die Kuriositäten des Pop und des Trash spürbar aus der Kurve. Mit DJ GoodNews stellt er Katie und David nicht nur einen der Esoterik-Szene entstammenden Vorstadt-Guru an die Seite, der David innerhalb weniger Tage vom rabiaten Zyniker zum überzeugten Spiritualisten bekehrt. Nein, Hornby macht aus GoodNews gleich einen Wunderheiler, der gläubige Mitmenschen durch Handauflegen wahlweise von Rückenschmerzen, Neurodermitis, Rheuma oder beliebigen anderen Leiden befreien kann. Damit aber sprengt Hornby den Rahmen seiner Romanwelt, die ansonsten ganz auf Diesseitigkeit und Durchschnittserfahrungen angelegt ist. Bezeichnenderweise weiß er mit seinem modernen Schamanen, der zwischen all den gewöhnlichen Menschen seines Buchs herumstolpert, auch herzlich wenig anzufangen. Selbst Katie, die sich als Ärztin für dessen Heilerfolge interessieren müsste, nimmt die Fähigkeiten von GoodNews zu Anfang zwar verblüfft, letztlich aber schulterzuckend hin. So aber wird Hornby dem Einbruch des Wunderbaren in die mausgraue Realität – ein ehrwürdiger Topos der Literaturgeschichte – weder literarisch noch psychologisch gerecht. Doch von diesem einen unbeholfen benutzten Motiv abgesehen, erzählt Hornby seine Geschichte mit großer Präzision und Einfühlungskraft. Seine beiden Helden machen sich in ihrer Dauerkrise immer wieder Gedanken darüber, ob sie denn moralisch richtig handeln, ob sie denn – ernsthaft! – zur Verbesserung der Welt beitragen. Katie bemüht sich mit noch mehr Einsatz als zuvor um das Wohlergehen ihrer Patienten, und David versucht, Obdachlosen ein Dach über dem Kopf zu verschaffen. Fast so als glaubten die zwei, durch vorbildliches Verhalten vom Schicksal das Anrecht auf eine Portion Glück einhandeln zu können. Eine letztlich wohl sehr englische Vorstellung. Aber die beiden meinen das ernst. Sie beschließen trotz der Verletzungen, die sie sich bereits zugefügt haben und trotz der bleiernen Depression, die auf ihnen lastet, zusammen zu bleiben, weil ihre Kinder, Tom und Molly, sie zusammen brauchen. Doch im Grunde ist mit diesem Entschluss das Rätsel um ihr so wohlsituiertes Unglück nicht geklärt, sondern nur fürs erste beiseite geschoben. Katie erkennt das genau: Als David sich am Ende des Romans während eines nächtlichen Wolkenbruchs aus dem Fenster lehnen muss, um die Dachrinne zu säubern, zieht sie Resümee: David „trägt Jeans, und Tom und ich greifen jeweils in eine seiner Gesäßtaschen, um ihn festzuhalten, während Molly nutzlos aber niedlich versucht, uns zu stützen. Meine Familie, denke ich, nur das. Und dann: Ich schaffe das. Ich kann dieses Leben leben. Ich kann, ich kann. Es ist ein Funken, den ich hegen und pflegen will, das stotternde Lebenszeichen einer leeren Batterie; aber genau im falschen Moment fällt mein Blick auf den Nachthimmel hinter Dave, und ich kann sehen, dass dort draußen alles leer ist.“ Ja, okay, ich weiß, literarische Avantgarde ist das nicht. Die Mittel und Metaphern, die Nick Hornby einsetzt, sind geläufig. Aber er versteht mit ihnen umzugehen, verdammt effektvoll umzugehen. Sein Roman ist komisch und sehr, sehr ernst zugleich. Und er ist es wert, dass man ihn liest, weil er einen dazu bringt, mal wieder den Blick ins Dunkel zu richten und sich einzugestehen, dass dort draußen alles leer ist.
Nick Hornby: „How to be Good“. Roman Aus dem Englischen von Clara Drechsler und Harald Hellmann Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2001 341 S., 39,88 Mark.