Ich bin allhier

Botho Strauß, der Verächter unseres Medienbetriebs, beliefert ihn zuverlässig

Kein anderer unsrer Großschriftsteller füttert den Literaturbetrieb so zuverlässig wie der erklärte Literaturbetriebsverächter Botho Strauß. Vor 35 Jahren schrieb er sein erstes Theaterstück „Die Hypochonder“, vor 30 Jahren veröffentlichte er sein erstes Buch „Marlenes Schwester“. Seither verging kaum ein Jahr, in dem nicht mindestens ein Stück von ihm uraufgeführt oder ein, mitunter auch zwei Bücher von ihm erschienen. In diesen Tagen wird nun sowohl sein neuestes erzählerisches Werk, die Prosasammlung „Mikado“ an die Buchhandlungen ausgeliefert als auch der vierte Band seiner gesammelten Theaterarbeiten mit immerhin sechs Stücken aus den jüngstvergangenen Jahren. Aber Strauß ist nicht nur ungewöhnlich produktiver Autor, sondern darüber hinaus äußerst geschickt im Umgang mit der literarischen Öffentlichkeit. Zwar gibt er sich schon seit Jahrzehnten betont zurückhalten, tritt fast nie vor Publikum auf, meidet Radio- oder Fernsehstudios und missachtet all die Interview-Mikrophone, die ihm nur zu bereitwillig hingehalten werden. Gern wird er deshalb als der Menschenscheue, der große Reservierte, der misanthropisch Zugeknöpfte unserer Gegenwartsliteratur betrachtet. Doch Strauß hat es parallel zu seiner klug dosierten Distanziertheit immer verstanden, die intellektuellen Debatten des Landes mit neuem Brennstoff zu versorgen und im Meinungsrummel der jeweils aktuellen Literaturaffären mitzumischen – also sowohl die Rolle dessen zu übernehmen, der sich den „Regime der telekratischen Öffentlichkeit“ und dem „Gespenst des Infotainmant“ verweigert, wie andererseits eben dieser Öffentlichkeit mit präzisem Timing die Stichworte zu liefern, mit denen die ihren Diskussionstrubel weiter in Schwung hält. Sein größter Mediencoup war bislang der Essay „Anschwellender Bocksgesang“, mit dem er 1993 den deutschen Kulturbetrieb aufs Höchste erregte, denn er trug darin eine radikale Kritik an der demokratisch-kapitalistischen Ordnung des Westens von der Warte eines prononciert konservativen Denkers vor. Viele der traditionell sich als links verstehenden Intellektuellen des Landes taten Strauß daraufhin den Gefallen, ihn zur bevorzugten Zielscheibe ihres Zorns über einen allmählich spürbar werdenden kulturellen Klimawandel im damals noch recht frisch wiedervereinigten Deutschland zu machen. Peter Glotz etwa erklärte Strauß gar für „gefährlich“. Strauß fürchtete daraufhin, es werde „als Steigerung nur noch die damnatio memoriae folgen: diesen Mann hat es als Schriftsteller nie gegeben.“ Seither hat Strauß wenig Anlässe ausgelassen sich publizistisch effektvoll zu Wort zu melden. Ob er gegen Windkrafträder polemisiert („Eine schonungslosere Ausbeute der Natur lässt sich kaum denken, sie vernichtet nicht nur Lebens-, sondern auch tief reichende Erinnerungsräume“) oder ob er die Twin Towers nach dem Anschlag vom 11. September als „Schwurfinger des Geldes“ bezeichnete, die nun „abgehackt“ worden seien. Als Anfang des Jahres in den Favelas von Paris muslimische Jugendliche wochenlang randalierten, teilte er im „Spiegel“ mit, auch sein Sohn sei von jungen deutschen Türken in Berlin schon als „Christenschwein“ beschimpft worden. Und als kürzlich der Milosevic-Verteidiger Peter Handke den unter anderem für Bemühungen um Völkerverständigung ausgeschriebenen Heine Preis nicht erhalten sollte, verteidigte er Handke gegen jede Forderung nach politischer Verantwortlichkeit, denn als ein „Episteme-Schaffender (nach dem Wortgebrauch Foucaults)“ habe Handke es nicht nötig, sich für politische Irrtümer zu rechtfertigen. Es ist nicht ganz leicht, sich gegen den Eindruck zu wehren, dass bei all dem eine routinierte Medienstrategie erkennbar wird. Drei der eifrigsten Zuwortmelder des Literaturbetriebs, Martin Walser, Peter Handke und Botho Strauß, stilisieren sich zugleich zu inbrünstigen Feinden unseres täglichen Meinungsmarktes. So spielen sie seit Jahrzehnten schon mit der Öffentlichkeit und ihren Kritikern das alte Spiel „Ich bin all hier“ aus dem Märchen von „Dem Hasen und dem Igel“: Bietet sich ein Thema von einiger Brisanz, holen sie gern zu dröhnenden politischen Polemiken aus. Werden ihre Provokationen dann aber mit politischen Argumenten ebenso polemisch beantwortet, ziehen sie sich auf ihren Status als empfindsame Poeten zurück, die für die Betriebsamkeit der Medien nur Abscheu übrig haben und beklagen „unsere konsensitiv geschlossene Öffentlichkeit“ (Strauß). Der Erfolg dieser Medienstrategie ist ein doppelter: Nicht nur sorgen die von den Autoren so ausgelösten Streitfälle, Affären, Debatten, Skandale dafür, dass ihr Name weiterhin zu den meistgenannten im Literaturgeschäft zählt, ihr Marktwert also in der von ihnen so lautstark verachteten, weil nur an Prominenz und nicht an literarischer Qualität interessierten Öffentlichkeit möglichst hoch bleibt. Zum anderen verschaffen sie selbst ihren eher unpolitischen, stilleren Werken – zu denen man den jetzt erschienenen Band „Mikado“ von Strauß getrost zählen darf – zusätzliche Aufmerksamkeit. Denn nach den Regeln unseres ebenso fiebrigen wie fahrigen Medienmarktes ist es natürlich eine Aufsehen erregende Nachricht, wenn einer der notorischen politischen Polterer wie Strauß nun ein unpolitisches, unpolemisches, ein poetisches Buch geschrieben hat

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