John Updikes Roman: „Terrorist“
Geht das? Kann man nach traditionellem Muster einen psychologischen Roman über einen islamistischen Selbstmordattentäter schreiben? Also einen Roman, der in erster Linie von der Fähigkeit des Autors lebt, sich in die Seele der Hauptfigur einzufühlen? Geht das, auch wenn der Autor vom Liberalismus der westlichen Gesellschaft und von seiner christlich Herkunft so durch und durch geprägt ist wie der Amerikaner John Updike? Kann ein solches Buch den Lesern etwas über Menschen verraten, die sich von Bomben zerfetzen lassen, nur um – wie es inzwischen routinemäßig in den Nachrichten heißt – möglichst viele andere mit sich in den Tod zu reißen? Oder muss sich so ein Roman nicht unvermeidlich in kopfschüttelnder Ablehnung seines Helden erschöpfen, in polemischen Unverständnis für sein Handeln? Genauer gefragt: Worin sollte der Erkenntnisgewinn eines solchen Romans liegen? Kann ein zutiefst westlicher Erzähler glaubhaft die Motive eines antiwestlichen Fundamentalisten darstellen? Schildert er nicht vielmehr zwangsläufig seine Vorurteile über solche Motive? Oder schlimmer noch: Falls er in einer Aufwallung von kulturellem Selbsthass den Anschlag des Terroristen zu rechtfertigen versuchte – rechtfertigt er dann nicht genau betrachtet eher den eigenen Selbsthass als die tatsächlichen Antriebe gewalttätiger Islamisten? Wäre es für einen Schriftsteller nicht sinnvoller, sich diesem Thema in einem Essay zu nähern, wie es Hans Magnus Enzensberger jetzt mit „Schreckens Männer“ (Suhrkamp Verlag, 5,- €) getan hat? Kommt er den Realitäten nicht näher, wenn er die Beweggründe des Terrors mit forscherischem Interesse von außen analysiert, anstatt sie in einem psychologischen Roman aus den Erfahrungen des Täters heraus veranschaulichen und erlebbar machen zu wollen? Doch John Updike ist kein Dummkopf. Im Gegenteil, er zählt zu den größten Romanciers der Gegenwart und selbst die schwächeren Bücher, die ihm gelegentlich unterlaufen, sind immer genau durchdacht und mit so meisterhaften Passagen durchsetzt, dass es lohnt, sie zu lesen. In seinem neuen Roman „Terrorist“ nimmt er vielen der genannten Einwände von Anfang an den Wind aus den Segeln, denn sein Held Ahmed ist zwar ein Islamist, der bereit ist, im Kampf gegen den american way of life zum Selbst- und Massenmörder zu werden. Aber er kommt nicht aus einem anderen Kulturkreis, sondern ist als Sohn eines ägyptischen Vaters und einer irischstämmigen Mutter in Amerika geboren, dort aufgewachsen und darf sich also mit gleichem Recht Amerikaner nennen wie jeder andere Bürger dieses Landes auch. Damit entschärft oder – je nach Perspektive – verschärft Updike das Thema seines Romans. Der Antrieb zum Terror entsteht bei seinem Helden nicht aus einem elementaren Kulturgegensatz, nicht aus dem clash of civilizations. Der ägyptische Vater hat das Land bald wieder verlassen und Ahmed wuchs bei seiner Mutter auf, die als Krankenpflegerin und Hobbymalerin ein nicht eben bürgerliches, aber doch recht gewöhnliches amerikanisches Leben führt. Ahmed wird also nicht als Außenstehender zum Feind des westlichen Lebensstils, sondern er wendet sich als Kind Amerikas erst dem Islam und schließlich dem Islamismus zu. Von einem solchen Jungen aber trennen Updike keine himmelweiten kulturellen Differenzen. In dessen Seelenleben kann er sich als weißer Ostküsten-Amerikaner mit dem gleichen erzählerischen Recht hineinimaginieren, wie etwa in das des polnischstämmigen Una-Bombers oder eines italienischstämmigen Mafiabosses. Tatsächlich ist sein Ahmed eine überzeugende, glaubwürdige Figur geworden. Er lebt in New Jersey, in einem kleinen, abgewirtschaftet Industriestädtchen unweit von Manhattan, ist knapp 18 Jahre alt und beendet gerade die High School. Nun steht ihm die Welt offen, und da er begabter und disziplinierter ist als die meisten seiner Altersgenossen, wäre er wie prädestiniert dazu, Karriere zu machen und den amerikanischen Traum für sich wahr werden zu lassen. Doch materieller Wohlstand interessiert Ahmed nicht. Vielmehr hat er sich, seit er dreizehn ist, immer entschiedener dem Islam zugewandt. Die Motive für diese Bekehrung, die Updike unaufdringlich in die Geschichte einwebt, sind vielfältig: Da ist die Sehnsucht des vaterlos aufwachsenden Jungen nach Autorität, dazu sein pubertäres Abgrenzungsbedürfnis der eher atheistischen als christlichen Mutter gegenüber, zudem seine Neidung, soziale Minderwertigkeitsgefühle durch die Vorstellung religiöser Auserwähltheit zu kompensieren und schließlich der Wunsch, den in Straßenbanden organisierten Schwarzen und Latinos seines Alters mit einem ausgeprägt arabischen Selbstbewusstsein entgegenzutreten zu können. Zu einer Gefahr wird diese jugendliche Identitätssuche allerdings erst durch einen fanatischen Imam, der Ahmed in antiwestlichem Sinne manipuliert. Der Koran liefert dazu, so zeigt Updike, wie mache andere Heilige Schriften auch eine Menge Parolen, mit denen unerfahrenen Gläubigen eingeredet werden kann, alle Ungläubigen seien des Teufels und gehörten geradewegs in die Hölle. Dieser Imam stellt dann auch den Kontakt zu der Terror-Gruppe her, für die Ahmed einen mit Sprengstoff beladenen Lastwagen in einem der Autotunnel von New Jersey nach Manhattan in die Luft jagen soll. Dieser Teil der Geschichte könnte auch aus einem intelligenten geschriebenen, aber spannungsarmen Polit-Thriller stammen. Doch zur literarischen Gegenfigur des Imam macht Updike keinen Agenten des neuen Heimatschutzministeriums, das in diesem Roman alles in allem mehr Unheil stiften als verhindern, sondern einen alten, resignierten, jüdischen High-School-Lehrer Ahmeds. Und den Blick, den Updike seine Leser durch die Augen dieses Lehrers auf den gegenwärtigen Zustand der USA werfen lässt, ist zutiefst ernüchternd. Noch nie hat Updike, dieser große Chronist der amerikanischen Gesellschaft der letzten fünfzig Jahre, ein so kritisches Bild vom eigenen Land gemalt, noch nie hat er die hässlichen, kaltherzigen, erbärmlichen Aspekte der amerikanischen Alltagskultur so sehr in den Vordergrund gerückt wie in diesem Buch. Kurz: Updike macht es sich erzählerisch so schwer wie möglich. Er konfrontiert die engstirnige Welt der religiös vernagelten Terroristen nicht mit der glänzenden Schauseite eines mächtigen, modernen Amerikas, sondern betont bewusst die unerfreulichen Konsequenzen der westlichen Lebensweise. Und vor allem für den schmerzlichen Mangel des Westens an metaphysischer Gewissheit hat Updike, der bei all seiner Urbanität immer auch ein mit und um Gott ringender Autor war, stets eine besondere Sensibilität gehabt. Ja, er geht sogar so weit, den müden, ja lebensmüden Lehrer Ahmeds zwar nicht in die Pläne der Terroristen einwilligen, aber schließlich vor ihnen kapitulieren zu lassen – was dann doch noch für ein unerwartet spannende Finale des Buches sorgt. Sicher, manche der Dialoge zwischen Ahmed und seinem Imam, seiner Mutter, seinen Kollegen oder Schulfreunden sind zu trocken, zu programmatisch geraten. Man merkt ihnen als Leser etwas zu deutlich an, in welcher politisch-argumentativer Absicht der Autor sie geschrieben hat und ist verstimmt. Auch manche Wendung der Handlung wirkt konstruiert und wenig überzeugend. Schon deshalb wird man „Terrorist“ nicht zu den großen Updike-Roman zählen können. Aber das wie nebenbei entworfene Porträt des Milieus hoffnungsloser, seelisch wie materiell verwahrloster amerikanischer Underdogs, in dem Ahmed aufwächst, ist brillant. Und wenn er zwischendurch Ahmeds altem Lehrer eine kurze Liebesaffäre mit Ahmeds Mutter gönnt und das Bettgeflüster der beiden belauscht, dann läuft er wie immer bei solchen Themen zu großer Form auf und man spürt, was für ein grandioser Erzähler dieser John Updike ist.
John Updike: „Terrorist“. Roman Aus dem Englischen von Angela Praesent Rowohlt Verlag, Reinbek 2006. 397 Seiten, 19,90 €