Peter Rühmkorf ist tot

Kleine Erinnerung an einen Paradiesvogeldichter
Peter Rühmkorf war ein Genießer. Und hinter dieser Bereitschaft zum Genuss, hinter seiner Freude an der Schönheit und am Witz steckte keine kleine Leistung. Als vaterloser Sohn, der in Deutschlands düsteren dreißiger Jahren aufwuchs, dürfte ihm früh klar geworden sein, dass der Menschen Tage auf diesem Planeten gewöhnlich nicht mit Zuckerschlecken verbracht werden. Wäre Rühmkorf ein Dichter der Schwermut geworden, es hatte niemanden wundern dürfen. Aber irgendwann einmal muss er für sich beschlossen haben, dass trübe Laune keine Lösung ist, und dass er Leben und Literatur allem Anlass für Melancholie zum Trotz so viel Glück, Glanz, Reiz und Lust wie möglich abgewinnen will. Manchmal genügte es zu sehen, wie Rühmkorf an einer Zigarette zog, um zu spüren, wie sehr er jeden Augenblick, ja buchstäblich jeden Atemzug auszukosten verstand. Er war ein ungeheuer gebildeter Dichter, aber seine Gelehrtheit hatte nie etwas Gravitätisches. Er liebte Intelligenz, weil sie schlicht viel funkelnder, anregender, unterhaltsamer ist als die Dummheit. Er liebte es, wenn Verse einen musikalischen Klang haben, weil das der Sprache etwas Sinnliches hinzufügt und sie so noch reicher macht – zumal es ohnehin viel zu viel ärmliche, klanglose, unsinnliche Sprache gibt allerorten. Er liebte das Artistische und Feinnervige, das Zündende und Bezaubernde, kurz: das Außergewöhnliche, das nur selten gelingt. All das machte Rühmkorf und seine Literatur jederzeit so zugänglich. Zum deutschen Dichter gehörte lange Zeit eine gewisse Vorliebe für den gewichtigen Auftritt als Großfürst des Geistes. Rühmkorf war das fremd. Er gehörte zum Geschlecht der fahrenden Sänger. Ihm war eine verrauchte Jazz-Kneipe allemal lieber als eine Akademie-Sitzung. Vermutlich war er der Lebenslust, um die es ihm ging, dort auch viel näher als auf den feierlich blankgeputzen, repräsentativen Podien des Kulturbetriebs, die oft als die Siegertreppchen unseres literarischen Lebens ausgegeben werden. „Nein“, schrieb er einmal, „Literatur ist ja gar nicht diese exklusive Verschlußsache, deren Siegel nur die Berufskritik zu erbrechen vermöchte, weshalb ich einem neuen Märchenbuch auch gleich des Wahlspruch ‚In dubio pro publico’ mit auf den Weg gegeben habe.“ Im März 2008 traf ich Peter Rühmkorf noch einmal zu einem Gespräch über seinen neuen Gedichtband „Paradiesvogelschiß“. Er lag während des Besuchs angekleidet auf dem Bett. Die Krankheit hatte seinen Körper fest im Griff. Was ihn nicht davon abhielt, seinen Geist schweifen zu lassen, neugierig zu fragen, zu erzählen, zu rauchen, mit seiner Frau Eva die Vorzüge und Nachteile bestimmter Heißgetränke zu erörtern und zwischendurch am Telefon mit seinem Verleger Alexander Fest die Gestaltungsdetails seines neuen Buches zu erörtern. Er war fest entschlossen, auch diesen grauen Wintertag zu genießen. Es war schön, ihm dabei zuzusehen.

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