Patron, Provokateur, Primadonna

 Jörg Magenau erzählt das Leben Martin Walser

Manchmal trägt das Leben einfach ein bißchen zu dick auf. Bei folgender Anekdote zum Beispiel: Ruth Klüger, die als Kind Auschwitz überlebte, besucht ihren alten Studienfreund Martin Walser. Als sie in seinem Garten einen großen Schritt über ein Blumenbeet macht, versinkt sie mit einem Schuh in der Erde und entdeckt dann in dem Loch, den ihr Absatz im Boden hinterlassen hat, ein Parteiabzeichen der NSDAP. Ein früherer Bewohner des Hauses muß es bei Kriegende vergraben haben, woraufhin jahrelang buchstäblich Gras darüber wuchs. Und nun ist es ausgerechnet ein jüdischer Gast, der dieses unrühmliche Zeugnis deutscher Geschichte wieder ans Tageslicht befördert. Nachdem Walser jüngst wegen seines Umgangs mit dem finstersten Teil der deutschen Vergangenheit und mit Opfern des Holocaust angegriffen wurde, wirkt diese Episode symbolträchtig in einem schon aufdringlichen Maße. Jörg Magenau erzählt sie jetzt in seiner umfangreichen Biographie Martin Walsers. Wie die meisten Biographen sympathisiert er mit dem Helden seines Buches – und das ist auch gut so. Sicher, er steht Walsers Werk nicht kritiklos gegenüber und läßt durchaus erkennen, daß manche der Romane Walsers bestenfalls als Gelegenheits- oder Nebenwerke zu betrachten und die meisten seiner Theater-stücke mißlungen sind. Doch sobald es um die beiden in letzter Zeit so heftig debattierten Punkte geht – Walsers Paulskirchenrede und seinem Roman „Tod eines Kritikers“ – steht er in Treue fest an der Seite seiner Hauptfigur. In diesem Punkt hat Walser offenbar für ein endgültiges Schisma, eine unüberbrückbare Spaltung im Literaturbetrieb gesorgt: Für die einen, wie Ruth Klüger, sind die antisemitischen Motive in „Tod eines Kritikers“ mit Händen zu greifen, für andere, wie Jörg Magenau, ist jeder solche Verdacht schlicht abwegig. Eine Verständigung zwischen den beiden Parteien scheint inzwischen nahezu unmöglich. Doch von diesen Themen einmal abgesehen ist Margenaus Buch von wohltuender Objektivität. Er beschreibt Walsers oft ganz hinreißende Freundlichkeit und Begeisterungsfähigkeit, seine erstaunliche Einsatzbereitschaft zugunsten jüngerer, noch unbekannter Autoren und sein enormes Engagement für das Kulturle-ben am heimatlichen Bodensee – ein Engagement, das ihm aus dem Munde des Germanisten Hermann Kinder den schönen Ehrentitel eines „Patrons“ der Region einträgt. Andererseits aber verschweigt Magenau nicht das mitunter nervtötende Bedürfnis Walsers, um jeden Preis die Primadonna des deutschen Literaturbetriebs spielen zu wollen, oder seine Wehleidigkeit, in die er gelegentlich verfällt, wenn er für seine massiven öffentlichen Provokationen massiven öffentlichen Widerspruch erntet. Martin Walsers Leben ist arm an äußeren Ereignissen – was für eine mit knapp 600 Seiten recht ausführlichen Biographie ein spürbares Handikap darstellt. Walser wird 1927 in Wasserburg am Bodensee geboren, ist kurz Soldat, kurz Student, kurz Rundfunkredakteur, bevor er sich 1956 als Schriftsteller wieder am Bodensee niederläßt. Mit diesen ersten Lebensstationen füllt Magenau 120 Seiten und hat dann noch rund 450 vor sich. Akribisch beschreibt er nun Walsers Autorenlaufbahn, seine Triumphe, Krisen oder Fehlschläge, seinen win-dungsreichen Weg vom literarischen Newcomer, der mit dem modischen Existentialismus seiner Zeit liebäugelt, über den politisch leicht entflammbaren So-zialisten während der Jahre der Studentenbewegung, bis hin zum Redner in Sachen deutscher Geschichte und Gegenwart, der von seinen Landsleuten höheres nationales Selbstbewußtsein einfordert. Das alles wird mit großer Kennerschaft ausgebreitet, das Detailwissen Mage-naus ist beeindruckend: Millimetergenau führt er das Aufblühen und Dahinwelken der Freundschaften Walsers zu seinem Verleger Siegfried Unseld oder zum Schriftstellerkollegen Uwe Johnson vor. Doch da Magenau das Leben seines Helden fast immer von Tag zu Tag verfolgt und kaum je ein solches prägendes Freundschaftsverhältnis herausgreift, um es im Zusammenhang übersichtlich zu schildern, geht manche bezeichnende Reaktionen und Verhaltensweisen Walsers nahezu unter im grauen chronologischen Einerlei. Zudem kopiert Magenau leider einige von Walsers schriftstellerischen Unarten: So neigt er dazu, wie Walser in seiner Romanen den gleichen Gedanken mitun-ter mehrfach in wenig veränderter Form zu wiederholen oder sich in nebensächlichen Details zu verlieren. Wenn er unter anderem mitteilt, daß Walser Uwe Johnsons „Jahrestage“ nicht zu Hause, sondern im Skiurlaub las, daß er sich in Amerika einmal beim Volleyball den Fuß verstauchte oder daß die 99 Flaschen Wein, die er 2002 als Literaturpreis erhielt, exakt 14 Prozent Alkoholgehalt hat-ten, dann fragt man sich doch, ob man das alles wirklich so genau wissen wollte. Vor allem aber entwickelt Magenau wie Walser gelegentlich eine auffällige Vorliebe für Substantive, die aus mehreren Worten zusammengesetzt sind. Walser hat solche ineinanderverschmolzenen Wortballungen einmal „Deutsche Kentauren“ genannt, und mit entwaffnender Offenheit hinzugefügt, daß sie gern benutzt werden, wenn man nicht genau weiß, was man sagen möchte: „Also meiden wir das deutlichere Einzelwort, spannen es zusammen mit einem zweiten, dadurch verwischen wir das Gesagte, heben es ein bißchen auf; wir beschädigen die Deutlichkeit, den Umriß, aber wir potenzieren den Willensanteil, die Wucht, das Vitale, manchmal sogar die Substanz.“ Und exakt so wirken diese Wort-Kentauren in Margenaus Buch: Sie verleihen seiner Argumentation Schwung, lassen aber manche rasante Wendung in Walsers politischer Biogra-phie nicht mit aller Deutlichkeit sichtbar werden. Die Rezension erschien in der „Welt“ vom 23. April 2005 Jörg Magenau: „Martin Walser“. Eine Biographie Rowohlt Verlag, Reinbek 2005 624 Seiten, 24,90 € ISBN 3-498-04497-4

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