Absoluter Graphikgott

Zum Tode des großen deutschen Cartoonisten F.K. Waechter   

„Wahrscheinlich guckt wieder kein Schwein“ heißt sein berühmtestes Buch – aber anders als der Titel behauptet, guckten eine ganze Menge Leute. Über 300.000 Exemplare wurden bislang von diesem ersten großen, wunderbar witzigen Band des Cartoonisten Friedrich Karl Waechter verkauft. Waechter, der seine Vornamen gern auf die Kurzform F.K. brachte, hat in hohem Maße das graphische Gesicht der Neuen Frankfurter Schule geprägt, also jener Autorengruppe, der die Bundesrepublik nicht nur seine wichtigsten Satirezeitschriften „Pardon“ und „Titanic“ verdankt, sondern aus der mit Robert Gernhardt, Eckhard Henscheid, Hans Traxler, Chlodwig Poth, Pit Knorr und Bernd Eilert auch einige der bekanntesten und erfolgreichsten komischen Texter, Zeichner und Filmer des Landes hervorgegangen sind. 1937 in Danzig geboren und mit seiner Familie bei Kriegsende in den Westen geflohen, wuchs er – wie auffällig viele seiner Kollegen von der Neuen Frankfurter Schule – vaterlos auf. Mit seinen Lehrern hatte er dann allerdings erhebliche Autoritätskonflikte auszufechten, verließ die Schule frühzeitig und studierte in Hamburg Gebrauchsgraphik. Nach einem kurzen Umweg über eine Werbeagentur wurde er Layouter des Zeitschrift „Pardon“, deren berühmtes Markenzeichen er ersann: Den Kopf eines Teufels, der frech grinsend eine Melone zum scheinbar höflichen Gruß lüftet – und dabei erst recht seine Hörner präsentiert. In der Redaktion lernte er zu Beginn der sechziger Jahre Robert Gernhardt und F.W. Bernstein kennen. Mit ihnen gemeinsam erfand und gestaltete er für „Pardon“ die inzwischen legendäre Beilage „Welt im Spiegel“ als Tageszeitungsparodie. Das Team entwickelte hier die eigenwilligsten Komik-Formen und Witz-Strategien, die sich um die Grenzen des eher biederen deutschen Humors jener Zeit wenig scherten. Zu Waechters Spezialitäten gehörte dabei ein besonderer Sinn für stille, poetische Pointen oder groteske Gags, die wie aus einer anderen, irrwitzigen Welt zu stammen schienen. Er wurde damit zu einem großen Vorbild für jüngere Cartoonisten. Bernd Pfarr zum Beispiel, der im vergangenen Jahr starb, hat viel gelernt von Waechters Technik, unter manche seiner Zeichnungen lange Bildtexte zu setzen, die das Gezeigte nicht kommentieren, sondern eher absurd umspielen – und so aus der Reibung zwischen Bild und Text ganz ungeahnte komische Funken zu schlagen. Auch entdeckte und ermutigte Waechter das inzwischen vielgelobte Zeichnerteam Rattelschneck. Und Greser & Lenz, die heute als Cartoonisten der „Frankfurter Allgemeinen“ und des „Stern“ Furore machen, nennen ihn schlicht ihren „absoluten Graphikgott“. Obwohl Waechter als Zeichner eine unverkennbare Handschrift hat, experimentierte er zugleich mit den unterschiedlichsten graphischen Stil- und Ausdrucksmitteln. Seine zahlreichen Sammelbände mit Cartoons oder Bildergeschichten entpuppen sich für den Betrachter deshalb oft als veritable optische Abenteuerreisen. Daneben hat er immer wieder Kinderbücher gezeichnet und geschrieben. Trotz seines großen Erfolges als Cartoonist, nahm er 1992 seinen Abschied vom komischen Fach und verkündete diesen Entschluß in einem Interview der „Titanic“. Seither widmete er sich in erster Linie seiner Arbeit als Kinderbuch- und Kindertheaterautor, die ihm immerhin gleich zwei Mal den Deutschen Jugendbuchpreis einbrachte. Etliche seiner Stücke, darunter „Schule mit Clowns“ und „Kiebich und Dutz“ erreichten bei seinem jungen Publikum Kultstatus und machten ihn für geraume Zeit zu einem der meistgespielten Kindertheaterautoren des Landes. Mit erst 67 Jahren ist F.K. Waechter jetzt in Frankfurt gestorben. Einer seiner leisen, melancholisch-komischen Cartoons zeigt einen Mann im Morgenmantel, der in eine kahlen, komplett freudlosen Waschraum geraten ist. Ein Schild auf der Tür mahnt: „Bitte, verlassen Sie das Badezimmer so, wie sie es vorzufinden wünschen.“ Der Mann nimmt sich diese Aufforderung auf seine Weise zu Herzen, holt ein kleines Farbtöpfchen samt Pinseln hervor und entwirft auf die trist gerasterte Kachelwand eine prachtvolle Seelandschaft mit Palmen und Brandung. Vielleicht darf man in diesem Blatt so etwas wie die Poetik Waechters sehen: Nämlich die Welt zumindest auf dem Zeichenpapier so zu hinterlassen, wie er sie gern vorgefunden hätte

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