Warum Maxim Biller so gern Literaturskandal macht
Maxim Biller ist anderer Meinung. Welche Ansicht man auch immer vertritt, eins ist sicher: Biller teilt sie nicht. Biller widerspricht, prinzipiell. Biller weiß es besser. Immer. Alles. Selbst Freunde nennen ihn eine Nervensäge. Was Biller als Kompliment versteht. Denn schließlich gilt die Bereitschaft zum Widerspruch, zum ständigen Zweifel als Nährboden der Aufklärung und Vernunft. Folglich ist er im Gespräch nie auf Konsens aus, sondern immer auf Konflikt, jeden Dialog verwandelt er zuverlässig zum Duell. Den Umgang mit ihm macht das ein wenig mühevoll. Hinzu kommt Billers Bedürfnis, jede Idee, jeden Affekt brutalstmöglich zuzuspitzen. Menschen, die andere Ansichten vertreten als er, sind in seinen Augen nicht anderer Ansicht, sondern „Idioten“. Menschen, die ihre Überzeugungen behutsam formulieren, die ihre Bedenken zurückhaltend vorbringen, sind für ihn „Feiglinge“ oder „Schlappschwänze“. Was immer seinen Unmut weckt – es stört oder ärgert ihn nicht einfach, sondern erregt seinen „Hass“. Der Gedanke, auch die eigene Ansicht könnte falsch sein, auch die eigene Beweisführung könnte durch Überspitzung fehlgehen, hat ihn augenscheinlich noch nicht berührt. Dies zumindest unterscheidet ihn von den Klassikern der Aufklärung. Maxim Biller will Ruhestörer sein. Wo immer er glaubt, einen faulen geistigen Kompromiss auszumachen, wo immer er meint, eine billige intellektuelle Idylle zu entdecken, stürzt er sich ins publizistische Gefecht. Seine Artikel sind meist brillant, aber ob sie tatsächlich die besseren Argumente auf ihrer Seite haben, ist ihm egal. Er ist ein journalistischer Landsknecht, der die Schlacht mehr liebt als den Sieg, der vernarrt ist in die Aufmerksamkeit, die ein öffentlicher Schlagabtausch erregt. Wer behauptete, Biller verzehre sich danach, im Mittelpunkt des Interesses zu stehen, machte sich einer immensen Untertreibung schuldig. Das alles hat Gründe. Biller kam erst mit zehn Jahren nach Deutschland, er wurde in der Tschecheslowakei geboren. Nachdem der Warschauer Pakt dem Prager Frühling den Garaus gemacht hatte, ging seine Familie 1970 ins Exil. Biller hat mehr als einmal beschrieben, wie sehr ihn das selbstgefällige, moralinsaure geistige Klima in der westdeutschen Linken der siebziger Jahre erbitterte. Eine Linke, die vom Sozialismus träumte, aber von Maxim Billers höchst realen Erfahrungen mit einem sozialistischen System nichts wissen wollte. Kein Wunder, dass er, der zudem Jude ist, sich rasch als Außenseiter empfand und nichts lieber tat, als die Borniertheiten anderer bloßzustellen – und dabei eigene Borniertheiten zu pflegen. Wer über solche Eloquenz verfügt wie Biller, und von solcher Eitelkeit gequält wird, für den liegt es nahe, Schriftsteller werden zu wollen, mehr noch, sich zur literarischen Autorität aufzuschwingen, zu einem Wahr-Sager, dem das Publikum an den Lippen hängt. In den neunziger Jahren veröffentlichte er drei Bände mit Erzählungen, es waren zumeist knappe, präzise Short Stories, die vom jüdischen Leben im deutschen Alltag berichteten, kleine, mit frischen Einfällen gewürzte Studien über das Dasein nervöser Außenseiter in einer saturierten, unterkühlten und etwas behäbigen Gesellschaft. 2000 veröffentlichte Biller Die Tochter , seinen ersten Roman. Damit den ja keiner übersah, brach er im Literaturbetrieb gleich noch einen handfesten Streit vom Zaun. Wie er das tat, war typisch billeresk – ebenso effektvoll wie rasend peinlich, ebenso geschickt wie maßlos zynisch. Er lud eine Hand voll jüngerer Autoren zu einer Tagung nach Tutzingen ein, um sie dann dort in einer endlosen Rede wegen ihrer „deprimierenden Temperamentlosigkeit“, ihrer „gesichtslosen Literaturagenten-Literatur“ oder schlicht als „Systemopportunisten“ zu beschimpfen. Kraft, Mut, Leidenschaft – all das fehlt ihnen Billers Meinung nach. Insbesondere aber fehle ihnen „Moral“, und Moral ist für ihn „vor allem Härte: Also die absolute Entschlossenheit, so brutal, dass das Blut spritzt, die letzten Fragen zu stellen“ . Und natürlich ließ Biller anklingen, dass sich eben diese Härte in seinem neuen Buch findet. So degradierte er Moral zum Werbeslogan. Versteht sich, dass über Leerformeln wie diese ausgiebig und ergebnislos gestritten werden kann – und nach dem Abdruck der Rede in der Zeit auch gestritten wurde. Womit Biller sein Ziel erreicht hatte: Im Literaturbetrieb richten sich eine Menge Scheinwerfer auf ihn, und er winkte aufgeregt mit seinem Roman ins Publikum. Das Buch wurde so sicher bekannter, aber nicht besser: Es erzählt die Geschichte einer scheiternden deutsch-israelischen Ehe – über die ersten 100 Seiten hinweg originell und lesbar, in den folgenden 300 nur noch zäh und wirr. Solche PR-Aktionen in eigener Sache sind gewiss nicht fein, aber auch nicht neu. Autoren wie Walser, Handke oder Sloterdijk pflegen sich seit Jahren immer genau dann in Debatten zu verstricken, wenn ein neuer Titel von ihnen an die Buchhandlungen ausgeliefert wird. Neu dagegen war, welche Töne Biller anschlug, um seinen werbeträchtigen Skandal zu provozieren – und die sind auch jenseits des Literaturbetriebs von Interesse. Während der Ära Helmut Kohl, behauptet Biller in seiner Tutzinger Rede, haben sich die Deutschen „in ein Volk von selbstsüchtigen, neurotischen Feiglingen verwandelt […], die nun einzig von ihrer Angst um ihr Wohlfühlgefühl angetrieben wurden. Der alte romantische Soldatenstamm hatte keine Kraft mehr zu kämpfen, er hatte keine schlechten Ideale mehr und keine guten, er kannte keine Feindschaften und keine Moral, es ging ihm nur noch darum, sich gut zu fühlen und auf keinen Fall schlecht.“ Und so weiter und so fort. Da ist als gezielte Tabuverletzung alles versammelt worden, was ein modernes, westliches Deutschland überwunden zu haben hofft: die Verherrlichung des Soldatentums, des Kampfes und der Feindschaft, zudem das Verächtlichmachen der Friedfertigkeit, des Pragmatismus und des Interessenausgleichs. Es berührt seltsam, wenn ausgerechnet ein Außenseiter und Jude behauptet, zu viel Toleranz und zu wenig Kampfkraft hätte ein „neurotisches, demoralisiertes Weichei-Deutschland“ entstehen lassen – und der als demokratieferne Therapie ein „berauschendes Gut-oder-Böse-Denken“ und immer wieder „Hass“ predigt. Die geistige Tradition des deutschen Judentums von Moses Mendelssohn über Heine bis Tucholsky, von Döblin über Kafka bis Adorno wies bislang immer in eine entgegengesetzte Richtung. Aber was bedeutet Maxim Biller schon die Tradition der Liberalität und der differenzierten Debatte. Er ist auch in diesem Punkt einfach anderer Meinung.
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