Das Politiker-Drama „Fratzen“ von Albert Ostermaier uraufgeführt in Mannheim
Viele der heute in aller Medien-Öffentlichkeit ausgetragenen Dramen spielen unter Politikern. Zugegeben, mit dem rasanten Lieben, Sterben oder Morden feudaler Machthaber, wie wir es zum Beispiel in Shakespeares Stücken kennen lernen, kann sich das Gerangel auf unseren politischen Bühnen nicht messen. Manches davon hat es aber dennoch in sich: Die Niederlage Lafontaines gegen Schröder, sein abrupter Rücktritt und jahrzehntelanger Rachefeldzug gegen die SPD. Horst Seehofers vor allen Augen vollzogene Wahl zwischen Ehefrau und schwangerer Geliebter. Möllemanns und Westerwelles haarsträubende Polit-Clownerien, dann Möllemanns Sprung ins Nichts. Das Gerücht, Jörg Haider sei homosexuell und seine Fahrt aus einem Schwulenlokal in den Tod. Alles das in wenigen Jahren. Inspirierendes Material. Kein Wunder, wenn in jüngster Zeit unter Schriftstellern die Neigung wächst, zwar nicht der Politik, wohl aber Politikern eine Hauptrolle in ihren Büchern einzuräumen. Im vergangenen Jahr erschienen gleich mehrere Romane, die im politischen Milieu spielten. Dazu passt, dass Albert Ostermaier mit „Fratzen“ ein Politiker-Stück vorlegt, das jetzt von Burkhard C. Kosminski im Mannheimer Nationaltheater uraufgeführt wurde. Gezeigt werden Krankheit, Tod und Trauerfeier eines ehemaligen Spitzenkandidaten einer ungenannten Partei. Er heißt Rainer, nennt sich aber als Politiker René. Längerem Siechtum kommt Rainer zuvor, als er mit dem Auto unweit seines Heimat-dorfes an einem Baum zerschellt. Zur Beerdigung treffen aus der fernen großen Stadt vier Parteifreunde ein, die, wie üblich, manche Rechnung mit ihrem ehemaligen Mitstreiter offen haben und über dessen Ableben nicht nur erschüttert, sondern ebenso erfreut sind. Zu Ibsens Zeiten konnte ein Dramatiker sein Publikum vielleicht noch beunruhigen mit der Vorstellung, in der Vergangenheit eines großen Politikers verberge sich ein finsteres Geheimnis. Heute sind selbst Zeitungsleser von solchen Enthüllungen nur mäßig schockiert, der Theaterbesucher aber wartet regelrecht auf sie, sobald ein Autor Politiker auf die Bühne schickt. Also spielt Ostermaier das psychologische Drama der Entlarvung nicht mehr durch, sondern zitiert es nur noch. Zudem lässt er es sich effektvoll brechen an den Auftritten von Rainers ländlicher Verwandtschaft, die den kritischen Volksstücken von Kroetz, Sperr oder Fassbinder entlehnt sein könnten. Auch sie wirken wie Zitate, was durchaus folgerichtig ist: So wenig wie die Entdeckung eines weiteren korrupten Politikers heute das bürgerliche Weltbild ins Wanken bringt, so wenig dürfte auf dem Land inzwischen die Entdeckung, dass der Sohn des Wirts heimlich schwul oder die Tochter des Bauern unehelich schwanger ist, noch ultimative Lebenskrisen auslösen. Burkhard C. Kosminski bringt das alles nicht brillant, aber solide auf eine von Florian Etti gestaltete Bühne. Er konzentriert sich darauf, die Stärken von Ostermaiers Stücks herauszuarbeiten und enthält sich freundlicherweise der meisten Regietheater-Mätzchen. Bemerkenswert, wie gut die Schauspieler Haltung und Tonfall der tagtäglich im Fernsehen zu besichtigenden Politiker treffen: Jacques Malan spielt einen Technokraten, der jede Individualität so vollständig aus seiner Physiognomie verbannt hat, dass er nicht nur komplett verwechselbar, sondern als Person nahezu unsichtbar geworden ist. Er wirkt zunächst wie der Sachzwang auf zwei Beinen, weiß aber, sobald die Türen verschlossen sind, seine Interessen und Lüste mit äußerster Brutalität durchzusetzen. Edgar M. Böhlke spielt die gleiche, aber mit etwas mehr öffentlichkeitswirksamer Eleganz begabte Figur. Naturgemäß ist auch der Held Rainer letztlich ein Unreiner und Klaus Rodewald vergegenwärtigt eindrucksvoll wie sich da jemand, angesichts seines angekündigten Todes, über seinen eigenen jahrelang geübten Zynismus klar wird und rettungslos über sich erschrickt.
Die Rezension erschien in der „Welt“ vom 10. März 2009