Mein Opa, der Kommunist

Komödie oder Tragödie? Oder beides?
Der Roman »In Zeiten abnehmenden Lichts« von Eugen Ruge macht 50 Jahre deutscher Vergangenheit als Familiengeschichte erlebbar und könnte ein großer internationaler Erfolg werden   Das Familienfest endet in einer prachtvollen Katastrophe. Der Patriarch hat Geburtstag und will wie immer bejubelt werden. Er ist Kommunist von Kindesbeinen an, hat gegen die Nazis gekämpft und wird dafür in der DDR zeitlebens als Held gefeiert. Doch dummerweise ist inzwischen der Oktober 1989 angebrochen, es rumort mächtig in Ostberlin, und der einzige Enkel des Jubilars ist schon in den Westen gegangen. Bei den alljährlichen Festvorbereitungen war dieser Enkel allerdings für die Stabilität des großen Familientischs zuständig. Nun fehlen seine technischen Kenntnisse, und als sich während der Feier nach Blumenübergabe und Ansprache des Parteisekretärs einer der Gäste kurz aufs kalte Büfett stützt, passiert mit dem Tisch exakt das, was wenige Wochen später mit dem Staatsapparat der DDR geschehen wird: Er bricht zusammen. Dieses symbolträchtige Geburtstagsfest ist so etwas wie der Dreh- und Angelpunkt in Eugen Ruges fabelhaftem Familienroman „In Zeiten des abnehmenden Lichts“. Hier kommen sie alle zusammen: Die Großeltern sind treue Gefolgsleute Stalins, die nicht einmal der Tod eines ihrer Söhne im sowjetischen Gulag vom Glauben an den Kommunismus abbringen konnte. Dazu ihr überlebender zweiter Sohn mitsamt seiner russischen Frau, der als gemäßigt kritischer Historiker in der DDR Karriere machte. Und schließlich die Frau des in den Westen geflohenen Enkels, die zwar mit der Opposition gegen Honeckers Regime sympathisiert, aber dennoch mit ihrem Kind, dem Urenkel, im Osten blieb. Ruge erweist sich mit diesem Buch als großartiger Erzähler. Glänzend gelingt es ihm, das bewegte Schicksal dieser ostdeutschen Familie über 50 Jahre hinweg literarisch zu bändigen. Bislang schrieb er vor allem Theaterstücke und hat dabei offenkundig gelernt, selbst große Stoffmassen spannend zu formen. Bereits vor zwei Jahren wurde er für das damals erst halbfertige Manuskript mit dem Alfred-Döblin-Preis ausgezeichnet. Mit der von Günter Grass gestifteten Preissumme von 15 000 Euro konnte Ruge die Arbeit an dem Buch mit der notwendigen Ruhe abschließen. Er ist ein zurückhaltender Mann, der ohne die kleinen Eitelkeiten auskommt, die viele Autoren an den Tag legen, sobald ein Buch von ihnen zum Sprung auf die Bestsellerlisten ansetzt. Schon bevor sein Roman erschien, wurde er für den deutschen Buchpreis nominiert, und Verlage aus sechs Ländern, darunter die USA, sicherten sich die Übersetzungsrechte. Ein internationaler Erfolg kündigt sich an. In den wesentlichen Punkten ist der Roman der Geschichte von Ruges Familie nachempfunden. Seine Großeltern mussten als KPD-Anhänger vor Hitler nach Mexiko ins Exil fliehen. Sein Vater verbrachte Jahre in Stalins Arbeitslagern. Und Ruge selbst verließ die DDR noch vor dem Mauerfall in Richtung Westen. Doch mit Klagen gegen sein Buch wegen Verletzung von Persönlichkeitsrechten muss er dennoch nicht rechnen: „Aus einem einfachen Grund“, sagt er: „Alle, die ich in dem Roman so genau beschreibe, dass sie sich wiedererkennen könnten, sind inzwischen tot.“ Auf den Rat seines Vaters hin hat Ruge in der DDR zunächst Mathematik studiert, ein „ideologiefreies“ Fach, und im Potsdamer Zentralinstitut für Physik gearbeitet. Doch der familiären Leidenschaft für politische Themen entkam auch er nicht. Seit 1985 arbeitete er fürs Fernsehen, und schon drei Jahre später sah er für sich keinen Platz mehr in der DDR. Obwohl ihm die Geschichte seines Romans so nah ist wie keine andere, erzählt Ruge sie mit der Gelassenheit eines alten Meisters. „Die Idee zu dem Buch hatte ich gleich nach der Wende“, berichtet er, „aber mein Versuch, sie aufzuschreiben, misslang, ich hatte noch zu wenig Distanz.“ Gut zehn Jahre später wurde dann eine bedrohliche Krankheit bei Ruge diagnostiziert, und es sah so aus, als bliebe ihm nicht mehr viel Zeit, sein großes Projekt anzugehen. „Vielleicht schreibt man mit einer solchen Diagnose im Hinterkopf anders, reifer. Ich hoffe es. Auf jeden Fall wollte ich die Geschichte nicht verloren geben, ich wollte sie aufheben in literarischer Form. Also fing ich endlich an.“ Glücklicherweise bestätigten sich die Befürchtungen der Ärzte nicht. Dennoch ist es wohl kein Zufall, dass nicht die Politik, sondern die Vergänglichkeit des Lebens die heimliche Hauptrolle in Ruges Roman spielt: Die blutigen Kämpfe der Großeltern mit den Nazis, das endlose Ringen des Vaters um etwas mehr Meinungsfreiheit in der DDR – all das wirkt schon wenige Jahre nach dem Mauerfall so fremd und schwer verständlich, als entstamme es einer fernen Epoche, und hat doch das Leben ganzer Generationen bestimmt, die uns heute noch nah sind. Das große Können Ruges zeigt sich nicht zuletzt darin, dass er seinem Roman trotz allem keinen melancholischen, sondern oft genug einen heiteren Grundton gibt. Er hat aus seinen Figuren farbige, eigenwillige Charaktere gemacht, die man so schnell nicht wieder vergisst. „Familien sind“, meint Ruge, „ob sie nun aus Ost- oder Westdeutschland kommen, im Grunde ähnlich. Natürlich hat sich in der DDR Politik und Zeitgeschehen oft trennend zwischen die Generationen geschoben. Aber ist das im Westen wirklich anders?“ Und in diesen Missverständnissen zwischen den Generationen, das zeigt Eugen Ruges lebenskluger Roman, steckt eben nicht nur der Stoff für Tragödien, sondern auch der für Komödien.

Der Artikel erschien im Nachrichtenmagazin „Focus“ am 12. September 2011

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