Der Wolf im Haaspelz

 Ein Mann für bizarre Fälle: Der Österreicher Wolf Haas schreibt Krimis – die komischsten seit langem 

Sein Name ist Brenner, Simon Brenner. Er ist Detektiv. Und die Leute, die ihm ihre Fälle anvertrauen, brauchen eine Menge Mut. Nicht weil Brenner besonders rabiat wäre oder besonders teuer. Nein, weil Brenner so langsam ist, so umständlich, maulfaul und verstiegen. Leute, die ihm ihren Fall anvertrauen, wollen eigentlich nicht, dass er gelöst wird. Doch zu ihrer Überraschung müssen sie dann feststellen, dass Brenner gerade mit kuriosen Aufträgen glänzend zurechtkommt. Schließlich gibt es Grund genug, ihn selbst für ein Kuriosum zu halten. Der Erfinder von Brenner heißt Haas, Wolf Haas. Krimi-Leser, die sich seinen Romanen anvertrauen, brauchen auch ein klein wenig Mut. Nicht weil die Bücher besonders blutrünstig wären und Albträume verursachten. Sondern weil Haas heiteren Herzens so ziemlich alle Genreregeln des Detektivkrimis verletzt und seinen Lesern nie auch nur den Hauch einer Chance gibt, dem Täter frühzeitig auf die Spur zu kommen. Selbst eingefleischte Anhänger des klassischen Krimis werden überrascht sein, dass man sich bei alldem köstlich amüsiert. Die bislang vier Simon-Brenner-Bücher gehören zu den besten und komischsten deutschsprachigen Kriminalromanen der vergangenen Jahre. Wolf Haas hat es literarisch faustdick hinter den Ohren. Er ist ein Stilist und Sprachartist von Graden. Er erzählt von Brenners absonderlichen Fällen, als säße er mit dem Leser in irgendeiner Kneipe beim Bier. In jedem Satz ist der Duktus seines heimatlichen österreichischen Dialekts spürbar, man glaubt, eine schlampig dahergetraschte Geschichte voller Abschweifungen zu hören. Haas versteht es, den Tonfall seiner Landsleute in einer präzisen, hoch konzentrierten Kunstsprache gleichsam zu kondensieren. Zudem hat der Autor, wie es sich für einen österreichischen Schriftsteller gehört, ein ausgeprägtes Gespür für alles Absurde und Makabre. Ob er zwei amerikanische Touristen auf dem Skilift zu Schneemännern einfrieren lässt, ob in einer riesigen steirischen Grillstation unter Zentnern von abgenagten Hühnerknochen auch ein menschliches Skelett auftaucht, ob sich Wiener Krankenwagenfahrer vor allem damit beschäftigen, sich gegenseitig zu bekriegen, oder ob in einem Salzburger Knabeninternat die sauber zerstückelte und in Plastiktüten verpackte Leiche eines ehemaligen Zöglings auftaucht – in jedem seiner Romane schwingt etwas mit von dem tiefschwarzen, galligen Witz, für den seine Landsleute weltweit berüchtigt sind. In Österreich ist der knapp 40-jährige Haas inzwischen eine Berühmtheit. Seine Krimis stehen wenige Tage nach ihrem Erscheinen auf den Bestsellerlisten. Der dritte Brenner-Fall „Komm, süßer Tod“ soll jetzt verfilmt werden. Noch vor drei Jahren, bevor sein erster Krimi erschien, wäre auch für Haas selbst eine solche Karriere kaum vorstellbar gewesen. Er betrachtete sich vielmehr als experimentellen Schriftsteller, promovierte über „Die sprachphilosophischen Grundlagen der konkreten Poesie“ und hatte für traditionelle Romane kaum mehr als ein herablassendes Kopfschütteln übrig. Niemand wollte seine strengen literarischen Exerzitien lesen oder drucken. Bis er schließlich begriff, dass sich seine große Liebe zum theoriegesättigten Sprachspiel sehr wohl mit dem Wunsch nach einer lebendigen, unterhaltsamen Geschichte verknüpfen ließ. Und bis er Simon Brenner erfand. Diese verschrobene Figur hat es in sich. Die klassischen Detektive des Kriminalromans sind systematisch denkende, überlegt handelnde Wahrheitssucher, sie sind, wenn man so will, Symbolgestalten der Aufklärung, die ihr Leben dem Kampf gegen das irrationale, von wirren Leidenschaften beherrschte Verbrechen widmen. Brenner dagegen ist der Detektiv einer Epoche, die der Aufklärung immer skeptischer gegenübersteht. Er denkt nicht klar und nüchtern, sondern er brütet und grübelt, bis er Migräne bekommt. Ihm ist es noch nie gelungen, ein wichtiges Indiz von einem scheinbar unwichtigen zu unterscheiden. Er hört nicht zu, wenn Zeugen mit ihm reden, und er fragt nie nach, wenn ihm Verdächtige ihre Lügengeschichten präsentieren. Kurz, ein investigatives Naturtalent ist er nicht. Aber es gibt eben Zeiten und Fälle, in denen ein Simplizissimus weiter kommt als der cleverste seiner Kollegen. Manchmal wirkt Simon Brenner wie ein bulliger, kantschädeliger Bruder von Forrest Gump. Und er ist mindestens so komisch wie Tom Hanks in jener Rolle. Wenn Sie demnächst in der Bahn oder in irgendeinem Wartezimmer jemanden sehen, der ein kleines schwarzes Buch liest und zwischendurch immer wieder laut auflacht, dann ist es gut möglich, dass Sie gerade einem Brenner-Begeisterten gegenübersitzen. Sicher, es sind nur Krimis, aber ihr Autor ist ein Wolf im Haaspelz.

Der Artikel erschien im Nachrichtenmagazin „Focus“ vom 27. September 1999

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