„Single & Single“

Ein Besuch bei John le Carré

Wie wird man rasch ein paar Millionen Pfund los? Dazu noch seinen Job, seine Eltern, sein ganzes verhätscheltes Leben in der Londoner High-Society des Geldes? Oliver Single, Kronprinz des englischen Finanzkonzerns Single & Single, hat dafür eine hocheffiziente Methode gefunden. Er spricht mit einigen verzückt lauschenden Beamten über Geschäftspraktiken seines Vaters, des Firmengründers und -inhabers Tiger Single. Praktiken, die von wenig juristischen oder auch nur humanen Rücksichten geprägt sind. Woraufhin sich Oliver schließlich, ausgestattet mit einer neuen Identität, in einer südenglischen Kleinstadt wiederfindet. Hier müht er sich dann nach Kräften, als Wohnzimmerakrobat und Zauberer auf Kindergeburtstagen Furore zu machen. Ein merklicher Karriereknick. Aber damit hat Oliver gerechnet. Er wußte, daß ihm der Vater seinen Verrat nie verzeihen und ihn mit zahlungskräftigem Zorn verfolgen würde. Aber Oliver wollte um jeden Preis aussteigen. Denn ihm war klargeworden, womit sein Vater den größten Teil seiner Zeit verbrachte: Er wusch Geld für eine russisch-georgische Mafia, die jeden, wirklich jeden verwertbaren Rest des zerfallenden Sowjetimperiums verscherbelt – Schrott, Öl, Blutkonserven. Und, nach Gorbatschows Entmachtung, auch harte Drogen. Mit der Gründlichkeit der Behörden hat Oliver allerdings nicht gerechnet. Die Beamten setzen nämlich nicht nur dem scheinbar ehrenwerten Konzern Single & Single mächtig zu, sondern auch den Mafiosi aus dem Osten. Und die verstehen überhaupt keinen Spaß. Sie wissen zwar nicht, wer sie verraten hat, doch das hindert sie keineswegs daran, erst einmal einen Anwalt des Finanzhauses zu erschießen. Einfach so, als Anschauungsmaterial. Denn sie nehmen den Mord auf Video auf und stellen die Kassette Tiger Single zu, dem Firmenchef persönlich, damit er sich ein besseres Bild davon machen kann, was auf ihn zukommt. Keine ganz gewöhnliche Geschichte für John le Carré, einen der größten lebenden Meister des Politthrillers. Seine früheren Romane über die Welt der Geheimdienste – die er in jungen Jahren als Angehöriger der britischen Botschaft in Bonn und des Generalkonsulats in Hamburg von innen kennenlernte – sind inzwischen legendär. Sollte man in kommenden Jahrzehnten irgendwann einmal den selbstquälerischen Wunsch verspüren, sich die klaustrophile, immer leicht hysterische Atmosphäre des Kalten Kriegs in Erinnerung zu rufen, dann wird die Lektüre seiner Bücher eines der besten, wirkungsvollsten Mittel dafür sein. Doch mit dem Zusammenbruch des Ostblocks und dem Ende des Kalten Kriegs mußten sich nicht nur die Geheimdienste neue Arbeitsfelder suchen, sondern auch die Geheimdienst-Romanciers. In den fünf Büchern, die le Carré seit der Wende veröffentlichte, spielen Agenten noch immer die Hauptrolle. Auch wenn es sich dabei meist nur um windige Amateure handelte oder um abgehalfterte Ruheständler, die sich in die bösen alten Zeiten zurücksehnten. Mit „Single & Single“ läßt le Carré das Spionagemilieu entschlossen hinter sich und tauscht es ein gegen das der Finanzaristokratie. Doch sein neuer Roman ist deshalb nicht weniger spannend, intelligent oder dicht erzählt als die früheren. Im Gegenteil. „Ich war 1989 völlig überrascht“, gibt John le Carré zu. „Ich hätte nie gedacht, je den Fall der Berliner Mauer zu erleben.“ Er ist ein offener, ganz und gar unprätentiöser Mann, der nicht zögert, Fehler einzugestehen. Der aber zugleich so verschwenderisch mit seinem Charme umgeht, daß man sofort bereit ist, ihm selbst seine Irrtümer als Verdienste anzurechnen. Aber ernste berufliche Sorgen wegen des Dahinsiechens seines alten literarischen Stoffes „Kalter Krieg“ macht er sich nicht. Denn das eigentliche Thema seines Lebens bleibt von historischen Wechselfällen unberührt. „Im Grunde habe ich immer über Väter geschrieben“, sagt er, „über Väter und ihr Verhältnis zu ihren Söhnen.“ Auch George Smiley, die wohl berühmteste Figur John le Carrés, die in drei großen Romanen wie ein Schachspieler die englische Spionagearbeit gegen die Sowjetunion organisiert, ist eine solche Vaterfigur. Seine Agenten schauen auf zu ihm wie Söhne, doch wirklich durchschauen können sie ihn nicht. Er ist merkwürdig entrückt, fast geistesabwesend, so als feile er unentwegt an weitgespannten Kalkulationen, die seine Gegenspieler vom KGB aus der Deckung locken sollen. Diese Obsession ist kein Zufall. Das Leben von le Carrés eigenem Vater war, meint der Sohn mit prächtigem englischen Understatement, nicht sehr „konventionell, aber beeindruckend“. Als eine Art Felix Krull der Finanzjongleure hat er in seinem Leben buchstäblich Hunderte von Firmen gegründet, „die zwar so gut wie kein Kapital, dafür aber immerhin pompöses Briefpapier hatten“. Er verzeichnete reihenweise Bankrotte und brachte Haftstrafen auf zwei Kontinenten hinter sich. Doch selbst solche Fehlschläge vermochten seine Laune nie ernsthaft zu trüben, denn er hatte, wie es sein Sohn formuliert, „ein Gewissen, das ihm alles vergab“. Womöglich ist eine Jugend an der Seite eines solchen Vaters keine schlechte Voraussetzung für einen künftigen Schriftsteller. Zumal für einen Autor von Spionagethrillern. Halbwahre Tarngeschichten, frei erfundene Fakten und weitgespannte Kalkulationen, die darauf zielen, die Gegenspieler aus ihrer (finanziellen) Deckung zu locken, gehörten zu seiner Kindheit wie für andere Spielzeugautos oder Comic-Hefte. Und dazu die Lehre, daß man mit Charme fast ebensoviel erreichen kann wie mit einem gezogenen Revolver. Wobei der Einsatz von Charme im Alltag bei weitem unauffälliger und also effizienter ist. So darf man „Single & Single“, neben dem 1986 erschienenen Roman „Ein blendender Spion“, wohl als das am meisten autobiografische Buch John le Carrés betrachten. Oliver Single erlebt, was sein Schöpfer le Carré klug vermied, indem er, gerade 17jährig, zum Studium ins Ausland ging und dann Diplomat wurde: Oliver wird vom Vater in dessen trübe Geschäfte hineingezogen und muß sich bald zwischen seinem Vater und seinem Empfinden für Gerechtigkeit entscheiden. Zu den besonderen Qualitäten seines Romans gehört, daß es le Carré versteht, diesen geradezu klassischen Tragödienstoff wie eine Komödie zu erzählen. Doch sein Witz ist so trocken, daß man die Pointen oft nur schwer von knapp formulierten, bitteren Wahrheiten unterscheiden kann. Erstaunlich genug: Obwohl der Mensch le Carré nicht gerade zu übertriebener Ehrfurcht vor dem Gesetz erzogen wurde und der Thrillerautor le Carré in einer Branche arbeitet, in der man gern so tut, als gehörte Zynismus zum guten Ton, handeln seine Romane vor allem von der Bedeutung ethischer Grundsätze. Natürlich verfolgt man als Leser mit Spannung, ob es Oliver Single gelingt, seinen Vater aus den Klauen seiner überaus gewaltbereiten russischen Geschäftspartner zu retten. Aber den Kern des Buchs macht die moralische Entwicklungsgeschichte Olivers aus: wie und warum er zunächst auf Distanz geht zu seinem kriminellen Vater, um ihm dann, im Notfall, doch beizustehen. Ein Moralist und Romantiker ist John le Carré letztlich. Immer wieder hat er in seinen bislang 17 Romanen das Recht des einzelnen auf Glück verteidigt gegen die Macht rücksichtsloser Institutionen – egal, ob es sich dabei um Geheimdienste oder Finanzhäuser handelt. Und wenn sein Held Oliver um das Leben seines Vaters kämpft, setzt er im entscheidenden Moment nicht Waffen oder Drohungen ein, sondern uralte, scheinbar banale Gesten der Menschlichkeit. Denn inzwischen hat er oft genug auf Kinderfesten gezaubert, um zu wissen, welche eigentümliche, befriedende Kraft von solchen ganz alltäglichen und doch magischen Gebärden ausgehen kann. Als Finale eines Thrillers erwartet man das nicht. Das weiß le Carré nur zu genau. Aber genau darauf, auf solche überraschenden Wendungen, kam es ihm in seinen Büchern immer an: Nämlich die Regeln des Thriller-Genres nicht einfach nur zu erfüllen, sondern sie als Hilfsmittel zu benutzen, um ganz eigene, eigenwillige literarische Ziele zu erreichen. „Unterhaltungsromane“, sagt le Carré, und er benutzt das deutsche Wort, weil es ein adäquates englisches nicht gibt, „Unterhaltungsromane müssen immer auch einen ernsten Kern haben, sonst sind sie nicht wirklich unterhaltsam.“ Er zitiert seine Hausheiligen herbei, von Eric Ambler über Graham Greene bis Sébastien Japrisot. Diese literarischen Magier haben es immer wieder verstanden, wichtige Themen mit einer präzisen Charakterzeichnung ihrer Figuren und atemberaubend spannenden Handlungen zu verschmelzen. Was aus dieser Mixtur entsteht, ist „einfach eine gut erzählte Geschichte“, John le Carré zuckt mit den Schultern, lächelt, „einfach ein guter Roman“.

John le Carré: „Single & Single“. Roman
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 1999 400 Seiten, 45,00 DM

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