Mit dem Gentleman ist nicht zu spaßen – ein Besuch bei Eric Ambler, dem Erfinder des modernen Geheimdienstthrillers
Der ältere Herr im Sessel gegenüber wirkt freundlich und sanft. Ein englischer Gentleman mit leiser Stimme, ironischem Lächeln und einem Glas Whiskey in der Hand. Höflich gibt er Auskunft über sein Leben. Auf Fragen nach beruflichen Erfolgen antwortet er kurz, ausführlicher berichtet er über seine Erfahrungen als Offizier im Zweiten Weltkrieg, am liebsten aber redet er von seinen Reisen, die ihn in fernste Weltgegenden geführt haben, und von den ausgedehnten Lektüre-Exkursionen, mit denen er sich auch entlegene Winkel der Geschichtswissenschaft erschlossen hat. Gern wäre er Historiker geworden, sagt er, aber – fügt er mit der feinen Melancholie hinzu, die zum gepflegten Lebensrückblick gehört – es sei eben anders gekommen. Zwei Dinge hält man kaum für möglich in der entspannten Atmosphäre, die dieser so bescheidene, ruhige Herr um sich zu verbreiten versteht. Erstens, daß er einer der Größten seines Fachs ist, ein Schriftsteller von Weltruhm, der das Genre des Geheimdienstthrillers von Grund auf umgekrempelt hat und ein paar der hellsichtigsten politischen Romane unseres Jahrhunderts schrieb. Zweitens, zu welch einer schneidenden Entschlossenheit dieser Mann fähig ist, wenn es um seine Arbeit geht. Denn in diesem Punkt ist mit dem Gentleman nicht zu spaßen. 18 Romane hat Eric Ambler bislang veröffentlicht. Sie haben eine Gesamtauflage von etwa 50 Millionen erreicht, und der Name ihres Autors wird weltweit mit Ehrfurcht genannt. Und doch ist heute in seiner Heimat England kein einziges seiner Bücher lieferbar. Ambler selbst hat dafür gesorgt, daß sie aus den Regalen der Buchhandlungen verschwanden. Der Anlaß für diese Entscheidung nimmt sich geringfügig aus. Aber er ist ein gutes Indiz dafür, mit welch besessenem Ernst dieser Mann seiner Arbeit nachgeht. In einer Taschenbuchausgabe des Romans „Mit der Zeit“ hatte sein englischer Verlag das Motto des Buches wegfallen lassen – um Papier und also Geld zu sparen oder weil dieser Prolog entbehrlich schien oder einfach aus Schlamperei. Gleichviel, für Ambler war das Grund genug, die Rechte an allen seinen Büchern vom Verlag zurückzufordern und sie vom Markt zu nehmen. Seither zählen sie zu der begehrtesten Ware in den Antiquariaten des Landes. Erst als Amblers Agent kürzlich einen neuen Verlag fand, der mit den Büchern so umzugehen versprach, wie es der Autor erwartet, ist für seine Leser in England das Ende der Dürre in Sicht. Ambler ist ein Perfektionist, der lieber auf alle seine Bücher verzichtet, als ein einziges mit einem solchen Fehler gedruckt zu sehen. Aber dieser Perfektionismus ist es auch, der seinem Werk seinen Rang verliehen hat. Denn Ambler recherchiert für seine Romane so gründlich und genau, daß er einmal sogar die Neugier des englischen Geheimdienstes erregte. Die Profis des Nachrichtengewerbes waren derart beeindruckt von der Präzision, mit der er eine ausländische Sperrzone beschrieb, daß sie ihn vertrauensvoll nach seinen Informationsquellen befragten. Amblers Antwort dürfte sie überrascht haben: Er hatte sein Wissen Punkt für Punkt aus öffentlich zugänglichen Bibliotheken und Nachschlagewerken zusammengetragen. Manche seiner Romane sind geradezu Musterbeispiele für die Erkenntnis, daß politische Prophetie wenig mit Zauberei, dafür aber viel mit sorgfältiger Recherche und einer nüchternen Analyse der Fakten zu tun hat. So stellte Ambler in seinem ersten Roman die grauenhaften Folgen der Atombombe dar und die Machtgelüste, die sich an den Besitz von Nuklearwaffen heften – rund acht Jahre, bevor die Bombe tatsächlich erfunden wurde. Bereits vor dem Zweiten Weltkrieg entdeckte er in „Nachruf auf einen Spion“ die prekäre soziale Lage der Exilanten und Migranten als zentralen literarischen Gegenstand. Und die Begeisterung arabischer Potentaten für Giftgas machte er schon 1981 zum Thema seines Romans „Mit der Zeit“, lange bevor Gaddafis und Saddam Husseins Gasfabriken von westlichen Nachrichtendiensten aufgespürt wurden. Schon oft hat man Ambler nach den Quellen seiner politischen Vorahnungen gefragt. Auf so etwas reagiert er mit britischem Understatement und mit dem Hinweis auf Informationen, die für jedermann erreichbar sind. Allerdings seien, so deutet er dann an, nur wenige Menschen bereit, sich den offensichtlichen Fakten wirklich zu stellen. In seinen Romanen ist er oft gerade diesen seltenen und seltsamen Leuten auf der Spur, die ihre Augen vor den Tatsachen nicht verschließen. Es sind bemerkenswerte, aber nicht sehr angenehme Zeitgenossen. Sie erreichen, woran fast alle anderen scheitern, sie überleben, wo zahllose andere ihr Leben lassen. Und wenn sich ihr Realitätssinn zudem noch mit der Fähigkeit paart, auf andere keine Rücksicht zu nehmen, dann werden sie in Amblers Romanen zu menschlichen Monstern, die uns etwas von den Ursachen der großen Verbrechen dieses Jahrhunderts ahnen lassen. Die Hauptfiguren in Amblers Büchern aber sind ganz anders. Dr. Frigo zum Beispiel, der Held des gleichnamigen Romans, ist ein solider Mediziner, der auf einer karibischen Insel in einen Staatsstreich hineingezogen wird. Irgendwann muß er feststellen, daß ihn die Verschwörer zu einem Minister in ihrer neuen Regierung machen wollen. Doch das Spiel der Macht – mitsamt den Risiken, die es für Putschisten bereithält – besitzt für ihn wenig Verlockung. Also setzt er alles daran, dem politischen Ränkespiel ins Exil und in sein altes Leben als Arzt zu entkommen. Vermutlich macht dies einen Großteil des Reizes seiner Bücher aus: Ambler schreibt nicht aus der Perspektive kaltschnäuziger Agenten oder genialer Geheimdienstchefs. Seine Helden sind alltägliche Menschen, die zufällig oder aus Leichtsinn in irgendwelche schmutzigen Machenschaften hineingezogen werden. Für wenige Wochen, Tage oder auch nur Stunden haben sie dabei Gelegenheit, aus nächster Nähe mitzuerleben, wie Geschichte gemacht wird. Sie schauen jenen Monstern, die Ambler so faszinieren, auf die Finger – und es wird ihnen schnell klar, daß sie beim Umgang mit derartigen Menschen nur eine minimale Chance haben, am Leben zu bleiben. Der Gentleman im Sessel gegenüber nimmt einen großen Schluck aus seinem Whiskeyglas und lehnt sich zurück. 88 Jahre ist er jetzt alt und arbeitet an einem neuen Roman. Vielleicht könne er ihn, meint er, bis zum Sommer fertigstellen. Aber vermutlich wird er das Manuskript vorher wegwerfen. Denn er sei nicht sicher, fügt er hinzu, ob das Buch wirklich so gut werde wie seine anderen.
Das Porträt erschien im Nachrichtenmagazin „Focus“ vom 11. Mai 1998