Peter Schneider fordert Schriftsteller-Kollegen, die sich gegen den Afghanistan-Krieg engagieren, zum Streit heraus
Schriftsteller für Gerhard Schröder – In der vergangenen Woche veröffentlichten 13 Berliner Schriftsteller eine Erklärung, in der sie die Bundesregierung in ihrer „festen Haltung“ im Afghanistan-Konflikt unterstützten. Sie reagierten damit auf Stellungnahmen anderer Autoren, die zuvor ein Ende der Bombardierungen gefordert hatten. „Wir bestreiten“, heißt es in der Erklärung der 13, zu denen auch der Essayist und Erzähler Peter Schneider gehört, „dass die selbst ernannten Friedenskämpfer im Besitz einer höheren Moral sind und lehnen den von ihnen erhobenen Anspruch, im Namen der deutschen Schriftsteller und Intellektuellen zu sprechen, entschieden ab.“ Mit Peter Schneider sprach Uwe Wittstock
Uwe Wittstock: Sie unterstützen zusammen mit einigen Berliner Schriftstellern in einer Erklärung den Kurs der Bundesregierung im Afghanistan-Krieg. Warum kritisieren so viele ihrer deutschen Kollegen die Bombenangriffe der USA, finden aber so selten Worte der Trauer für die Opfer der Anschläge in New York und Washington?
Peter Schneider: Die Worte der Trauer und des Entsetzens, auch Worte der Solidarität mit den Opfern hat es durchaus gegeben – auch von Schriftstellern. Was aber erstaunlich ist, wie schnell diese Solidarität bei vielen deutschen Autoren und Intellektuellen überlagert wird durch andere tiefer sitzende Affekte. Zunächst waren die Amerikaner ja die Angegriffenen, also die Opfer, mit denen übte man Solidarität. Doch sobald die Amerikaner reagierten, nahmen sie in den Augen dieser Schriftsteller wieder die Rolle der Täter ein. Sie sahen in ihnen wieder die Aggressoren, und damit stimmte manches alte linke Weltbild wieder. <strong>
Wittstock: Sobald die USA agieren, sind sie in diesem Sinne immer Aggressoren?
Schneider: Der schlimmste Aggressor überhaupt! Der Über-Täter! Es gibt keinen der es mit ihm aufnehmen kann.
Wittstock: Warum fühlen sich viele Schriftsteller, die doch augenscheinlich ein erträgliches Leben im Westen führen, nicht aufgerufen, den Westen angesichts von Terrorangriffen argumentativ entschlossen zu verteidigen?
Schneider: Ja, das ist ganz erstaunlich. Ich habe bei einigen der Stellungnahmen meiner Kollegen in den letzten Tagen gedacht, die Hauptbotschaft ist: Hier bei uns im Westen ist alles korrupt, wir haben nichts zu verteidigen, also bitte übernehmen Sie! Da ist eine zynische Schadenfreude gegenüber der eigenen politischen Kultur im Spiel – und damit gegenüber dem eigenen Leben.
Wittstock: Woher kommt diese merkwürdige Selbstzerknirschung, dieser auffällige Selbstzweifel an der westlichen Gesellschaftsordnung, die doch vieles für sich ins Feld führen kann?
Schneider: Tatsächlich ist die westliche liberale Demokratie vermutlich das effizienteste und menschlichste Gesellschaftssystem, das die Geschichte bislang hervorgebracht hat. Es ist wohl auch das einzige, das langfristig in der Lage ist, die Gegensätze zwischen Arm und Reich zu mildern – ganz aufheben wird man sie nie können. Dennoch hat es dieses System nicht fertig gebracht, eine kohärente Philosophie oder Ideologie hervorzubringen, die es rechtfertigt.
Wittstock: Dann stünde hinter den jetzt wieder so deutlich spürbaren Selbstzweifeln der Schriftsteller am Westen letztlich ein intellektuelles Ungenügen an unserer Gesellschaftsordnung?
Schneider: Dahinter steckt eben auch die berühmte Sinnsuche, die Suche nach der Utopie. Der Westen gibt kein Ziel vor, auf das unser gesellschaftliches Tun und Lassen zuläuft. Er bietet nur eins: Die gesellschaftlichen Projekte und Konflikte so sachlich und gewaltfrei wie möglich zu managen. Doch ein Ziel ist in diesem System nicht vorgesehen, da bleibt eine Leerstelle, die jeder individuell füllen muss. Darunter scheinen gerade auch Schriftsteller zu leiden, von denen sich ja nicht wenige als Experten für Utopien verstehen, was sie dann so abwehrschwach gegen gesellschaftliche Großentwürfe wie die der Islamisten macht, die ein überragendes Ziel, den Gottesstaat vorgeben. Aber das ist nicht nur bei Schriftstellern so. Was in letzter Zeit über die Biografien der Selbstmordattentäter zu lesen war, deutet in die gleiche Richtung. Es ist erstaunlich zu sehen, dass dies Leute waren, denen es zumeist gut ging im materiellen Sinn. Sie lebten in London oder Paris oder Hamburg, gingen in Diskotheken, hatten einen durchaus westlichen Lebensstil. Aber plötzlich war dieser Kick da, dieses Versprechen, den Sinn des Lebens zu finden, und auf diese Verführungskraft setzt Bin Laden, wie alle Ideologen immer auf dieses Lockmittel gesetzt haben: Der enorme Überdruss am Westen bei denen, die ihn zugleich in vollen Zügen genießen. <strong>
Wittstock: Sind die Argumente der Kriegsgegner in ihren Augen durch die militärischen Erfolge in Afghanistan widerlegt?
Schneider: Es ist schon verblüffend, welche apokalyptischen Vorstellungen da wach wurden. Von einem „Weltenbrand“ war die Rede, von „unzähligen zivilen Toten“, von „Bomben auf die hungernde Bevölkerung“, ganz so als würden die Amerikaner willentlich ein wehrloses Volk bombardieren. Diese Apokalypsen sind jetzt durch die politische Realität, die Flucht der Taliban, widerlegt. Tatsächlich nämlich ist doch etwas eingetreten, was auch ich kaum zu hoffen gewagt hätte: Die Bombardements waren nicht „sinnlos“, wie von ihren Kritikern behauptet wurde, sondern haben einer Befreiung der Afghanen den Weg geebnet. Das Verhalten der Afghanen den geschlagenen Taliban gegenüber, belegt überzeugend, dass die Taliban die Unterdrücker waren. Sie waren die Verbrecher, die ein ganzes Volk als Geisel genommen hatten, nicht die USA, wie Franz Xaver Kroetz in seinem Statement behauptete. Die Amerikaner tragen zur Befreiung der Afghanen von einem Terrorregime bei – und ich frage, warum man sich über den erreichten Teilerfolg nicht freuen darf.
Wittstock: Woher kam eigentlich die Vermutung, die USA würden „ziel- und sinnlos“ bombardieren, die sich in fast jeder Protestverlautbarung gegen den Afghanistan-Krieg fand?
Schneider: Das stand in jeder dieser Erklärungen – und diese Tatsache ist hochinteressant. Ein Grund dafür ist natürlich das manichäische Gebaren und die katastrophale Informationspolitik der Amerikaner. Der zweite – spannendere – Grund dafür ist, dass viele sonst besonnene Menschen, sobald amerikanische Bomber fliegen, es sich zutrauen, Dinge zu beurteilen, von denen sie in Wirklichkeit so wenig verstehen wie ich. Es ist unglaublich, welche Urteile von Schriftstellern in letzter Zeit zu lesen waren, die bislang nie mit Kenntnissen über Afghanistan, den Islam oder die amerikanische Militärtechnik hervorgetreten sind. Dennoch gebärdeten sich diese Autoren als Strategen, die in militärischen Fragen kompetenter sind als die entsprechenden Abteilungen des Pentagon.
Wittstock: Sie zählten zu den führenden Köpfen der Studentenbewegung. In dieser Zeit haben Sie sich zumeist kritisch zur Politik der Bundesregierung geäußert. Was hat sich geändert, dass Sie sich jetzt mit einigen anderen demonstrativ und gegen zahlreiche Proteste ihrer Kollegen aussprechen? <strong>
Schneider: Unsere Erklärung ist natürlich kein Blanco-Scheck. Wir sind und bleiben kritisch. Ich halte auch Schröders Wort von der „uneingeschränkten Solidarität“ für unglücklich. Vielleicht muss ein Politiker solche Sachen sagen, ich werde das nie tun, denn nach meinem Verständnis muss man von Fall zu Fall überprüfen, wie solidarisch man gegenüber einem kriegsführenden Freund sein kann, sein muss. Aber bei unserer gemeinsamen Erklärung zugunsten des Engagements in Afghanistan ging es uns um einen wesentlichen Punkt: Wären wir den Warnern gefolgt – und die meisten Intellektuellen haben sich bei den großen geschichtlichen Entscheidungen der letzten zehn, zwölf Jahre immer aufs Warnen beschränkt -, hätte die polnische Solidarnosc-Bewegung nicht gegen die Sowjetherrschaft demonstrieren dürfen, denn dies war in den Augen vieler Warner eine Gefährdung des Weltfriedens, Deutschland hätte sich nicht wiedervereinigen dürfen, wegen der historischen Schuld für Auschwitz, Deutschland hätte auch auf keinen Fall Truppen nach Bosnien und in den Kosovo schicken dürfen. Alle diese Entscheidungen sind dann trotz der warnenden Stimmen getroffen worden, und man kann heute nur sagen, sie sind Gott sei Dank getroffen worden. Inzwischen muss man fragen, wie es eigentlich kommt, dass so viele meiner Kollegen bei all diesen entscheidenden Vorgängen, die politisch so viel Positives für so viele Menschen erbracht haben, immer nur als Warner in Erscheinung traten, nie als Ermutiger. Wenige haben vorausgedacht und gesagt, welche großartigen politischen Chancen diese Entwicklungen bieten. Es ist eine Frage intellektueller Redlichkeit, sich mit dieser Bilanz auseinander zu setzen. Natürlich ist die Wiedervereinigung noch nicht gelungen, aber sie wird gelingen. Und es ist ein Segen gewesen, dass sich die Bundeswehr an den Einsatz in Bosnien und im Kosovo beteiligt hat. Ich bin mehrmals in Sarajevo gewesen und habe gehört, was dort über die Deutschen gesagt wird: Sie leisten eine hervorragende Aufbauarbeit, setzen Brücken und Eisenbahnschienen instand, reparieren Dächer. Und vor allem – sie sichern zusammen mit den anderen UN-Truppen – diesen prekären Frieden, der überhaupt erst möglich macht, dass dort wieder ein ziviles Leben beginnt. Es war für mich ein Schock, ein erhellender Schock zu sehen, wie ein deutscher Panzer, den ich durch die Straßen Sarajevos fahren sah, zu einem Hoffnungsträger wurde. Denn dieser Panzer garantierte, dass die vom Krieg und ethnischer Raserei geplagten Menschen endlich wieder Geschäfte öffnen und mittags in der Sonne im Café sitzen konnten.
Das Interview erschien in der „Welt“ vom 21. November 2001