Vom schweren Leben im Winter

 Klaus Schlesinger ist tot

Eigentlich hätten Sie ihn feiern müssen, die Kulturfunktionäre der DDR. Klaus Schlesinger war all das, von dem sie in ihren Parteitagsbeschlüssen schwärmten. Als gelernten Chemielaboranten und Sohn eines Expeditionsgehilfen hätten sie ihn gut als Schriftsteller aus dem Proletariat ausgeben können. Als Erzähler, der sich mit Vorliebe den Hoffnungen und Lebenskatastrophen der so genannten kleinen Leute annahm, hätte man aus ihm vielleicht sogar so etwas wie einen Volksschriftsteller machen können. Und als idealistischer junger Mann, der sehr unter dem Tod seines Vaters im Zweiten Weltkrieg litt und für den Aufbau einer humaneren Welt arbeiten wollte, hätte man ihn auch politisch wunderbar vor den Karren des realen Sozialismus spannen können. Doch es ist etwas Seltsames um die Literatur und um die, die es ernst mit ihr meinen. Und Schlesinger meinte es ernst. Sicher, er konnte sich für die DDR begeistern, in die er nach Kriegsende hineinwuchs. Aber als Autor vermochte er stets nur zu schreiben, was er zuvor genau beobachtet, erforscht und durchdacht hatte. Schon als Reporter hatte er zwischen 1963 und 1969 so manches über seine Heimat erfahren, was sich mit dem Parteiprogramm nicht deckte. Als Erzähler gelang es ihm nun umso weniger, über die Schattenseiten des Alltags hinwegzusehen. So gerieten seine Geschichten, die einfach nur ehrlich sein wollten, den Zensoren der DDR nicht positiv genug. Auf deren Kritik, die andauerte, bis er 1980 nach West-Berlin übersiedelte, hatte er im Grunde immer nur eine, immer nur die gleiche Antwort: den lakonischen Verweis auf die Tatsachen. Sein erster Roman „Michael“ (1972) hatte den Schönheitsfehler vieler Erstlingswerke: Das Thema war größer als die schreiberische Erfahrung des Autors. Ein Sohn glaubt auf einem Foto deutscher Soldaten, die polnische Bauern erschießen, seinen Vater zu erkennen. Schlesinger versuchte einen Generationskonflikt, der nicht nur die 68er im Westen aufwühlte, mit der ganzen Energie der nachgetragenen Liebe zum verlorenen Vater zu durchleuchten. Doch unter der Last der Emotionen wurde sein Roman eher spröde als klärend, und er nannte ihn später selbst „ein hoch moralisches Buch mit stark neurotischen Zügen“. Zu seinem eigentlichen Thema fand er nicht zuletzt durch die Hilfe des Lektors Kurt Batt, der den Rostocker Hinstorff Verlag leitete und dort neben Schlesinger und Franz Fühmann noch viele andere kritische DDR-Schriftsteller versammelte. In den folgenden Büchern, dem Roman „Alte Filme“ (1975), dem Prosaband „Berliner Traum“ (1977) und der Erzählung „Leben im Winter“ (1980), entwickelte Schlesinger einen ungeheuer präzisen Blick auf die Alltagsrealität der DDR, auf die kleinen Sehnsüchte und Enttäuschungen sozialistischer Durchschnittsbürger, wie sie sonst wohl nur Erich Loest zu beschreiben verstand. 1976 schloss sich Schlesinger mit seiner damaligen Frau, der Sängerin Bettina Wegner, der Protestnote vieler Schriftsteller und Künstler gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns an. Seine Konflikte mit dem Regime verschärften sich daraufhin rasant. 1979 wurde er zusammen mit acht anderen Autoren aus dem Schriftstellerverband der DDR ausgeschlossen, ein Jahr später war er im Westen. Mit der Übersiedlung geriet er in eine tiefe Krise, die er in der Chronik „Fliegender Wechsel“ (1990) dokumentierte. Schlesinger hatte mit seiner alten Heimat auch das Milieu hinter sich gelassen, über das er literarisch souverän verfügte. Er brauchte lange, um einen neuen schriftstellerischen Ansatz zu finden. 1996 endlich konnte er den ersten Roman veröffentlichen, den er im Westen konzipiert und geschrieben hatte: „Die Sache mit Randow“ – Erinnerungen an die Umtriebe der Gladow-Bande im Berlin der Nachkriegsjahre aus der Perspektive eines Jugendlichen. Als er im vergangenen Jahr den Erich-Fried-Preis erhielt, war dies mehr für ihn als eine Auszeichnung: Es war die Bestätigung, nach oft hoffnungslosem Ringen in den Kreis der produktiven, anerkannten Autoren zurückgefunden zu haben. Jetzt ist Klaus Schlesinger im Alter von 64 Jahren in seiner Heimatstadt Berlin gestorben.

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