„Im Sinkflug“

Alexander Schimmelbuschs verzweifelt komischer Roman

Muß man das lesen? Das unbekannte Buch eines unbekannten Autors aus einem unbekannten Verlag? Meiner Erfahrung nach muß man nicht. Meistens. Dafür gibt es einen einfachen Grund. Alle Schriftsteller wollen für ihre Bücher bestmögliche Startchancen. Also schicken sie ihre Manuskripte zunächst an die bekannten Verlage, denn die verstehen sich glänzend darauf, öffentlich für ihre Titel zu trommeln und zu werben. Und dort arbeiten kluge Lektoren, die unter den eingehenden Texten eine kluge Auswahl treffen. Dieses Filtersystem des Literaturbetriebs funktioniert gut, man kann ihm vertrauen. Meistens. Aber nicht immer. Man steht in einer Buchhandlung, blättert skeptisch in so einem unbekannten Buch eines unbekannten Autors aus einem unbekannten Verlag, liest eine Seite, liest weiter, liest sich fest – und läuft beglückt mit dem Band zur Kasse, denn man ist ganz unerwartet auf ein schönes, eigenwilliges, originelles Talent gestoßen. Das Buch, für das ich hier trommeln und werben möchte, heißt „Im Sinkflug“ und das Herrlichste an ihm ist sein Haß. Dieser Haß zielt zunächst einmal auf „Investmentbanker“ und „Vorstandsvorsitzende“ in New York. Oder auch auf den Prototyp des „jungen Erfolgsdeutschen“, der in Amerika mit der passend blondierten „Beautyfarmschönheit“ an seiner Seite sein Leben in vollendeter Oberflächlichkeit verplempert. Es ist ein rhetorisch hochgespannter, sprachmächtiger, schwungvoller Haß, der in langen Satzperioden voller Verachtung, Bosheit und unversöhnlichem Ekel über die Gehaßten herfällt – und der sie nicht schlicht treffen möchte, sondern der sie mit Worten regelrecht niederzumetzeln, zu zerstückeln, zu vernichten versucht. Nun habe ich offen gestanden von New Yorker Investmentbankern oder Vorstandsvorsitzenden und deren Leben nur eine sehr vage Vorstellung. Ob der Haß dieses Romans ihnen zu recht gilt oder nicht, entzieht sich meiner Kenntnis. Vielleicht finden sich unter ihnen ebenso viele hassens- und liebenswerte Einzelexemplare wie unter den Angehörigen fast jedes anderen Berufsstands auch. Aber letztlich ist das gar nicht wichtig. Denn wer glaubt, die flammenden, savonarolahaften Haßtiraden dieses außerordentlichen kleinen Romans seien tatsächlich und ausschließlich auf Investmentbanker und Vorstandsvorsitzende gemünzt, mißversteht ihn gründlich. Nein, der dreißig Jahre junge, bislang völlig unbeachtete, aber sehr bemerkenswerte Autor Alexander Schimmelbusch ist als Deutscher in New York aufgewachsen und hat in London fünf Jahre lang als Investmentbanker gearbeitet. Man kann ihm also die Kenntnis des Milieus, von dem er schreibt, schwerlich absprechen. Und sein Erzähler sagt von sich, er „entstamme einer verschwiegenen alten Sippe von Vorstandsvorsitzenden und kenne die Sorte gut“. Der Roman arbeitet sich also vorzugsweise an einem Personenkreis ab, mit dem sich der Autor und sein Held bestens auskennen – dem Haß ist somit unübersehbar eine gute Portion Selbsthaß beigemischt. Die Gründe für diesen Groll sind allerdings nicht allein beruflicher, sondern zudem metaphysischer Natur. Denn Schimmelbuschs Erzähler nimmt den Zielscheiben seines Zorns nicht nur ihre Arbeit übel, die seiner Meinung nach absolut hochstaplerische Züge trägt, sondern vor allem daß sie die „gähnende Leere“ hinter dieser Arbeit nicht sehen wollen. Er verabscheut sie, weil sie ausschließlich ihre Karriere kennen und ihren Erfolg dank zahlloser „Verdrängungshilfen und Selbstbetrugsmechanismen“ bereits für „Glück und Sinn“ halten. Schimmelbuschs Roman ist letztlich eine einzige große, wutschnaubende Brandrede: Sowohl gegen die – um mal wieder auf einen alten Begriff von Camus und Sartre zurückzugreifen – Absurdität des Daseins in einer Epoche, der alle religiösen oder metaphysischen Sicherheiten abhanden gekommen sind, als auch gegen Menschen, die, obwohl sehr intelligent, die Augen vor dieser Absurdität und Sinnleere schließen. Die sich aber dennoch als souveräne global player aufspielen und so tun, als verfügten sie über umfassende, blitzsauber funktionierende Welterklärungsmodelle und Weltproblemlösungen. Die Geschichte des Romans ist schnell erzählt. Ein junger Mann aus steinreicher Familie mit Haus in den Hamptons und Schloß im Taunus verbringt seine Tage damit, sich in diversen New Yorker Hotel-Bars, Clubs, Restaurants zu betrinken. Er hat sich angesichts der metaphysischen Obdachlosigkeit unserer Zeit in „maligne Traurigkeit“ vergraben und hat festgestellt, daß er seiner sinnfreien Existenz mit „$28-Martinis sehr effektiv die scharfen Kanten“ nehmen kann. Seine Lieblingstätigkeit besteht darin, die Söhne anderer steinreicher Familien, die sich noch nicht ausschließlich den Martinis hingegeben haben, zu hassen und zu beschimpfen. Schließlich bricht er mit dem Wagen auf, fährt quer durch den Kontinent – wobei der Gelegenheit findet, noch ungezählte andere Menschen anderer Berufsgruppen zu hassen und zu beschimpfen – bevor er sich an der Westküste im kalten Pazifik ertränkt. Ist es eine Komödie? Ist es eine Tragödie? Die permanenten Haßausbrüche des Erzählers sind letztlich beides zugleich – sowohl von brütendem, depressivem Ernst, als auch von brüllender, selbstironischer Komik. Natürlich erinnert Schimmelbuschs Held damit an die überwältigenden Figuren Thomas Bernhards, an all die Theatermacher und Weltverbesserer, die nur winzige Anlässe oder Kränkungen brauchen, um in endlose Monologe der Menschen- und Weltverachtung auszubrechen. Doch die brachiale Frechheit, mit der sein Erzähler über die Wichtigtuereien heutiger Wirtschafts-Warlords herzieht, verleiht seinem Roman durchaus sehr eigene Qualitäten – und zudem eine ungemein erfrischende Bissigkeit. Glücklicherweise hat Schimmelbusch der Versuchung widerstanden, die Geschichte seines traurigen Helden ins Fahrwasser der eleganten amerikanischen Boheme der Roaring Twenties zu lenken. Sicher, die New Yorker Kapitel seines Romans spielen an den gleichen Schauplätzen und in den selben gatsbyhaften Gesellschaftskreisen: Sprößlinge bestens betuchter Familien leiden am Leben und flüchten vor Eltern und Establishment in mondäne Selbstzerstörung. Doch wer heute in die Fußstapfen der Dandys von damals zu treten versucht, wird – das spürt Schimmelbuschs Held sehr genau – damit eben nicht zum Dandy, sondern zum kümmerlichen Klischee eines Dandys. Also verfolgt er die Aussteiger aus dem selbstgefälligen Leben des modernen Geldadels mit dem gleichen hingebungsvollen Haß wie den Geldadel selbst. Über ihre Anstrengungen, sich möglichst stilvoll von ihren Eltern zu unterscheiden, also über ihre „durch mühselige Abgrenzungsarbeit erschlichene Klassifikation als Bohemien“, kann er sich nur lustig machen. Denn auch die ist in seinen Augen letztlich nur eine Krücke, mit der sie ihre labile Persönlichkeit zu stützen versuchen, so wie brave Karrieristen ihr Selbstwertgefühl durch ihren mit „jahrelanger Rücksichtslosigkeit erstrittenen Titel eines Managing Directors“ aufrecht erhalten. Eine bemerkenswerte Sicht der Dinge, in deren Licht sich die selbsternannten Bohemiens unter den deutschen Popliteraten gleich ganz anders ausnehmen. Ein solcher Furor kann natürlich kein gutes Ende finden. Schimmelbusch sorgt dafür, daß sein Erzähler auch nicht den kleinsten Ausweg aus seinem Weltekel und also aus seinem stets gut alkoholisierten Lebens-Sinkflug findet. Im Gegenteil, die Erinnerungen an das eigene, finanziell stets gut unterfütterte Kindheitselend, die ihn auf seinem Weg nach Westen einholen, sind nur dazu angetan, seine Melancholie noch zu steigern. So bleibt schließlich nur das nasse Ende im Pazifik. Kein schöner Tod. Aber ein schönes, verzweifelt komisches Buch.

Der Artikel erschien in der „Welt“ vom 17. Dezember 2005

Alexander Schimmelbusch: <em>“Im Sinkflug“. Roman.  Verlag Luftschacht, Wien 2005 178 S., 19,90 € ISBN 978-3-902373-14-8

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