André Schiffrins Klagegesang „Verlage ohne Verleger“
Große Oper, großer Auftritt während der Frankfurter Buchmesse. In den Konferenzsaal „Alliance“ marschieren ein und betreten das Podium: vier Verleger aus Schweden, England, Italien und Deutschland, dazu ein Übersetzer und ein Autor, der in Personalunion Verleger in USA und Lektor ist. Alle sechs holen tief Luft und besingen in weit ausholenden Arien die Sorgen der Buchbranche im Allgemeinen und den Essay “ Verlage ohne Verleger“ von André Schiffrin im Besonderen („Über die Zukunft der Bücher“. Mit einem Nachwort von Klaus Wagenbach. A. d. Amerikan. v. Gerd Burger. Wagenbach, Berlin. 125 S., 17,80 Mark). Auch im Publikum sitzen Verleger und Lektoren dutzendweise, man kennt sich, nickt sich zu, und murmelt zustimmend den Generalbass zu der Klagekantate, die vom Podium erklingt. Am Schluss wird, weil’s Brauch ist, noch ein Manifest in die Welt geschickt, liebevoll gespickt mit giftigen Bemerkungen über Verlagskonzerne, die sich nur für „maximale Renditen“ interessieren und nicht für gute Bücher. Dann gehen alle auseinander im Bewusstsein, endlich ein paar Dinge über die schmalgeistigen Managertypen der Branche öffentlich klargestellt zu haben. Aber haben sie das wirklich? Hat das kleine, bewunderungswürdige Häuflein unabhängiger Büchermacher mit Schiffrins Essay – der in USA, Japan und halb Westeuropa zur gleichen Zeit erscheint – eine unerbittliche Analyse der zeitgenössischen Verlagswelt in Händen? Samt einem Katalog wünschenswerter Maßnahmen, wie den unabhängigen Verlagen ihre Unabhängigkeit erhalten und ihre Kreativität gegen den betriebswirtschaftlichen Rigorismus der Konzerne verteidigt werden kann? Zunächst einmal: André Schiffrin ist Büchermensch von Kindesbeinen an und ein Verleger mit internationalem Renommee. Sein Vater, Jacques Schiffrin, in Russland geboren, wanderte nach dem Ersten Weltkrieg nach Frankreich aus und begründete dort die legendäre Klassiker-Bibliothek La Pléiade, die bis heute bei Gallimard erscheint. Vor den Nazis nach New York geflohen, tat sich Schiffrin senior mit Kurt Wolff, einem der Überväter der deutschen Verlagswelt, zusammen, der als Emigrant in USA Pantheon Books ins Leben gerufen hatte. Bei Pantheon arbeitete auch Schiffrin junior viele Jahre und leitet heute den Verlag The New Press. Der Grundton von André Schiffrins Essay ist nostalgisch. Betrübt gedenkt er jener verflossenen Zeiten, in denen die Verlegerei als „Beruf für Gentlemen“ betrachtet wurde. Ein Beruf, in dem nicht viel zu verdienen war, und in dem führenden Positionen oft genug von Leuten besetzt wurden, die nicht viel verdienen mussten, da sie von ihrem Vermögen leben konnten. Der Durchschnittsgewinn aller US-Verlage, schreibt Schiffrin, lag seit den zwanziger Jahren durchgängig bei ungefähr vier Prozent nach Steuern – egal ob die Wirtschaft gerade boomte oder in der Krise war, egal ob sich der jeweilige Verlag auf Kitsch spezialisierte oder auf erlauchte Kunst. Ab den sechziger Jahren begannen dann – in Amerika genauso wie in Deutschland – große, mitunter branchenfremde Konzerne kleinen Verlage aufzukaufen. Sie versprachen sich davon eine vorteilhafte Abrundung ihrer Angebotspalette („Synergieeffekte“) und vor allem kräftige Profite durch Rationalisierungsmaßnahmen, die von den ein wenig weltfremd wirkenden Büchermenschen verschlafen worden waren. Da Pantheon Books zunächst vom Verlag Random House geschluckt, und der erst von dem Elektronikimperium RCA und dann von dem Medientycoon S.I.Newhouse aufgekauft wurde, hatte Schiffrin das zweifelhafte Vergnügen, diesen Konzentrationsprozess aus der Nähe mitzuerleben. Seine Erfahrungen sind bedenkens- und bemerkenswert. Bei jeder dieser Übernahmen hieß es anfangs, an dem Kurs der Verlage, vor allem an dem der literarisch anspruchsvollen Pantheon Books solle nichts geändert werden. Doch sehr bald schon wurde ein massiver ökonomischer Erwartungsdruck an alle Beteiligten weitergegeben – und von Jahr zu Jahr erhöht. Die Ergebnisse blieben aber, allen Anstrengungen der Verlage und allen Opfern (zumeist Menschenopfer in den Lektoraten und eine Minderung der intellektuellen Qualität der Programme) zum Trotz in äußerst überschaubaren Dimensionen: 1997, nachdem Random House 17 Jahre im Besitz von Newhouse gewesen war, belief sich der Gewinn der ganzen Verlagsgruppe auf nur 0,1 Prozent des Umsatzes. Schreibt Schiffrin. Dieses fatal schlechte Resultat ist natürlich ein vortreffliches Argument für Schiffrin – hatten die kleinen Verlage doch, bevor sie aufgekauft wurden, mit besseren Programmen meist bessere Ergebnisse erzielt. Doch genau an diesem Punkt werden auch Zweifel an Schiffrins Argumentation wach – und es ist wohl bezeichnend, dass es an diesem Punkt um Geld, um Zahlen geht. Denn 1998 wurde Random House von der Bertelsmann-Gruppe übernommen, die bekannt gab, künftig 15 Prozent Profit erwirtschaften zu wollen. „Das würde“, rechnet Schiffrin vor, „in konkreten Zahlen bei einem Jahresumsatz von rund einer Milliarde Dollar auf eine Gewinnsteigerung von aktuell rund einer Million Dollar auf zukünftig 15 Millionen Dollar hinauslaufen.“ 15 Prozent von einer Milliarde sind aber, wie man auch ohne Taschenrechner zuverlässig ermitteln kann, nicht 15 sondern 150 Millionen. Schiffrins deutscher Verlag, Wagenbach in Berlin, nennt das einen Druckfehler, der in der nächsten Auflage korrigiert wird. Gut. Kann vorkommen. Dennoch bleibt Schiffrin seinen Lesern eine gründliche ökonomische Argumentation schuldig. Ist zum Beispiel Bertelsmanns Ankündigung, den Gewinn von Random House um das 150fache steigern zu wollen, wirklich ernst zu nehmen oder vielleicht nur Propaganda? Oder wollte Bertelsmann, wie beim Kauf zu hören war, Random House nur deshalb in seinen Besitz bringen, um einen bevorzugten Zugang zu wichtigen amerikanischen Buchstoffen (die Nervensägen der Branche sprechen neuerdings von „Content“) zu erlangen, die dann in den ungezählten Untergliederungen des Konzerns gründlich ausgeschlachtet werden können? Ist Bertelsmann im Buchgeschäft nicht erfahren genug, um zu wissen, dass die Entwicklung solcher Stoffe nur gelingen kann, wenn man sie nicht zugleich mit überzogenen Profiterwartungen verbindet? Weiter: André Schiffrin lässt S.I.Newhouse in seinem Essay nicht eben gut aussehen. Dafür hat er gewiss Gründe, vermutlich gute. Doch die Beweisführung, mit der er ihn als schlechten Geschäftsmann hinstellen will, ist letztlich nicht überzeugend oder zumindest unvollständig: Mag sein, dass es Newhouse nicht gelungen ist, jene vier Prozent Rendite zu erwirtschaften, die früher für kleinere amerikanische Verlage üblich waren. Doch Schiffrin unterlässt es zu untersuchen, ob sich der Wettbewerb gegen Ende des 20. Jahrhunderts in einem Maße verschärft hat, der auch die traditionellen Verlage unter diese Marke drückt und sie so zu rabiaten Rationalisierungsmaßnahmen zwingt. Außerdem: Newhouse hat Random House 1980 für rund 60 Millionen Dollar gekauft. 1998 verkauft er die Verlagsgruppe für über eine Milliarde Dollar an Bertelsmann. Ein Deal, der sich – wie immer man zu den intellektuellen Niveau steht, dass Newhouse in seinen Verlagsprogrammen aufgezwungen hat – nicht eben ruinös ausnimmt. Im Detail lässt Schiffrin also eine Menge Fragen offen. Alles in allem macht er jedoch auf eine bedenkliche Tendenz aufmerksam. Das Buchgeschäft kannte seit jeher drei Bereiche: Einen, der ökonomisch interessant ist, einen, in dem Autoren aufgebaut werden, die künftig (hoffentlich) ökonomisch interessante Bücher schreiben werden, und einen Bereich, der dazu geeignet ist, dem Verlag ein glanzvolles literarisches Image zu verschaffen. Die großen Verleger alter Schule bemühten sich diese drei Bereiche in ihrem Haus in kluger Balance zu halten. Sie betrieben die klassische Mischkalkulation: Die Bestseller aus dem ersten Bereich mussten die Titel der beiden anderen Bereiche finanzieren und die üblichen zwei bis fünf Prozent Jahresrendite erwirtschaften. Wenn es nun angesichts eines auch auf dem Buchmarkt gewachsenen Konkurrenzdruckes einigen Großverlagen gelingen sollte, den Bestsellerbereich und damit den einträglichen Verlagsbereich für sich zu sichern, gerät jene alte Balance für alle Verlage ins Kippen. Da es aber kein wohlhabendes Land mit kulturellem Selbstbewusstsein zulassen wird, dass die so genannte anspruchsvolle Literatur ganz verschwindet, wird man diese in irgendeiner Weise subventionieren (was in einigen kleineren Sprachräumen bereits geschieht). Früher oder später würde also in einem Buchmarkt, der sich einst weitgehend selbst regulierte, die Gewinne privatisiert, die Verluste aber den Steuerzahlern zugeschoben. Eine Entwicklung, die auch dem härtesten Vertreter des Wirtschaftsliberalismus nicht gefallen dürfte. Doch Schiffrin – und dies ist aus deutscher Sicht wohl die größte Schwäche seines Essays – sieht gerade in massiver staatlicher Förderung die Rettungschance der unabhängigen Verleger. Konsequenterweise lässt er seinen neuen Verlag The New Press von „großen Foundations“ unterstützen, die den, wie er schreibt, „verhältnismäßig geringen Fehlbetrag des Jahresbudgets“ tragen. Schiffrin muss sich hier erstens die Frage gefallen lassen, wie unabhängig ein unabhängiger Verlag ist, wenn er sich von staatlichen Förderung abhängig macht. Zweitens hat er sich offenbar nicht sehr intensiv mit den Erfahrungen der österreichischen Verlage beschäftigt, die seit Jahren schon am Tropf der Subventionen hängen. Da auch ihr „Fehlbetrag des Jahresbudgets“ regelmäßig ausgeglichen wird, sinkt ihre Fähigkeit rapide, sich beim Kampf um die Leser durchzusetzen. Mit dem Ergebnis, dass sie – und damit ihre Autoren – mehr und mehr vom Buchmarkt verschwinden. Nein, Klagegesänge helfen nicht, und Subventionen auch nicht. Die kleinen, unabhängigen Verlage müssen schlicht cleverer und kreativer sein und bleiben als die Konzerne. Was, wenn man sich manche der Branchenriesen anschaut, so schwer gar nicht ist. Tatsächlich gibt es ja Verlage, die keinem Konzern angehören und schon seit geraumer Zeit erfolgreich sind: Diogenes zum Beispiel, Antje Kunstmann, der gute, alte Suhrkamp Verlag und letztlich auch Eichborn, sieht man einmal über den Kummer hinweg, den sie ihren Aktionären nach dem Börsengang bereitet haben. Jedes Programm aus einem dieser Häuser nötigt nicht nur mehr Respekt ab, sondern hat langfristig auch mehr mit einer lebendigen Zukunft der Bücher zu tun, als alle Programme aus Verlagen, denen das wirtschaftliche Risiko letztlich durch Staats- oder Stiftungsgelder abgenommen wird.