Amerikas führende Intellektuelle: Zum Tode der Schriftstellerin und Kritikerin Susan Sontag
Denken war für Susan Sontag immer eine öffentliche Angelegenheit. Sie sah – wofür es im angelsächsischen Kulturraum ansonsten wenige Beispiele gibt – die Aufgabe des Schriftstellers nicht zuletzt in seinem politischen Engagement. Dies trug ihr den Ruf ein, „Amerikas öffentliches Gewissen“ zu sein. Sie hat die Verpflichtungen und Anforderungen, die auch ein solches inoffizielles „Amt“ mit sich bringt, mit großer Energie und Würde getragen, obwohl sie jahrzehntelang vom Krebs verfolgt wurde. Jetzt ist sie im Alter von 71 Jahren in New York ihrer Krankheit erlegen. Ihre Großeltern kamen als jüdische Emigranten aus Osteuropa nach Amerika. Sie wuchs in Arizona in der ungeliebten amerikanischen Provinz auf. Schon als Siebenjährige schrieb Sontag ihre ersten Geschichten. Als Vierzehnjährige – inzwischen auf der High School in Los Angeles – trank sie bei Thomas Mann Tee. An den Universitäten von Berkeley, Chicago und New York, entwickelte sie sich zu einer vielbewunderten Intellektuellen, die sich um Fachgrenzen nicht kümmerte und von Religionswissenschaften über Philosophie bis zur Literaturtheorie in zahllosen Bereichen brillierte. Parallel zu dieser akademischen Karriere wollte sie immer eine Schriftstellerin sein. Ihren ersten Roman „Der Wohltäter“ legte sie mit 30 Jahren vor, ihm folgten etliche andere, dazu Erzählungsbände, Drehbücher und ein Theaterstück. Doch obwohl ihr breit angelegter historischer Roman „Der Liebhaber des Vulkans“ (1992) in USA auf den Bestsellerlisten stand und sie für ihren letzten Roman „In Amerika“ (2000) mit dem begehrten National Book Award ausgezeichnet wurde, waren es nicht diese Bücher, für die sie in aller Welt gerühmt und geschätzt wurde. Es waren vielmehr ihre Essays, die sie zu einer unverwechselbaren Schriftstellerin machten. Sie gehörte neben Leslie A. Fiedler und John Barth zu den ersten Denkern, die sich über die Grenzen der ästhetischen Moderne hinwegzusetzen und die Möglichkeiten einer Postmoderne zu skizzieren versuchten. Ihr erster Essayband „Gegen Interpretation“, den sie 1966 im Alter von gerade 33 Jahren vorlegte, etablierte sie sofort als eine maßgebliche Kunsttheoretikerin der Gegenwart. In einem temperamentvollen, poetischen und doch präzisen Stil schrieb sie ebenso über Psychoanalyse wie über den französischen Nouveau Roman, über Pornographie ebenso wie über Theater, über die Kunst des Happenings ebenso wie über Film oder die Liebe zur Katastrophe. Manchen ihrer Bücher, wie etwa „Über Fotografie“ (1977), in dem sie die Manipulierbarkeit und Instrumentalisierbarkeit dieses Mediums skeptisch beleuchtete, wurden wie eine Zäsur in der öffentlichen Diskussion ganzer Kunstgattungen empfunden – und fanden unter ihren Kritikerkollegen etliche, nicht selten übereifrige Gefolgsleute. Susan Sontag allerdings relativierte ihre Position in ihrem Band „Das Leiden anderer betrachten“ (2002). Auch wenn die allgegenwärtigen Kriegs-Fotos letztlich keinen aufklärerischen Charakter hätten, attestierte sie ihnen appellative Wirkung auf den Betrachter: „Menschen sind imstande, dies hier anderen anzutun – vielleicht sogar freiwillig, begeistert, selbstgerecht. Vergeßt das nicht.“ Nachdem bei ihr Mitte der siebziger Jahre Brustkrebs festgestellt worden war, analysierte sie in dem Essay „Krankheit als Metapher“ (1978) die mit einer solche Diagnose verbundenen Ängste ebenso kühl wie gnadenlos – um so der Krebserkrankung jenen Schrecken zu nehmen, der den Überlebenswillen des Patienten lähmen kann. Auch in diesem Fall überprüfte sie die eigenen Thesen Jahre später noch einmal und führte sie in dem Band „Aids und seine Metaphern“ (1989) weiter mit Blick auf die gesellschaftlichen Reaktionen auf HIV-Infektionen. Neben all dem profilierte sie sich als politische Aktivistin, die effektvoll in allen Fragen intervenierte, die ihr von zentraler öffentlicher Bedeutung zu sein schienen. Während des Vietnam-Kriegs reiste sie auf Einladung des Vietcong nach Hanoi. 1974 drehte sie über den Yom-Kippur-Krieg einen Dokumentarfilm und mußte sich den Vorwurf gefallen lassen, propalästinensische Positionen bezogen zu haben. 1982 wiederum brachte sie viele linke Intellektuelle in den USA gegen sich auf, als sie nach der Verhängung des Kriegsrechts in Polen die These aufstellte, „Kommunismus ist Faschismus – erfolgreicher Faschismus“. Bei ihrem politischen Engagement hat Susan Sontag auch handfeste persönliche Risiken nicht gescheut. Nach Ayatollah Khomeinis Todesurteil über Salman Rushdie solidarisierte sie sich mit ihm und organisierte im amerikanischen Kulturbetrieb den Widerstand gegen den iranischen Religionsführer. Als 1993 Sarajevo von serbischen Truppen belagert wurde und Scharfschützen täglich Dutzende von Menschen erschossen, reiste sie in die Stadt und inszenierte im Theater dort Samuel Becketts „Warten auf Godot“ – um gegen die abwartende Haltung der Nato in diesem Konflikt zu protestieren. Susan Sontag war eine unabhängige, eine originelle, eine mutige Denkerin. Als solche erhielt sie im vergangenen Jahr den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels – und nahm die Dankrede nicht zuletzt zum Anlaß, die Politik George W. Bushs als „imperial“ und dem Irakkrieg als „Invasion“ zu kritisieren. Wie wohl bei allen, die ihre Positionen in der politischen Arena verfechten, kann man nicht jedes ihrer Worte auf die feinste literarische Goldwaage legen. Doch sie gehört ohne Zweifel zu den großen Autoren ihrer Zeit, die nie glauben im Besitz der endgültigen Wahrheit zu sein, die aber alles daran setzen, der Wahrheit ein Stück näher zu kommen.