„Hurra.“

Doris Knechts Gesellschaftsroman in 111 Splittern

Wenn die Literatur das Zauberkunststück ist, aus toten Buchstaben vor den Augen einer staunenden Leserschaft lebendige Menschen entstehen zu lassen, dann ist dieses Buch vorzügliche Literatur. In 111 kurzen Kapiteln wird hier eine junge Frau erschaffen, die vor Energie, Witz, Intelligenz und Neugier, kurz: vor Leben nur so strotzt. Doris Knecht hat diese Kapitel als Kolumne für das Magazin des Züricher „Tages-Anzeigers“ geschrieben, aber gesammelt zwischen zwei Buchdeckeln lesen sie sich wie ein erster Gesellschaftsroman aus dem noch so rätselhaften 21. Jahrhundert. Wie kommt man als junge Frau zu recht mit den Anforderungen, die unsere ebenso flotte wie flüchtige Gegenwart für uns bereithält? Wie lebt man zum Beispiel im sinnlich-barocken Wien, wenn man im puristisch-protestantischen Zürich arbeitet? Darf man als emanzipierte Intellektuelle mit dem Hintern wackeln, wenn man den Blick eines attraktiven Mannes einfangen will? Welches Verhältnis hat man als Postfeministin zu diesen modischen Stiefeletten mit Stiletto-Absätzen, wenn man genau weiß, wie einem die jeweils neuste Mode in den Kopf gepflanzt wird? Und wie verändert sich das politische Engagement für soziale Randgruppen, wenn man als Mutter den Kinderwagen an den zähnefletschenden Kampfhunden vorüberschiebt, die sich in diesen Randgruppen buchstäblich ungeheurer Beliebtheit erfreuen? Fragen über Fragen. Doris Knecht beantwortet sie alle – originell, präzise, anschaulich und hemmungslos subjektiv. Sedlacek zum Beispiel, dieser erfolgreiche Manager, ist eine wahre Plage und im Umgang mit Frauen ungefähr so sensibel wie Saurier in der Brunftzeit. Er zertritt sein Handy, wenn es mal nicht funktioniert, haßt Kinder und jeden, der nicht immerzu für ihn erreichbar ist, liebt statt dessen seinen brandneuen Prada-Gürtel und vielleicht noch sein Auto. Jeder vernünftige Mensch würde zu einem solchen Wesen ein wenig Abstand halten, doch Doris Knecht widmet sich diesem Studienobjekt hingebungsvoll und hat so das fabelhaftes Porträt eines großstädtischen Prachtneurotikers in ihr Buch gebannt. Hinreißend auch die hochkomplexen Paarungsriten, sexuellen Verirrungen, Liebeshändel der diversen Freundinnen und Freunde, die mit sämtlichen schmutzigen Details haarklein vor dem Leser ausgebreitet werden. Da ist Pia, die es sich in selbstgewählter Askese gut gehen läßt, Haemmerli, der gern lesbisch werden würde, Fräulein Meier, die eine Liste mit Wunsch- Männern veröffentlicht, von denen sie zwecks Verbesserung ihrer amourösen Gesamtsituation E-Mails bekommen möchte, oder Mizzi, die es zu einem echten Prinzen gebracht hat, der allerdings bedauerlicherweise den Intelligenz Quotienten einer Cocktailtomate zu haben scheint. Seit Max Goldts herrlich wirren Monologen, seit Axel Hackes und Harald Martensteins Genrebildern aus unserer unheilen Alltag, seit David Sedaris Familien-Tragikomödien im Miniaturformat und Candace Bushnells Siegeszug durch die westliche Welt mit „Sex and the City“ wird die Kolumne auch hierzulande mehr und mehr als literarische Kunstform entdeckt und anerkannt. Sie verlangt der meist knappen Kolumnenlängen wegen strenge sprachliche Disziplin und hohe Pointensicherheit, bietet andererseits jede Menge Raum für Spontaneität und erzählerische Erkundungsreisen durch das schrille Wunderland der Aktualitäten. Und zumindest mit letzterem war die deutsche Literatur bislang ja nicht eben überreich gesegnet. In Doris Knecht hat der Neue Deutsche Kolumnismus (NDK) eine würdige neue Vertreterin gefunden.

Doris Knecht: „Hurra.“ Anleitung zum Doppelleben in 111 Schritten. Czernin Verlag, Wien 2004 246 Seiten, 15,90 €

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