Ulrich Peltzers „Teil der Lösung“ beginnt als politischer Roman und endet mit der Frage, ob sich Held und Heldin kriegen
Kein einfacher Fall. Der Berliner Schriftsteller Ulrich Peltzer – inzwischen gut fünfzig Jahre alt, also weiß Gott kein Jüngling mehr – zählt zu den talentierten Erzählern seiner Altersklasse. Wenn er sich konzentriert, ist er zu außerordentlichen Leistungen fähig. Zu der Eingangsszene seines neuen Romans „Teil der Lösung“ zum Beispiel. Hier schickt er vier junge Leute ins Sony Center am Potsdamer Platz, kostümiert mit roten Pappnasen oder Melone oder als Ballerinas verkleidet. Wie eine schnelle Eingreiftruppe jener „Clowns Army“, die beim G8-Gipfel in Heiligendamm so effektvoll vor Fernsehteams und auf Polizistennasen herumtanzte, spulen die vier dort eine flotte kleine Protestnummer ab, mit der sie die Touristen auf die umfassende Video-Überwachung des Gebäude aufmerksam machen: „Bleiben Sie wachsam, meine Damen und Herren, und kümmern Sie sich um Ihre Aufnahmen.“ Peltzers Blick ist dabei ganz nüchtern, von geradezu wissenschaftlicher Unaufgeregtheit. Er erzählt knapp und kompakt, bringt Tempo in die Szene, zeigt, wie die gut geprobten Programme beider Parteien abschnurren, hier die Spaßguerilla vor den Kameras, da die Wachmänner vor den Mattscheiben, zeigt, wie diese Programme kunstgerecht ineinander greifen, wie die Protest-Clowns vorsichtshalber Videokameras zücken, sobald der Sicherheitsleute leibhaftig auftaucht, die nun ihrerseits nicht gern gefilmt werden möchten, zeigt, wie die Touristen den Rummel routiniert zur Kenntnis nehmen, um dann nach dem nächsten Event Ausschau zu halten, zeigt, wie beide Seiten samt der hinzu geeilten Polizei die Situation vernunftgerecht entspannen und wie schließlich der Betrieb unverändert weiterläuft, bis auf ein paar Kinder, die vor den entdeckten Kameras Faxen machen – fast so, als liefen sich diese Kinder jetzt mal schon warm, um dann irgendwann zukünftig von den gerade vertriebenen Unruhestiftern den Stab zu übernehmen im Staffellauf der Protest-Generationen. Diese erste Szene enthält in konzentrierter Form schon alles, was der Roman seinen Lesern politisch vor Augen führt. Sie ist geschickt gebaut, sprachlich makellos, voller kleiner kluger Beobachtungen. Vor allem aber schlägt sie sich nicht vorschnell auf eine der beiden Seiten, sondern zeigt, wie sehr die Gegner aufeinander angewiesen sind, wie sehr sie in ihrem Denken und Tun um den jeweils anderen kreisen. Ihr Duell wirkt wie zielloses, sich endlos fortzeugendes Ritual. Man spürt bei all dem, wie genau Peltzer dem amerikanischen Romancier Don DeLillo auf die Finger geguckt hat, doch spricht das nicht gegen Peltzer, denn schließlich ist DeLillo wahrlich kein übles literarischen Vorbild. Doch leider hält der Roman dieses Niveau nicht. Erzählt wird die Geschichte des Mittdreißigers Christian, der als freier Journalist zum typischen akademischen Prekariat Berlins gehört. Früher mal träumte er, die Welt zu verändern, heute hat er bereits Schwierigkeiten, das eigene Leben einigermaßen in der Spur zu halten. Er hat es sich in den Kopf gesetzt, Interviews mit Ex-Mitgliedern der Roten Brigaden Italiens zu machen, die vor dreißig Jahren unter Mitterands schützender Hand in Frankreich Zuflucht vor den Fahndern ihrer Heimat fanden. Nun aber, fast ein halbes Menschenleben später, sollen sie von der Regierung Chirac an die Regierung Berlusconi ausgeliefert werden. Von den Inhalten dieser Interviews erfährt der Leser im Roman nichts. Dafür aber viel über die gut zwanzigjährigen Nele, einer der beiden Ballerinas aus dem Sony Center. Christian begegnet ihr zufällig und verliebt sich in sie auf seinem langen, windungsreichen Weg zu jenen untergetauchten italienischen Gesprächspartnern. Am Beispiel Neles führt Peltzer noch einmal detailliert vor, was sich in der Eingangsszene schon andeutete: Ihre kleine Aktivistengruppe hadert mit vielem, unter anderem auch mit der zunehmenden Überwachung allerorten. Ihre kleinen Protestaktionen liefern den Überwachern allerdings zusätzliche Argumente für noch strengere Überwachung. Weshalb Peltzers Staatsschützer geradezu sehnsuchtsvoll Ausschau halten nach jedem frisch nachwachsenden Oppositionszirkelchen, das sie dann mit allen Tricks hochzupäppeln und weiter in Richtung Radikalisierung und Gewalttätigkeit zu locken versuchen – denn eine solche vielleicht gewaltbereite Opposition verschafft ihnen die beste Rechtfertigung für ihre Arbeit und ihre Etatansprüche. Eine solche Sicht auf die Wechselwirkungen zwischen Terror und Terrorbekämpfung ist nicht ungewöhnlich. Jeder zweite Polit-Thriller beschreibt sie noch drastischer als Peltzer. Doch der will offenbar keinen literarischen Polit-Thriller schreiben. Vielmehr wehrt er sich geradezu mit Händen und Füßen dagegen, seinem Roman irgendeinen stringenten Plot zu geben. Stattdessen reiht er locker verbundene Szenen aneinander, führt recht sprunghaft etliche Nebenfiguren, Nebenhandlungen, Nebenschauplätze ein, um sie bald darauf wieder aus dem Blick zu verlieren. Seine Geschichte bläht sich so immer weiter auf, wird dabei aber nicht intensiver, sondern immer blasser und schwerfälliger. Und je mehr Peltzers Roman seinen Schwung verliert, desto mehr verliert er auch die politischen Themen des Anfangs aus den Augen –bis am Ende schließlich die Frage in den Mittelpunkt rückt, ob sich Held und Heldin nun kriegen oder nicht. Diese Liebensgeschichte ist aber psychologisch nicht sonderlich überzeugend und alles in allem auch nicht sehr originell, sondern reichlich konventionell. Kurz: Ulrich Peltzer lässt seinem Erzähltalent viel zu lange Leine. Ihm gelingen immer wieder einzelne bewundernswert plastische und dichte Szenen aus einem halbintellektuellen bis vollakademischen Milieu, das sich für alleinzuständig hält in Sachen Weltverbesserung. Aber er ist nicht fähig oder bereit, aus diesen Szenen ein Ganzes zu formen, das literarisch mehr darstellte als die Anhäufung der einzelnen Szenen.
Ulrich Pletzer: „Teil der Lösung“. Roman Amman Verlag, Zürich 2007 456 Seiten, 19,90 €