Alison Lurie erzählt von zwei ungleichen Paaren, die wie für einander gemacht sind
Wieso lieben wir eigentlich den Menschen, den wir lieben? Weil er so ist, wie er ist? Sicher, so soll es sein. Doch falls sich dieser Mensch verändert, sind wir dann in unserer Liebe unbeirrbar? Falls er – vielleicht durch einen Schicksalsschlag – zu einem anderen Menschen wird, bleiben wir dennoch bei ihm? Und wenn wir trotz aller Veränderungen treu zu ihm stehen, was steckt dann dahinter: Unsere Liebe, die ihm früher galt, oder der Wunsch, unsere Standhaftigkeit und unseren guten Charakter unter Beweis zu stellen? Derart unbequemen Fragen spürt Alison Lurie, eine der großen alten Damen der amerikanischen Literatur, in ihrem Roman „Paare“ nach. Die Geschichte erinnert ein wenig an einen Versuchsaufbau unter Laborbedingungen. Man wird jedoch den Eindruck nicht los, als habe Alison Lurie diesen Versuch im Grunde gar nicht gebraucht. Sie scheint keine Sekunde in Zweifel darüber gewesen zu sein, wie das Ergebnis auszusehen hat. Ihre Heldin heißt Jane Mackenzie. Jane ist Verwaltungsangestellte einer amerikanischen Universität und seit sechzehn Jahren kinderlos verheiratet mit Alan, Professor für Architekturgeschichte, der an der gleichen Universität lehrt. Das Leben der beiden verläuft in ausgeglichenen, ja glücklichen Bahnen – bis sich Alan beim Sport verletzt, ein Bandscheibenvorfall, der trotz Behandlung durch etliche Ärzte und eine Operation nicht geheilt werden kann. Die permanenten Rückenschmerzen verwandeln den zuvor geduldigen, erfolgreichen, charmanten Hochschullehrer binnen einem Jahr in ein gereiztes, ständig missgelauntes, oft arbeitsunfähiges und dazu medikamentenabhängiges Wrack. Jane findet sich plötzlich in einem völlig anderen Leben wieder, einem Leben als Krankenschwester, die fast rund um die Uhr für einen anspruchsvollen Patienten zu sorgen und auf Freizeit mit Freunden oder Sex zu verzichten hat, denn zu beidem findet Alan seiner Schmerzen wegen keine Kraft mehr. Wie weit also trägt in einem solchen Fall die Liebe, wenn man an dem neuen kranken Alan sowohl körperlich wie charakterlich kaum noch etwas entdecken kann, was an den gesunden alten Alan erinnert? Jane ist ganz aufopferungsbereite Ehefrau, leistet Verzicht, erduldet ihren quengeligen Mann und scheint fest entschlossen, der Welt das Beispiel einer auch in schlechten Tagen treuen Gefährtin vorzuleben. Doch wie viel hat das noch mit Liebe zu tun? Aber wo das Unglück ist, wächst die Versuchung auch – weiß Alison Lurie. Also konfrontiert sie die Mackenzies mit einem anderen Paar, das sich als ein versuchstechnisch perfektes Gegenstück zu ihnen herausstellt. Delia ist Schriftstellerin, kommt als Gastprofessorin an die Universität, und ist so überspannt und launisch, wie es ihr Name erwarten lässt. Ihr Mann ist ein eher bodenständiger Lektor, hört auf den bodenständigen Namen Henry und sorgt für alles, um das sich seine Frau nicht sorgen mag. Schnell beginnen sich die Paare neu zu gruppieren: Delia ermutigt Alan, der durch seine Krankheit immer dünnhäutiger geworden ist, seine brachliegenden kreativen Talente zu entdecken und verführt ihn nebenbei zu Formen der Sexualität, die ohne vollen Körpereinsatz auskommen. Jane erwischt die beiden dabei, ist empört und gibt sich bald schon mit Henry gewöhnlicheren Freuden hin. Wie die Geschichte ausgeht, soll hier nicht verraten werden. Sie ist, obwohl im Grunde wenig und schon gar nichts Spektakuläres geschieht, immer temporeich und anschaulich. Alison Lurie, Jahrgang 1926, eine routinierte Erzählerin zu nennen, ist sicher nicht übertrieben. Für ältere Bücher wurde sie mit dem Pulitzerpreis und dem Prix Fémina Étranger ausgezeichnet. Mit wenigen Sätzen versteht sie vor den Lesern die üblichen Kulissen des angelsächsischen Campus-Romans aufzurichten. Man merkt sofort, sie kennt das Milieu, kennt die einschlägige literarische Tradition und fühlt sich als Leser gut bei ihr aufgehoben. Doch geht die Rechnung dieses Romans alles in allem zu glatt auf. Den Vorwurf, die Figuren ein wenig zu gradlinig und passgenau zurechtgeschneidert zu haben, kann man Alison Lurie nicht ersparen. Die beiden Paare gewinnen wenig Individualität und wirken eher wie Demonstrationsobjekte, an denen Alison Lurie vorführt, was ihr am Herzen zu liegen scheint: Nämlich, dass auch die lang erprobte, stabile Liebe naturgemäß nichts Zeitloses oder Unzerstörbares ist, sondern sich mit einer Änderung der Rahmenbedingungen sehr schnell verflüchtigen kann. Eine traurige, aber letztlich nicht sehr überraschende Einsicht.
Alison Lurie: „Paare“. Roman Aus dem Amerikanischen von Renate Orth-Guttmann. Diogenes Verlag, Zürich 2008 309 S., 20,90 €