Auweia

Eckhard Henscheid knöpft sich die Welt der Prominenten vor

Zu den bedauerlichen Einsichten über das Dasein gehört, dass Dummheit, Anmaßung und Geschmacklosigkeit wohl nicht auszurotten sein werden. Mehr noch, ein unbefangener Blick in sonst gern gemiedene Fernsehsendungen oder Erzeugnisse der Yellow Press belehrt darüber, dass jene infame Dreifaltigkeit gegenwärtig immer neue Gipfel des Triumphes und der Peinlichkeit erstürmt. Aus dem was einmal Ruhm war, also Anerkennung für höchste Leistungen im Sinne der Allgemeinheit, ist Prominenz geworden, also die Begabung, der Öffentlichkeit so oft und penetrant wie möglich weit unterhalb sinnreicher Leistungen vor Augen zu treten. Es ist nicht ohne Witz zu sehen, wie komplett hohle Menschen beginnen, sich für das Salz der Erde zu halten, nur weil sie sich regelmäßig vor komplett hohlem Publikum spreizen dürfen. Das einschlägige Promi-Personal ist heute naturgemäß und unvermeidlicherweise fast jedermann bekannt. Literarisch aber wird dieses Milieu – jenseits der Satire – hierzulande nur selten genutzt. Angelsächsische Romane oder Filme führen gelegentlich und variationsreich das inzwischen leicht klischeehafte Trauerspiel vor vom prominent gewordenen Sänger, Schauspieler, Moderator, Sportler, dem überm Mithampeln im Showbiz jedes Talent, jede Würde und der letzte Rest von Persönlichkeit abhanden kommt. Ähnliches gibt es in der deutschen Literatur kaum. Eckhard Henscheid ist einer der wenigen großen und originellen Erzähler seiner Generation. Ihm darf man jederzeit einen prächtigen Roman über einen vergleichbaren Stoff zutrauen. Henscheid ist aber auch ein begnadeter Polemiker, der zu so funkelnden, krachkomischen Hasstiraden fähig ist, wie nur wenige andere. Eher in dieser Funktion als in der eines Erzählers knöpft er sich in seinem neuen Buch „auweia“, das er bezeichnenderweise im Untertitel „Infantilroman“ getauft hat, die Welt der Populären, Schrillen und Bescheuerten vor. Allerdings wäre es in Henscheids Augen wohl zu einfach, einen weithin anerkannten Widerling zur Zielscheibe seiner Verachtung zu machen. Stattdessen hat er Heidi, eine Tennisspielerin von Weltrang, zur Heldin seines Buches erkoren, die dazu noch mit einem Weltklasse-Tennisspieler namens Ron verheiratet ist. Leser, die in dem Roman partout Entsprechungen zur Realität finden wollen, obwohl es zwischen Literatur und Leben keine simplen Parallelen gibt, können sich von dem Pärchen, dessen Horizont nie auch nur Netzhöhe erreicht, an die gemeinhin als sympathisch geltenden Steffi Graf und André Agassi erinnert fühlen. Gegen seine beiden Hauptpersonen macht Henscheid die stärkste Waffe des Schriftstellers scharf: die Sprache. Er überhäuft den Text und vor allem die Dialoge der Figuren mit den abgeschmacktesten, geistlosesten, verschlissensten Phrasen, die derzeit greifbar sind. Es ist das Deutsch der Dieter Bohlens unserer Zeit, das frisch und frech wirken will, aber nicht mehr als grobschlächtige Dreistigkeit zustande bringt. Wenn „Kinderfasching (Kids-Karneval)“ gefeiert wird, klingt das zum Beispiel so: „Allealle waren auf den Beinen und sind gekommen, um heute mal ordentlich einen draufzumachen. Ihre letzten Piepen und Kröten haben all die Vatis und Muttis und Omis zusammengekratzt, damit ihre ‚lieben Kleinen’ endlich allesamt antraben und mal gehörig ein Fass aufmachen können – und hallihalloh! Alles was Rang und Namen hat, ist gekommen, dem festlichen Geschehen Glanzlichter aufzusetzen.“ Das dürfte wohl so ziemlich das hässlichste, grässlichste Deutsch sein, dass in letzter Zeit gedruckt wurde. Es liest sich, als würde man mit einem Mund voll Amalgamfüllungen Silberpapier kauen und rückt sämtliche auftretenden Figuren in ein konkurrenzlos abscheuliches Licht: vom hohen Tennispaar über den bereits erwähnten Dieter Bohlen bis hin zu Roberto Blanco, Effe Effenberg, Jessica Stockmann-Stich und einigen weiteren erlesenen Lieblingsfeinden des Autors. Nach den Regeln experimenteller Literatur kann man in all dem ein ausgeklügelt artifizielles Sprachspiel sehen – allerdings eines von brachialer Bissigkeit. Das Buch ist 120 Seiten kurz, dennoch wäre dieses Deutsch auf voller Länge nur schwer zu ertragen. Glücklicherweise aber trägt es Henscheid zwischendurch immer wieder mal und spätestens in der zweiten Hälfte recht regelmäßig aus der Kurve. Er verfallt dann beispielsweise in eine kunstvoll schliddernde, schlingernde Prosa, die, wie in seinem hochkomischen Meisterroman „Geht in Ordnung – sowieso – – genau – – –“, die zumeist schwerstalkoholisierte Debilität seiner Figuren mit großartigem Charme einfängt. Hier gönnt Henscheid den Lesern, nachdem er sie mit rein sprachlichen Mitteln das Grausen lehrte, dann doch wieder ein befreiendes Lachen.

Eckhard Henscheid: „auweia“. Infantilroman Verlag Antje Kunstmann, München 2007 125 Seiten, 14,90 €

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